Film

Verdens verste menneske im Kino: An der Kreuzung des Lebens

Renate Reinsve brilliert als Julie, die große Lebensentscheidungen treffen muss. Sie geht eine Beziehung mit Aksel ein, gespielt von Anders Danielsen Lie.
© Filmladen

Joachim Trier erzählt in seinem Oscar-nominierten neuesten Film „Verdens verste menneske“ nur dem Titel nach über „den schlimmsten Menschen der Welt“.

Innsbruck – Julie weiß genau, was sie will, jedoch immer nur für eine Weile. Die Studentin entscheidet sich für Medizin, bevor sie ihr Interesse der Psychologie zuwendet. Doch dann wird sie Fotografin. „Wenn es dir ernst ist“, meint ihre Mutter nur.

Doch was ist dieser Ernst und wie lange muss eine Entscheidung halten, bevor sie als richtig gelten kann? Diese Frage stellt sich auch bei den Männern in Julies Leben. Als sie den erfolgreichen Comic- zeichner Aksel (Anders Danielsen Lie) trifft, scheint sie beantwortet. Doch der Altersunterschied zwischen der knapp 30-Jährigen und dem 44-Jährigen bringt Dissonanzen in die Beziehung. Vor allem die Asynchronität beim Kinderwunsch wird zum Streitpunkt.

Dass Julie nicht wirklich der titelgebende „Verdens verste menneske“ („Der schlimmste Mensch der Welt“) ist, wird bald klar. Regisseur Joachim Trier ist in seinem Film auf Julies Seite und macht klar, dass sie ihren Weg gehen muss. In 12 Kapiteln mit Prolog und Epilog und Voice-Over erzählen Trier und Co-Autor Eskil Vogt mit durchaus feministischem Impuls und ohne Wertung von einer komplexen jungen Frau, die gegen ihre Unsicherheit und fremde Erwartungen ankämpft. Zunächst als leichte Komödie mit vielen flotten Montage-Sequenzen, bevor das Drehbuch dann im melancholischen Finale noch einmal eine Volte schlägt.

Einige Schlüsselszenen ragen aus den 127 Filmminuten heraus. Regisseur Trier gestaltet diese Szenen spektakulär. Da ist zunächst eine Hochzeitsparty, in die sich Julie als Fremde einschleicht. Dort lernt sie den dynamischen Eivind (Herbert Nordrum) kennen. Die beiden verbringen den Abend miteinander und zögern, auch die Nacht dranzuhängen.

„Verdens verste menneske“ („Der schlimmste Mensch der Welt“).

Ab dieser Woche im Kino.

Und dann ist da der bereits im Trailer präsentierte Moment, in dem für Julie alles stillsteht, wortwörtlich. Sie läuft durch das morgendliche Oslo, und alles um sie herum ist wie eingefroren. Trier erlaubt sich nicht nur in dieser Sequenz viel metaphorischen Gestaltungswillen, den man auch österreichischen Charakter-Dramen wünschen würde.

Dafür wurde „Verdens verste menneske“ bei der Welt- premiere im Wettbewerb von Cannes vergangenes Jahr mit viel Lob und dem Schauspielpreis bedacht. Der Abschlussfilm der Viennale holte sich 2022 dann noch zwei Oscar-Nominierungen und wurde sofort als Klassiker beschrieben.

Speziell Hauptdarstellerin Renate Reinsve wurde für ihre erste große Filmrolle zu Recht gefeiert. Sie trägt den Film mit ihrer glaubhaften Figur. Dabei hatte sie die Filmschauspielerei eigentlich schon aufgegeben, wie sie in Interviews erzählte. Für sich und das Kino traf sie eine Lebensentscheidung. (maw)