Schock in Berlin: Auto rast in Schülergruppe aus Hessen, Lehrerin tot
Es ist Berlins wichtigste Einkaufsstraße, das weltbekannte KaDeWe nicht weit entfernt. Am Mittwochmorgen fährt plötzlich ein Auto in eine Menschenmenge. Eine Lehrerin aus Hessen stirbt. Berlins Innensenatorin spricht von einer Amoktat. Es sind noch viele Fragen offen.
Berlin – Millionen Menschen kennen den Ort in Berlin, an dem sich das Leben für einige am Mittwoch schlagartig verändert – das gilt besonders für eine Schülergruppe aus Hessen. Zwischen der Gedächtniskirche und dem Luxuskaufhaus KaDeWe ist großflächig mit rot-weißem Flatterband abgesperrt. Gegen 10.30 Uhr am Mittwochvormittag gingen vorher mehrere Notrufe ein. Ein Auto ist in eine Menschenmenge gefahren. Der silberfarbene Kleinwagen steckt 200 Meter weiter in einem Schaufenster. Das Glas zersplittert, die Scherben sind auf dem Boden verteilt. Dutzende Polizeiautos und Krankenwagen stehen an der Straße. Ein Hubschrauber kreist in der Luft.
Etwas entfernt sieht man einen abgedeckten Körper auf der Straße. Es sind Bilder, die einem klar machen, was es bedeutet, wenn jemand aus dem Leben gerissen wird. Nach dem Kenntnisstand der Polizei am Abend gehören alle 15 Opfer des Autofahrers zu einer 10. Schulklasse aus Bad Arolsen in Nordhessen. Die getötete Frau war eine Lehrerin. Fünf oder sechs der 14 Verletzten seien lebensbedrohlich verletzt worden, drei weitere schwer. Wegen der dynamischen Lage schwankten die Angaben noch, sagte eine Polizeisprecherin gegenüber der Deutschen Presse-Agentur.
Die hessische Landesregierung zeigt sich tief bestürzt. "Diese schockierende Nachricht aus Berlin macht mich fassungslos und tief betroffen. Meine Gedanken sind bei den Opfern, die voller Freude auf einer Klassenfahrt in der Hauptstadt waren", teilt Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) mit. Notfallbetreuungsteams seien nach Bad Arolsen geschickt worden, um den Angehörigen, Mitschülern und Lehrern beizustehen.
Der Autofahrer wurde nach seiner Tat von Passanten festgehalten, berichtet Polizeisprecher Thilo Cablitz. Die Polizei habe den 29-Jährigen dann festgenommen und werde ihn vernehmen.
📽️ Video | Fahrzeug fuhr in Berlin in Menschenmenge
Im Lauf des Tages gibt es zunehmend Hinweise, dass es kein Unfall war. In dem Auto, das der Schwester des Fahrers gehört, lagen Schriftstücke und Plakate mit Äußerungen zur Türkei, wie sie auf Demonstrationen hochgehalten werden. Polizeipräsidentin Barbara Slowik sprach von einem "Tatverdächtigen", der in ein Krankenhaus gebracht wurde.
Der Fahrer, ein Deutsch-Armenier, soll psychisch auffällig sein, hieß es von der Polizei. Erwähnt wurde in dem Zusammenhang eine Amokfahrt auf der Stadtautobahn A100 im August 2020, als ein anderer Autofahrer gezielt drei Motorradfahrer rammte. Er wurde vom Gericht in die Psychiatrie eingewiesen.
Slowik betonte aber später am Abend die Offenheit der Ermittlungen. Man ermittele wirklich in alle Richtungen, sagte Slowik im RBB. Psychische Beeinträchtigungen des 29 Jahre alten Fahrers seien zwar nicht auszuschließen, aber alle anderen Hintergründe ebenso wenig. Die Polizei schließe im Moment "gar nichts" aus.
Die Berliner Innensenatorin Iris Spranger hat die Todesfahrt am Mittwochabend als "Amoktat" bezeichnet. "Nach neuesten Informationen stellt sich das heutige Geschehen in der Tauentzienstraße als eine Amoktat eines psychisch beeinträchtigten Menschen dar", erklärte Spranger am Abend im Online-Dienst Twitter.
Mittwochabend durchsuchte die Polizei mit Unterstützung eines Spezialeinsatzkommandos die Wohnung des Fahrers. Den Einsatz im Stadtteil Charlottenburg, über den zuvor die Bild-Zeitung berichtet hatte, bestätigte eine Polizeisprecherin. Zudem habe die Polizei Kontakt zur Schwester des Fahrers gehabt, hieß es. Weitere Einzelheiten gab es zunächst nicht.
Gegenüber dem zerstörten Schaufenster steht am Mittwoch ein 42-jähriger Mann. Er hat einen freien Tag, mit dem Auto wollte er zu einem Termin. Er habe an der roten Ampel gestanden und wollte rechts abbiegen. Plötzlich sei ein Auto – "es war sehr, sehr schnell, bestimmt 150" – über den Bürgersteig gekommen und im Schaufenster einer Parfümerie gelandet.
Der Ort, an dem Polizei und Feuerwehr am Mittwoch gemeinsam helfen, ist ein besonderer in der Berliner Geschichte. 2016 hatte nur wenige Meter entfernt, auf dem Breitscheidplatz an der Gedächtniskirche, ein islamistischer Attentäter einen Lkw in einen Weihnachtsmarkt gesteuert. Nun stehen Journalisten genau dort, wo damals der Anschlag passierte, und filmen auf die gegenüberliegende Seite.
"Es klafft noch immer eine Wunde im Herzen dieser Stadt", sagt Polizeisprecher Cablitz. Vor Ort sind deswegen auch Polizisten mit Maschinenpistolen.
📽️ Video | Verena Gleitsmann (ORF) zum Vorfall in Berlin
Manche Menschen haben auch Bilder von 2019 im Kopf. Damals war ein Mann mit seinem schweren Auto von der Invalidenstraße abgekommen. Vier Menschen starben. Der Mann war trotz einer Epilepsie-Erkrankung und einer Gehirnoperation einen Monat vor dem Unfall Auto gefahren.
Am Mittwoch fordert die Polizei Menschen bei Twitter auf, keine Bilder vom Ort des Geschehens zu posten. Stattdessen bittet sie um Hinweise. Augenzeugen sollten psychologisch betreut werden, wie ein Feuerwehrsprecher sagt. Das Angebot gelte auch für Einsatzkräfte, manche seien vielleicht auch 2016 im Einsatz gewesen. "Es ist im Kopf drinnen."
Die frühere Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli (SPD) twittert: "Ich höre Hubschrauber. Sirenen. Mein Körper zittert. Was für ein Horror!" Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) erklärt kurz nach der Tat: "Es ist eine Situation, wo man denkt: Um Gottes willen, nicht schon wieder! Ob das jetzt ein Zufall war, der Ort, ob das ein bewusst gewählter Ort war, das wissen wir alles noch nicht." (dpa/APA/TT.com)