Immer weniger immun: Corona-Subtyp bereitet Experten Sorge
Die Corona-Pandemie lässt Österreich nicht los. Im Gegenteil: Die Zahl der Neuinfektionen steigt wieder. Dafür verantwortlich sind neue Subvarianten. Außerdem sind immer weniger Menschen durch Impfung oder Genesung vor einer Ansteckung geschützt.
Wien – Bereits Ende Mai hat sich das Ansteigen der Corona-Neuinfektionen in Österreich abgezeichnet. Das bestätigt sich nun auch in der aktuellen Covid-Prognose. Das Konsortium erwartet für die kommende Woche eine weitere Zunahme der Fallzahlen. Die effektive Reproduktionszahl ist mit 1,05 wieder über 1, der Anteil der Virusvarianten BA.4/5 steigt weiter und liegt derzeit bei 16 Prozent. Diese infektiösere Sub-Variante hat bereits eine Reproduktionszahl von 1,44.
Das Mittwochsupdate der Modellrechner von TU Wien, MedUni Wien und Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) rechnet für kommenden Mittwoch mit einer Sieben-Tage-Inzidenz im Bereich von 246 bis 405 Fällen je 100.000 Einwohner, als Mittelwert werden 307 Fälle angenommen. Die geringste Inzidenz wird in Steiermark (120 bis 200) und die höchste Inzidenz in Wien (400 bis 660) erwartet. Aktuell liegt die Inzidenz bei 220. Am 15. Juni rechnen die Experten mit einem Mittelwert von knapp 4000 täglichen Neuinfektionen.
Aktuell nur noch rund 61 Prozent geschützt
Laut den Experten wurde der neuerliche Anstieg aufgrund der zurückgehenden Immunität der österreichischen Bevölkerung – die BA.2-Immunitätsrate wird aktuell auf 61 Prozent geschätzt – zwar länger erwartet, die Geschwindigkeit der aktuellen Trendumkehr könne aber nicht allein dadurch erklärt werden. Im Detail stieg die effektive Reproduktionszahl in den vergangenen zehn Tagen gemäß AGES von 0,83 (25.05.2022) auf 1,05 (4.6.2022). Das heißt, 100 Infizierte stecken im Schnitt 105 Menschen mit dem Coronavirus an. Der Anstieg kann laut den Experten auf den Einfluss mehrere Faktoren zurückzuführen sein.
So nimmt eben der Anteil der Virusvarianten BA.4/5 weiter zu. Es kam jedoch auch in Bundesländern mit vergleichsweise niedriger BA.4/5 Prävalenz zu Anstiegen. Durch häufigere Veranstaltungen und vermehrter Reisetätigkeit um die Feiertage der vergangenen Wochen hat sich das Kontaktverhalten geändert, sprich, es finden wieder mehr Kontakte statt. Auch die Lockerungsschritte – das Aus der Maskenpflicht und Schultests – wirkt sich in diese Richtung aus. Die Wissenschafter betonten aber, dass keiner der genannten Erklärungsfaktoren für sich genommen als Ursache für diese Dynamik ausgemacht werden kann.
Neue Varianten im Vorteil
Der Wachstumsvorteil der BA.4/5 Varianten gegenüber den vorhergehenden Varianten wird augenblicklich auf rund 50 Prozent geschätzt. Die Varianten-spezifische Reff (effektive Reproduktionszahl) beträgt 1,44 (innerhalb von KW 20 bis 22). Das heißt, dass 100 Infizierte 144 weitere Menschen anstecken. Im selben Zeitraum erhöhte sich die effektive Reproduktionszahl von BA.2 von ca. 0,86 auf 0,96, erläutern die Experten.
Die Steigerung wirkt sich auch auf die Spitäler aus, nach dem bisherigen Rückgängen rechnen die Experten wieder mit einer Zunahme an Covid-Patientinnen und Patienten, auf Intensivstationen wird weiters mit einer Abnahme von Schwerkranken gerechnet. Die zwei Wochen vorausblickende Belagsprognose geht auf den Normalstationen von einer Zunahme von 479 Patienten am Dienstag auf 539 (Mittelwert) am 22. Juni aus. Auf den Intensivstationen dürfte sich die Zahl der von Infizierten belegten Betten in diesem Zeitraum von 42 auf im Mittelwert 39 verringern. In der Belagsprognose wird nicht zwischen Personen, deren Hospitalisierung kausal auf Covid-19 zurückzuführen ist, und Personen, die ursprünglich aufgrund einer anderen Diagnose hospitalisiert wurden, unterschieden. (TT.com, APA)
Experten schätzen BA.2-Immunitätsrate aktuell auf 61 Prozent
Gegen eine Infektion mit dem in Österreich dominanten Untertyp der Omikron-Variante des SARS-CoV-2-Erregers namens BA.2 waren laut einer Modellrechnung des Teams um Simulationsforscher Niki Popper Anfang Juni geschätzte 61 Prozent der Bevölkerung immun. Jener Anteil der mit Stand 1. Juni gegen diesen Subtyp geschützt war, sei in den vergangenen Wochen merklich geschrumpft, heißt es. Gegen ein "neuerliches Aufschwingen" der Infektionen reiche der Wert aber noch aus.
Das sei vor allem der Saisonalität zu verdanken, wie das Team auf der Website des Unternehmens dwh, einem Spin-off der Technischen Universität (TU) Wien, festhält. Bei wärmeren Temperaturen kommt es in der Regel zu insgesamt weniger Übertragungen mit Erregern aus der Gruppe der Coronaviren. Der Immunitätswert von momentan knapp über 60 Prozent drücke die effektive Reproduktionszahl - also die durchschnittliche Anzahl an Personen, die ein Infizierter ansteckt - momentan um rund 52 Prozent. In einer nicht durch Impfungen oder durchgemachte Erkrankungen teilweise immunisierte Bevölkerung wäre demnach aktuell mit etwas mehr als doppelt so vielen Neuinfektionen zu rechnen.
Am meisten Österreicher waren nach der Schätzung der Wissenschafter in etwa Ende März gegen BA.2-Infektionen geschützt. Damals lag der Immunisierungsgrad bei knapp über 75 Prozent der Bevölkerung. Ungefähr ab Mitte März war demnach jenes Level erreicht, durch das die Infektionskurve gedreht wurde. In den mehr als zwei Monaten danach fiel das Immunitätslevel wieder stetig. Das betrifft laut den Forschern vor allem Personen, deren Schutz von Impfungen bzw. Impfungen und durchgemachte Infektionen herrührte.
Aktuell gehen die Forscher davon aus, dass etwas weniger als 15 Prozent der österreichischen Gesamtbevölkerung ihren momentan bestehenden Schutz gegen die Omikron-Untervariante alleine durch eine entweder nachgewiesene oder nicht detektierte Infektion aufgebaut haben. Rund 40 Prozent waren demnach Anfang Juni sowohl durch Impfung als auch durch eine durchgemachte Erkrankung immunisiert. Der Rest hat seinen Schutz rein von der Impfung.