Innsbruck

„Tosca“ am Tiroler Landestheater: Auf Teufel komm raus modern

Das Ende einer gnadenlosen Hetzjagd. Tosca (Aurelia Florian) stirbt im Kugelhagel ihrer Peiniger. Ihren Geliebten Cavaradossi (Alejandro Roy, liegend) ereilte zuvor dasselbe Schicksal.
© TLT/Birgit Gufler

Krachende Schusswaffen, viel nackte Haut, Live-Kameras und plakative Symbolik. An Thilo Reinhardts Inszenierung von Puccinis Opernklassiker „Tosca“ am Tiroler Landestheater scheiden sich die Geister.

Von Markus Schramek

Innsbruck – Giacomo Puccinis „Tosca“ ist ein Dauerbrenner in den Opernhäusern und somit ganz gehörig unter Druck: Etliche RegisseurInnen dieser Welt juckt es gar ungemein in den Fingern, die knallharte Story um Macht, Liebe und Unterdrückung, die Puccini seinerzeit im Rom des Jahres 1800 terminlich festmachte, umzumodeln, ihrer gewohnten Aufführungspraxis zu entreißen oder, wie es im Bühnenjargon so schön – mitunter auch beschönigend – heißt, Tosca „neu zu denken“.

Das Endergebnis eines solchen Kreativschubs wird den Premierengästen vorgestern Samstag im Großen Haus des Tiroler Landestheaters vorgesetzt. Dort erlebt „Tosca“ in der Regie von Thilo Reinhardt ihre Premiere. Reinhardt war bisher in Innsbruck im Regiesessel eine Bank. Seine Inszenierungen von „Rusalka“ und „Simon Boccanegra“ wussten am Landestheater zu überzeugen. Im Fall von „Tosca“, ihr widmet sich der Deutsche mit weitreichenden Freiheiten, dürfte dieser Befund nicht so positiv ausfallen.

Bleiben wir zunächst beim Unbestreitbaren des Abends: Die Premierenbesetzung der Innsbrucker „Tosca“ schlägt sich tadellos, phasenweise sogar spektakulär. Aus dem gut einstudierten Ensemble sticht Aurelia Florian in der Titelpartie der gefeierten Sängerin Tosca noch heraus. Die Sopranistin beherrscht stimmlich den dramatischen, divenhaften Auftritt ebenso wie die feine, melancholisch gesponnene Lyrik. Toscas wehmütiger Abgesang auf das Leben, als sie erkennen muss, dass ihre Liebe zu Maler Cavaradossi todgeweiht ist, wird zum ersten Höhepunkt. Für die Arie „Vissi d’arte“ („Ich lebte für die Kunst“) erhält die großartige Sängerin Szenenapplaus. Eine Seltenheit an diesem Abend.

Besagter Cavaradossi wird von Tenor Alejandro Roy gesungen. Das funktioniert ganz toll, wenn der Sänger solo zu Werke geht wie bei der sehnsuchtsvollen Gassenhauer-Arie „E lucevan le stelle“ („Und es leuchteten die Sterne“) im 3. Akt, als Cavaradossi, die Hinrichtung vor Augen, einen Abschiedsbrief an Tosca verfasst. Im Duett mit seiner Geliebten hat Cavaradossi hingegen Mühe, sich zu behaupten. In der präsenten Grandezza des Gesangs von Tosca Aurelia Florian geht Alejandro Roy ein wenig verloren.

Bestens besetzt ist der Bösewicht schlechthin in diesem bluttriefenden Operngeschehen. Daniel Luis de Vicente als sadistischer Polizeichef Scarpia ist eine Erscheinung, optisch und stimmlich. Mit so jemandem ist sicher nicht gut Kirschen essen. Tosca und Cavaradossi kostet die Begegnung mit diesem skrupellosen Kerl das Leben.

Im Graben musiziert das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck unter Dirigent Lukas Beikircher ganz hervorragend. Da passen Lautstärke, Intensität, Tempo sowie das kollegiale Geleit für das singende Personal. Da gibt es nichts zu nörgeln.

Das gibt es hingegen bei der Inszenierung. Nun will niemand einem Regisseur vom Schlage Thilo Reinhardts vorschreiben, wie er sein Handwerk anzulegen hat, schon gar nicht ein Kritik Äußernder von Berufs wegen, der nachträglich an dieser Stelle seinen Senf dazugibt. Trotzdem: Diese „Tosca“ wirkt wie auf Teufel komm raus in die Moderne herüber verfrachtet, sie gerät symbolträchtig überladen und allzu gewollt bedeutungsschwer.

Reinhardt will mutig sein, vielleicht sogar provozieren, wenn er den ersten Akt pompös mit einem Massenaufmarsch beschließt, einem opulent entflammten Scheiterhaufen, auf dem Kunst vernichtet wird und Bücher in Flammen aufgehen, umrahmt von einer selbstgefälligen Prozession aus kirchlichen Würdenträgern, grinsenden Bürgern und Farbstudenten mit gezogener Fechtwaffe. Hier wird eine – fraglos wichtige – Message per Holzhammer überbracht: Seht her und gebt Acht, es kann wieder geschehen, die Freiheit, nicht nur jene der Kunst, muss verteidigt werden!

Dazu kommen Spaßetteln, die eine Opernproduktion offenbar als besonders modern ausweisen sollen. Als da wären: störende Live-Kameras und Monitore on stage und viel nackte Haut! Wofür?

Eine namenlose Schöne posiert in Unterwäsche, Johannes Maria Wimmer zwängt sich (in seiner Rolle als politisch Verfolgter Cesare Angelotti) in ein Kostümchen samt Pumps. In dieser grotesken Aufmachung wäre er sofort enttarnt. Dann lässt Fiesling Scarpia die Hosen runter. Er will sich an Tosca vergehen, lässt aber von ihr ab und wird, nach einem seltsamen Geplänkel, per Pistole von der bedrängten Frau erlegt.

Schusswaffen sind überhaupt omnipräsent. Schon ganz zu Beginn wird eine Kalaschnikow auf die Bühne gelegt. Schlussendlich wird Tosca von ihren Häschern mit einer Salve niedergestreckt (anders als im Original, in dem sie selbst über ihren Tod entscheidet).

Ja, wir leben in gewaltbereiter Zeit, Macht und Machtmissbrauch sind immer häufiger ein und dasselbe, lasst uns auf der Hut sein. Derart plakativ und fallweise plump wie in dieser „Tosca“-Inszenierung muss man daran gewiss nicht erinnert werden.

Nach dem Vorhang werden SängerInnen und Orchester pauschal im großen Stil teils stehend gefeiert. Das Regieteam um Thilo Reinhardt muss sich hingegen etliche lautstarke Buhrufe gefallen lassen, manche Bravos halten tapfer dagegen. Meinungen und Geschmäcker sind eben verschieden.

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