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Macron verliert absolute Mehrheit im französischen Parlament

Präsident Emmanuel Macron bei der Stimmabgabe
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Frankreichs wiedergewählter Präsident Emmanuel Macron hat mit seinem Mitte-Lager nach Hochrechnungen die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung klar verfehlt. In der Endrunde der Parlamentswahl am Sonntag kamen die Liberalen demnach auf 210 bis 250 der 577 Sitze. Das neue linke Bündnis angeführt von Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon wird mit 150 bis 180 Sitzen im Parlament vertreten sein. Für die absolute Mehrheit wurden mindestens 289 Sitze benötigt.

Mélenchon bekräftigte in einer ersten Reaktion seinen Anspruch auf die Regierungsverantwortung. "Alle Möglichkeiten sind in eurer Hand", rief er vor jubelnden Anhängern in Paris. "Das ist ein totales Debakel der Präsidentenpartei", sagte er. Mélenchon sprach auch von einer "Wahlniederlage des Macronismus".

Premierministerin Élisabeth Borne will sich um eine mögliche Koalition bemühen. "Als zentrale Kraft in der Nationalversammlung müssen wir eine besondere Verantwortung übernehmen. Wir werden ab morgen daran arbeiten, eine handlungsfähige Mehrheit aufzubauen", sagte Borne am Sonntagabend in Paris. "Wir haben alles, was wir brauchen, um erfolgreich zu sein, und wir werden es gemeinsam schaffen." Borne stand lange den Sozialisten nahe und hatte sich 2017 der von dem Liberalen Macron neugegründeten Partei, zunächst mit dem Namen La République en Marche angeschlossen.

Erstmals seit über 30 Jahren steht der französische Präsident ohne absolute Parlamentsmehrheit da und muss mit seiner Regierung auf die Unterstützung anderer Lager bauen. Ein Regieren mit Koalitionen über das eigene politische Lager hinweg sowie mit Kompromissen ist in Frankreich weniger üblich als in anderen Ländern Europas. Für eine mögliche Koalition oder Zusammenarbeit muss die Präsidentenpartei nun auf mögliche Partner im Parlament zugehen.

"Heute abend haben wir eine neuartige Situation", sagte Borne. Diese Lage sei ein Risiko für das Land angesichts der Herausforderungen im Inland und international. Aber das Ergebnis müsse man respektieren und mit Verantwortung handeln. "Die Franzosen rufen uns auf, uns im Interesse des Landes zu einen."

Zugleich benannte die Premierministerin Prioritäten der künftigen Regierung. Ab dem Sommer solle es starke und konkrete Maßnahmen zur Stärkung der Kaufkraft der Franzosen geben. Das Streben nach Vollbeschäftigung sowie der ökologische Wandel ständen oben an, das Schul- und Gesundheitswesen müssten verbessert werden. Weitere Prioritäten seien die Souveränität Frankreichs im Energiesektor und dem Lebensmittelbereich. "Ich vertraue in unser Land", sagte die Premierministerin.

Das Ergebnis ist ein schwerer Schlag für Macron, dessen Lager derzeit noch die absolute Mehrheit im Parlament hat. Denn normalerweise wird die kurz nach der Präsidentschaftswahl abgehaltene Parlamentswahl als Bestätigung gesehen, so dass oft die gleiche politische Kraft mit absoluter Mehrheit siegt. Einen enormen Erfolg verbucht hingegen das neue Linksbündnis, das damit als mächtigste Oppositionsgruppe mehr Einfluss erhält.

Einen spektakulären Zuwachs erreicht auch die rechtsnationale Partei Rassemblement National, deren Spitzenkandidatin Marine Le Pen Macron in der Endrunde der Präsidentschaftswahl unterlegen war. Sie kam auf 80 bis 100 Sitze, mindestens zehn Mal so viel wie bisher, und wird damit voraussichtlich drittstärkste Kraft im Parlament. Derzeit haben sie lediglich sechs Abgeordnete. Le Pen begrüßte das unerwartet gute Abschneiden ihrer Partei. Der Rassemblement National werde "die größte Fraktion in der Geschichte (ihrer) politischen Familie" in der Nationalversammlung bilden, sagte sie am Sonntag in Hénin-Beaumont.

Parteichef Jordan Bardella sprach von einem "Tsunami" für seine Partei. "Das französische Volk hat Emmanuel Macron zu einem Minderheitspräsidenten gemacht", sagte er dem Sender TF1. Der RN dürfte erstmals eine eigene Fraktion bilden, also mehr Geld und mehr Redezeit bekommen. Das war der Vorgängerpartei Front National zuletzt unter geändertem Wahlrecht 1986 gelungen. Fraktionschefin dürfte die langjährige Parteichefin Marine Le Pen werden. Die rechtspopulistische Fraktion dürfte die drittgrößte hinter dem Wahlbündnis des Präsidenten und der links-grünen Allianz Nupes werden.

Die bisher stärkste Oppositionskraft im Parlament und traditionelle Volkspartei der Republikaner plus Verbündete kamen auf 60 bis 78 Sitze, eine herbe Schlappe. Allerdings könnte die Regierung von Macron sich bei der Suche nach Unterstützung im Parlament nun möglicherweise verstärkt an die bürgerlich-konservativen Républicains halten. Deren Parteichef Christian Jacob winkte aber bereits ab. "Wir sind in der Opposition, und wir bleiben in der Opposition", sagte er.

Bei der Parlamentswahl ging es für Macron darum, ob er seine Vorhaben auch in seiner zweiten Amtszeit wird umsetzen können. Dafür benötigt er eine Mehrheit im Parlament. Mit einer nun nur noch relativen Mehrheit sind Präsident und Regierung gezwungen, Unterstützung aus den anderen Lagern zu suchen. So eine Regierung gab es zuletzt unter François Mitterrand (1988-1991).

Auch wenn viele Franzosen unzufrieden mit Macrons erster Amtszeit waren, profitierte der 44-Jährige davon, dass die Parlamentswahl in Frankreich als Bestätigung der Präsidentschaftswahl empfunden wird. So nehmen traditionell vor allem Unterstützer des Gewinners an der Abstimmung teil, andere bleiben häufig zu Hause.

Zum Nachteil des Linksbündnisses war das komplizierte Wahlsystem, das zu teils gravierenden Unterschieden zwischen prozentualem Stimmanteil und der Sitzverteilung führt. Dabei zählen am Ende nur die Stimmen für den Gewinner im jeweiligen Wahlkreis.

Trotz nur noch relativer Mehrheit für das Macron-Lager werden Deutschland und Europa am Ende weiter mit einem verlässlichen Partner Frankreich rechnen können. Auch wird Frankreich im Ukraine-Konflikt zweifelsohne fester Bestandteil der geschlossenen Front des Westens gegen den Aggressor Russland bleiben.

In Frankreich warten wichtige Projekte auf die Umsetzung: Angemahnt werden Verbesserungen im Bildungs- und Gesundheitswesen, die Menschen warten auf Kaufkrafthilfen in der Krise und viele wollen energischere Schritte in der Klimakrise. Außerdem will Macron eine umstrittene Pensionsreform durchziehen, die Franzosen sollen länger arbeiten.

Die Wahl war auch ein Fernduell zwischen zwei sehr unterschiedlichen politischen Charakteren. Auf der einen Seite der 44-jährige eloquente Präsident und Ex-Investmentbanker Macron. Auf dem internationalen Parkett agiert er als souveräner Staatslenker, auf nationaler Ebene kämpft er jedoch mit einem Image als arroganter Elitepolitiker. Ihm gegenüber stand das linke Urgestein Mélenchon, ein gewiefter Linksideologe und Stratege, der sich als Fürsprecher des Volks und der sozialen Gerechtigkeit sieht.

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