Coronavirus

Die Sager und Reaktionen zum Impfpflicht-Aus: „Wollen Gräben zuschütten”

Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) und ÖVP-Klubchef August Wöginger verkündeten am Donnerstag das Aus für die Impfpflicht.
© APA/Fohringer

Bevor sie jemals scharf gestellt wurde, wird die derzeit ausgesetzte Impfpflicht gegen das Coronavirus endgültig abgeschafft. Darauf haben sich die Regierungsparteien geeinigt. "Die Impfpflicht wurde unter anderen Voraussetzungen beschlossen", sagte Gesundheitsminister Johannes Rauch. Kritik am Krisenmanagement der Regierung kommt von der Opposition.

Wien ‒ Die Impfpflicht gibt es nun auch offiziell nicht mehr. Wirksam wurde sie ohnehin nie so recht, nun hat die Regierung beschlossen sie gleich abzuschaffen. Ein entsprechender Antrag wurde am Donnerstag in einer Sondersitzung des Nationalrats eingebracht, beschlossen wird er im Juli. Kritik an der Abschaffung der bisher nur ausgesetzten Pflicht blieb aus.

Argumentiert wurde der Schritt von der Regierung einerseits mit der fehlenden Akzeptanz, andererseits damit, dass sich die Rahmenbedingungen mit der weniger letalen Omikron-Variante geändert hätten: "Die Impfpflicht bringt niemanden zum Impfen", meinte Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne), der das Projekt von seinem Vorgänger und den dereinst darauf drängenden Landeshauptleuten geerbt hatte.

Rauch: "Omikron hat die Regeln verändert"

Die Impfpflicht sei unter anderen Voraussetzungen eingeführt worden, meinte Rauch. Damals sei Delta die dominierende Variante gewesen, die für hohe Hospitalisierungsraten gesorgt habe: "Die Intensivstationen waren an der Grenze der Belastbarkeit." Auch er selbst habe die Impfpflicht damals befürwortet, betonte der Minister. "Aber Omikron hat die Regeln verändert."

Rauch im Wortlaut:

"Die Impfpflicht hat die Zahl der Menschen, die sich impfen lassen, nicht erhöht, aber gleichzeitig Gräben in der Bevölkerung aufgerissen. Ich bin überzeugt: Sie hilft uns nicht, das Ziel zu erreichen, im Herbst möglichst viele Menschen zu einer Auffrischungsimpfung zu motivieren - eher im Gegenteil. Es ist Zeit, die Gräben wieder zuzuschütten. Die Abschaffung der Impfpflicht ist ein weiterer Schritt raus aus dem Krisenmodus, hin zu einer Normalisierung. Wir müssen mit Covid-19 leben lernen.”

Mit der neuen Variante sei die Wirksamkeit der Impfung gegen Ansteckungen reduziert worden. Auch grundsätzlich impfwillige Personen seien mittlerweile schwieriger von der Notwendigkeit einer Auffrischung zu überzeugen, so Rauch.

📽️ Video | Regierung verkündet Impfpflicht-Abschaffung

Auch ÖVP-Klubchef August Wöginger verwies auf die milderen Verläufe der Omikron-Variante. Außerdem müsse man auf die Reaktion der Menschen schauen: Wenn man etwas mit Pflicht anordne vom Staat, werde bei manchen der Schalter umgelegt. "Mit der Impfpflicht haben wir keine zusätzlichen Menschen zum Impfen gebracht."

Wöginger im Wortlaut:

"Die Rahmenbedingungen haben sich seit der Einführung der Impfpflicht erheblich geändert. Die Omikron-Variante ist ansteckender, zeigt aber einen deutlich milderen Verlauf. Auch aus diesem Grund hat die im COVID-19-Impfpflichtgesetz eigens eingerichtete Kommission die Impfpflicht bisher zweimal als nicht verhältnismäßig eingestuft. Wir folgen nun mit diesem Schritt dem Rat der Experten und setzen verstärkt auf die Eigenverantwortung der Menschen. Es ist genug Impfstoff vorhanden, dass alle, die sich impfen lassen wollen oder eine Auffrischungsimpfung in Anspruch nehmen, dies auch können. Durch das Ende der Impfpflicht soll das Miteinander in unserer Gesellschaft wieder gestärkt werden."

"Phase des Lebens mit dem Virus"

Obwohl man jetzt vom "Katastrophenmodus" hin zu einer "Phase des Lebens mit dem Virus" geht, bleibe die Impfung - neben dem Tragen von Masken und dem Testen - aber dennoch ein wichtiges Mittel, dem Virus zu begegnen, warb Rauch für die Immunisierungen.

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Das Ende der Impfpflicht scheidet die Opposition. Für SPÖ-Gesundheitssprecher Phillip Kucher sei das Abschaffen der Impfpflicht der "vorläufige Höhepunkt des Regierungsversagens". Auf Anklang stößt die Entscheidung wenig überraschend bei der FPÖ, die schon seit Monaten auf ein Ende der Impfpflicht drängt. Für die NEOS war die Pflicht von Anfang an "verkorkst".

Kickl: Covid-Maßnahmengesetz muss auch fallen

Für FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl braucht es jetzt einen baldigen Termin im Gesundheitsausschuss, damit das Gesetz noch vor der Sommerpause abgeschafft werden kann. Mit dem Impfpflichtgesetz müsse aber auch das Covid-19-Maßnahmengesetz fallen, da dieses eine "Impfpflicht über die Hintertür" ermögliche. "Der Gesundheitsminister kann über Verordnungen jederzeit wieder Maßnahmen wie 2G-Zutrittsregelungen, Lockdowns für Ungeimpfte und damit den Ausschluss Ungeimpfter aus dem öffentlichen Leben in Kraft setzen", wird Kickl in einer Aussendung Donnerstagfrüh zitiert.

Der oberösterreichische Landesparteiobmann Manfred Haimbuchner bezeichnete die Entscheidung als "Erfolg für die Freiheit" und "Schritt aus der gesellschaftlichen Spaltung heraus, hin zu einem neuen Miteinander". Der bisherige "Zick-Zack-Kurs" der Regierung habe jedoch für viel Chaos gesorgt.

SPÖ: "Höhepunkt des Regierungsversagens"

Anders sieht das SPÖ-Gesundheitssprecher Phillip Kucher. Das Abschaffen der Impfpflicht sei der "vorläufige Höhepunkt des Regierungsversagens". Er fordert von der Regierung eine Begründung, auf Basis welcher Experten und Expertinnen die Entscheidung getroffen wurde. Während Experten und Expertinnen mit 30.000 Neuinfektionen am Tag schon im Juli rechnen würden, versuche die Regierung mit dem Aufheben der Impfpflicht von ihrem "untauglichen Paket gegen die Teuerung" abzulenken, so Kucher.

Der Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) hat hingegen kein Problem mit einem Aus für die Impfpflicht. "Ich werde mich nicht dagegen wehren. Das war nicht unsere Idee in Wien, wir haben es mitgetragen", sagte er. Die geplante Verpflichtung habe zu vielen Missverständnissen und Missinterpretationen geführt: "Der große Heuler war es nicht."

"Wenn sie zu negativer Emotion zum Impfen führt, und das scheint mir tatsächlich der Fall zu sein, dann ist es wahrscheinlich gescheiter, die Impfpflicht abzuschaffen", meinte Hacker. Das hieße aber nicht, dass man die Impfung abschaffen solle. Hier brauche es Motivation. Weil die Omikron-Welle sei für die Spitäler nur deswegen weniger belastend gewesen, weil die Durchimpfungsrate hoch gewesen sei, gab er zu bedenken.

Hacker: "Diskussionen über 2G-Regeln oder ähnliches"

Die Prognosen würden seit vielen Wochen zeigen, dass es zu einer Sommerwelle komme. Darum habe man in Wien auch die Maskenpflicht nicht völlig abgeschafft und halte sie in den öffentlichen Verkehrsmitteln weiter aufrecht. Es zeige sich nun aber, dass die Spitäler wieder stark belastet seien - auch weil es in der Urlaubszeit dort weniger Mitarbeiter gebe. Zudem drohe auch eine Herbst-Welle.

Es werde wohl notwendig sein, wieder beschränkende Maßnahmen einzuführen, zeigte sich der Ressortchef überzeugt. "Und das in ganz Österreich, nicht nur in Wien." Nötig sei neben einer Ausweitung der Maskenpflicht wohl auch ein "Hinauffahren" des Testsystems. Damit verhindere man etwa, dass positive Menschen Sommerfeste besuchen. "Wenns ganz dramatisch wird, wirds wohl auch Diskussionen geben müssen über 2G-Regeln oder ähnliches."

NEOS: "Passt zum völlig chaotischen Krisenmanagement"

"Das Ende der Impfpflicht mitten in der Sommer-Welle zu verkünden, passt zum völlig chaotischen Krisenmanagement von ÖVP und Grünen", sagt der stellvertretende NEOS-Klubobmann Niki Scherak. Die Regierung habe die Impfpflicht von Anfang an "verkorkst" und so das Vertrauen der Menschen missbraucht. Außerdem sehe Scherak immer noch keinen Plan für den Herbst.

Wenig überraschend sieht Michael Brunner, MFG-Obmann und von Anfang an Gegner der Impfung, die Abschaffung der Impfpflicht als "Erfolg für die Zivilgesellschaft". Für ihn sei die Entscheidung jedoch nur politisch motiviert, Brunner rechnet bereits mit einer Wiedereinführung der Impfpflicht nach den Tiroler Landtagswahlen und fordert Neuwahlen auf Bundesebene. (TT.com, APA)

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