Abtreibung nach Urteil bereits in einigen US-Bundesstaaten verboten
Es ist ein Moment, auf den Konservative in den USA gewartet haben: das Ende des liberalen Abtreibungsrechts. Viele Bundesstaaten haben sich auf diesen Moment schon vorbereitet. Sie wollen keine Zeit verlieren. Einige US-Firmen erstatten ihren Mitarbeitern Reisekosten bei Abtreibungen.
Washington – Nach der umstrittenen Entscheidung des Obersten Gerichtshofs haben etliche US-Bundesstaaten bereits weitgehende Abtreibungsverbote in Kraft gesetzt. In Staaten wie Arkansas, Kentucky oder Louisiana sind Abtreibungen nun nicht mehr erlaubt - auch nicht bei Vergewaltigungen oder Fällen von Inzest. Ausnahmen gibt es in der Regel nur für medizinische Notfälle. Eine Reihe liberaler Staaten kündigte dagegen an, das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche weiter schützen zu wollen.
📽️ Video | Aufregung um gekipptes Abtreibungsrecht
US-Präsident Joe Biden äußerte sich am Samstag erneut erschüttert über die Entscheidung des Gerichts, das liberale Abtreibungsrecht des Landes zu kippen. In mehreren US-Städten kam es zu Protesten.
Das oberste US-Gericht hatte seine Entscheidung am Freitag veröffentlicht. Der mehrheitlich konservativ besetzte Supreme Court machte damit den Weg für strengere Abtreibungsgesetze frei - bis hin zu kompletten Verboten.
Einige Staaten hatten Verbotsgesetze vorbereitet für den Fall einer anderen Rechtssprechung – sogenannte Trigger Laws. In einigen Bundesstaaten treten sie nun sofort in Kraft, in anderen dauert es etwa einen Monat. In manchen Staaten braucht es eine formale Bestätigung des Generalstaatsanwalts oder Gouverneurs.
Bereits am Freitag hatten in mehreren Großstädten der USA Tausende Menschen spontan gegen das Urteil protestiert, darunter in der Hauptstadt Washington, in New York, Los Angeles, San Francisco, Chicago, Austin, Denver und Philadelphia. In New York demonstrierten allein im Washington Square Park in Manhattan mindestens 1000 Menschen für das Recht auf Abtreibung. Demonstranten hielten am Freitagabend (Ortszeit) Schilder mit Aufschriften wie „Mein Vergewaltiger hat mehr Rechte als ich" in die Höhe und skandierten Slogans wie etwa „Abtreibung ist ein Menschenrecht". In den nächsten Tagen dürften weitere Demonstrationen folgen.
Einige US-Firmen erstatten Mitarbeitern Reisekosten bei Abtreibungen
Angesichts von weitgehenden Abtreibungsverboten in einer wachsenden Zahl von US-Bundesstaaten bieten mehrere große amerikanische Unternehmen ihren Mitarbeitern an, im Fall eines Schwangerschaftsabbruches mögliche Reisekosten für einen Besuch in einem anderen Bundesstaat zu übernehmen.
Eine Reihe von Konzernen wie etwa die Café-Kette Starbucks oder der Online-Handelsriese Amazon hatten solche Regelungen angesichts der drohenden Entscheidung des Obersten US-Gerichtshofes bereits zuvor in Aussicht gestellt. Nachdem der Supreme Court das liberale Abtreibungsrecht im Land am Freitag tatsächlich kippte, kündigten diverse weitere Firmen entsprechende Schritte an. Dazu gehören unter anderem der Unterhaltungsriese Walt Disney und der Facebook-Konzern Meta, wie etwa die New York Times und der Fernsehsender NBC berichteten.
Der Outdoor-Spezialist Patagonia sagte am Freitag (Ortszeit) in einem Beitrag auf dem Online-Portal Linkedin nicht nur Unterstützung bei Reisekosten in andere US-Staaten zu. Das Unternehmen versprach auch, mögliche Kautionskosten zu tragen für Mitarbeiter, die friedlich für "reproduktive Gerechtigkeit" demonstrierten und festgenommen würden.
In den USA gibt es kein landesweites Gesetz, das Abtreibungen erlaubt oder verbietet. Schwangerschaftsabbrüche waren aber mindestens bis zur Lebensfähigkeit des Fötus erlaubt - heute etwa bis zur 24. Woche. Das stellten zwei Urteile des Obersten US-Gerichts sicher, die nun gekippt wurden. Nun dürfen die US-Bundesstaaten über das Recht auf Abtreibung entscheiden. In rund der Hälfte der Staaten dürfte Abtreibung nun stark eingeschränkt oder verboten werden.
In vielen Staaten wie etwa Missouri oder Oklahoma drohen Ärzten, die Abtreibungen durchführen, nun lange Gefängnisstrafen. Die Gouverneure unter anderem aus Kalifornien, Oregon, Washington, Massachusetts, New Jersey und New York bekannten sich hingegen zu ihrer liberalen Haltung bezüglich Abtreibungen. Frauen können nun theoretisch in diese Staaten reisen, um eine Abtreibung durchführen zu lassen. Allerdings können sich das viele nicht leisten. Befürchtet wird, dass wieder vermehrt Frauen versuchen, selbst eine Abtreibung vorzunehmen.
Präsident Biden sagte am Samstag bei einem Auftritt mit seiner Frau Jill im Weißen Haus: „Jill und ich wissen, wie schmerzhaft und verheerend diese Entscheidung für so viele Amerikaner ist."
Bereits am Freitag hatte sich Biden entsetzt gezeigt und die Entscheidung einen „tragischen Fehler" genannt. Er kündigte Maßnahmen an, um die Rechte der Frauen zu schützen und zum Beispiel ihre Reisefreiheit zu schützen, wenn sie für eine Abtreibung einen anderen Bundesstaat besuchen. Biden wies außerdem das Gesundheitsministerium an sicherzustellen, dass der Zugang zu zugelassenen Abtreibungspillen – einschließlich über Telemedizin und des Versands per Post – sichergestellt sei. Insgesamt steht der Präsident steht der Entscheidung aber relativ machtlos gegenüber.
Bidens Demokraten würden das Recht auf Abtreibung gerne per Gesetz bundesweit regeln. Doch dazu fehlen ihnen die nötigen Stimmen im Kongress. Biden kann dieses Recht als Präsident nicht einfach per Dekret wiederherstellen. Er hofft, bei der Kongresswahl im November eine notwendige Mehrheit für ein solches Gesetz für seine Partei zu bekommen. Umfragen deuten aber eher in die andere Richtung - auf Zugewinne für die Republikaner.
Während Liberale mit Entsetzen auf das Urteil reagierten, feierten viele Konservative die Entscheidung. Ex-US-Präsident Donald Trump nannte die Entscheidung einen „Gewinn für das Leben". Sein damaliger Vize Mike Pence rief Abtreibungsgegner dazu auf, sich dafür einzusetzen, dass Schwangerschaftsbrüche nun in allen Bundesstaaten verboten werden. Eine Mehrheit der Amerikaner befürwortet Umfragen zufolge aber das Recht auf Abtreibung. (APA, dpa)