Krieg in Ukraine

Schweden und Finnland vor Beitritt zur NATO: Beschluss am Dienstag

Am Donnerstag ging der letzte Tag des NATO-Gipfels in Madrid über die Bühne.
© CHRISTOPHE ENA

Die NATO will die Norderweiterung mit Beitritt von Finnland und Schweden am Dienstag besiegeln. Dann müssen noch die Mitgliedsstaaten das Protokoll ratifizieren, bevor der Beitritt gültig wird.

Madrid – Die NATO will am Dienstag formell die Aufnahme von Finnland und Schweden in das Bündnis beschließen. Dann würden Vertreter der 30 Alliierten in Anwesenheit der Außenminister Finnlands und Schwedens die sogenannten Beitrittsprotokolle unterzeichnen, sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Donnerstag nach einem NATO-Gipfel in Madrid. US-Präsident Joe Biden betonte, dass das Bündnis "jeden Zentimeter des NATO-Gebiets verteidigen" werde.

Kreml-Chef Wladimir Putin sei es nicht gelungen, die NATO zu spalten, sagte Biden. "Wir sind vereinter denn je." Er lobte zugleich, dass Bündnispartner wie Deutschland ihre Verteidigungsausgaben deutlich angehoben haben. Während der US-Präsident ein weiteres 800 Millionen Dollar (760,67 Mio. Euro) schweres Waffenhilfepaket für die Ukraine ankündigte, brachte der britische Premier Boris Johnson eine weitere Erhöhung der NATO-Militärausgaben ins Spiel. Johnson nannte ein Ausgabeziel von 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), da das bisherige Zwei-Prozent-Ziel aus einer "anderen Ära" stamme.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg.
© GABRIEL BOUYS

NATO verspricht Schutz für Finnland und Schweden

Stoltenberg stellte klar, dass das Verteidigungsbündnis auch seine beiden neuen Mitglieder Schweden und Finnland schützen wird. Die Allianz sei dazu da, alle Mitgliedsstaaten zu beschützen, sagte der Norweger am Donnerstag zum Abschluss des Madrider NATO-Gipfels. "Wir sind auf alles vorbereitet", betonte er.

Die NATO-Staaten hatten am Mittwoch nach wochenlanger Blockade durch die Türkei das Verfahren zur Aufnahme von Finnland und Schweden gestartet. Ankara hatte seinen Widerstand dagegen erst am Vorabend aufgegeben. Nachdem die Beitrittsprotokolle unterzeichnet sind, müssen diese noch von den Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Bis alle 30 Alliierten dies erledigt haben, könnte es Schätzungen zufolge sechs bis acht Monate dauern. In Deutschland muss auch der Bundestag zustimmen. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz sagte nach Gipfelende, dass der Ratifizierungsprozess noch diese Woche beginnen soll.

Stoltenberg kündigte an, dass der NATO-Gipfel im kommenden Jahr in Litauen stattfinden werde. "Wir werden uns im nächsten Jahr zum NATO-Gipfel in Vilnius, Litauen, wiedersehen", sagte er. Litauen hat eine gemeinsame Grenze mit der russischen Ostsee-Enklave Kaliningrad. Der baltische Staat grenzt zudem an Belarus, einen engen Verbündeten Moskaus.

Die 30 NATO-Staaten hatten am Mittwoch beschlossen, die Zahl der Soldaten in hoher Einsatzbereitschaft von 40.000 auf 300.000 zu erhöhen. Außerdem werden mehr schwere Waffen vor allem ins Baltikum und nach Polen verlegt.

Stoltenberg fordert Ende des brutalen Krieges gegen die Ukraine

Stoltenberg forderte Kreml-Chef Wladimir Putin zum sofortigen Abzug der Invasionstruppen aus der Ukraine auf. "Der brutale Krieg von Präsident Putin gegen die Ukraine ist absolut inakzeptabel", sagte er. Nicht nur verursache der russische Angriffskrieg Tod und Zerstörung in der Ukraine, er habe etwa in Form steigender Lebensmittelpreise auch Auswirkungen auf die ganze Welt. "Deshalb sollte Präsident Putin seine Streitkräfte zurückziehen und diesen Krieg sofort beenden, in dem er aufhört, eine demokratische, souveräne Nation anzugreifen und so viel Leid in der Ukraine zu verursachen."

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Scholz sagte, dass er wegen der Norderweiterung keine neuen Spannungen mit Russland erwarte. Putin habe die anstehende Erweiterung "unbeeindruckt zur Kenntnis genommen", sagte Scholz. Insofern sei nach jetzigem Stand keine Eskalation absehbar. Dass Putin die NATO imperialistisch nenne, sei "lächerlich", fügt Scholz allerdings hinzu. Die NATO sei eine rein defensive Allianz. Stattdessen sei es Russland selbst, das imperialistisch agiere. Mit einem schlichten "Lass es bleiben" rief der deutsche Kanzler Putin zum Ende des Ukraine-Krieges auf.

Scholz: Russland ist Bedrohung für Europa

Scholz bezeichnete Russland als Bedrohung für die Europa und die NATO. "Es bedroht die internationale Ordnung", sagte er zum Abschluss des Gipfels. "Durch seine aggressive Politik stellt Russland wieder eine Bedrohung für Europa und für die Allianz dar." Die NATO ziehe die richtigen Schlüsse daraus und stärke ihre Verteidigungsfähigkeit. Deutschland werde konkret dauerhaft eine gepanzerte Division mit 15.000 Soldaten, einem regionalen Marinekommando, 60 Flugzeugen und 20 Marineeinheiten bereithalten, sagte Scholz. Der französische Präsident Emmanuel Macron kündigte die Lieferung von sechs Artilleriegeschützen des Typs Caesar an die Ukraine an. Russland dürfe den Krieg in der Ukraine nicht gewinnen, weil dies die Sicherheit Europas insgesamt gefährden würde. (APA, dpa, Reuters)

Pressestimmen zum NATO-Gipfel in Madrid

Zum NATO-Gipfel in Madrid sowie zur Reaktion des westlichen Verteidigungsbündnisses auf die russische Aggression gegen die Ukraine schreiben Zeitungen am Donnerstag:

Frankfurter Allgemeine Zeitung:

"In der internationalen Politik gibt es ein paar verlässliche Gesetzmäßigkeiten. Dazu gehört, dass eine militärische Bedrohung ein Gegengewicht hervorruft. Genau das geschieht jetzt in Europa. Die NATO verstärkt ihre Ostflanke, erstmals werden sogar amerikanische Soldaten permanent in Polen stationiert. (...) Sie wird ihren Schutzschirm nach Nordeuropa ausdehnen, womit auch diese strategisch wichtige Region sicherer wird vor Putin. Die Ukraine (...) erhält weiter Unterstützung. (...) Es fällt schwer zu glauben, dass Putin all das sehenden Auges in Kauf genommen hat, von den wirtschaftlichen Folgen des Krieges für Russland ganz zu schweigen. Offenbar ist er nicht der Stratege, für den er sich hält. Den Krieg in der Ukraine kann er noch gewinnen. Aber gegen die NATO, die er doch zurückdrängen wollte, hat er keine guten Karten."

La Repubblica (Rom):

"Die russische Invasion in die Ukraine löste die Identitätskrise der NATO. Stets gilt das Prinzip, dass Militärbündnisse einen Feind brauchen, um zu funktionieren: Wladimir Putin hat diese Rolle vollkommen übernommen und ermöglichte es der NATO, die Krise im Endstadium, von der Macron 2019 sprach, hinter sich zu lassen. Auf dem Gipfel in Madrid hat die NATO ihre ursprüngliche Funktion wiederentdeckt: die kollektive Verteidigung des euro-atlantischen Raums hinsichtlich eines Russlands, das laut des neuen Strategischen Konzepts die bedeutendste und direkteste Bedrohung für die Sicherheit der Alliierten darstellt.

Über Jahre wankte die NATO nach dem Fall der Berliner Mauer zwischen verschiedenen Entscheidungen: die Erweiterung um ehemalige Mitglieder des Warschauer Pakts, der Eingriff im Kosovo 1999, Rückhalt für die Vereinigten Staaten in Afghanistan nach dem 11. September, um dann am Ende mit Trumps klaren Zweifeln an ihrem Nutzen und der katastrophalen Handhabung beim Abzug aus Kabul den Abwärtstrend einzuläuten. Heute scheint all dies der Vergangenheit anzugehören: In der Gegenwart erscheint den westlichen Demokratien das Atlantische Bündnis als die vernünftigste Wahl für Sicherheit, um sich einer Konfrontation mit Putins Russland zu stellen, die verspricht, lang und schwierig zu werden."

Nepszava (Budapest):

"Das neue strategische Konzept des Bündnisses reflektiert, wie sehr sich die Welt gewandelt hat. (...) Die Ironie des Schicksals will es, dass ausgerechnet jener (Wladimir) Putin mit seiner Aggression gegen die Ukraine dem nordatlantischen Bündnis neues Leben eingehaucht hat, der diese Militärallianz als Feind betrachtet. Die tut nun Dinge, die noch vor einem halben Jahr unvorstellbar gewesen wären. (...) Die Mannstärke der schnellen Eingreifkräfte soll von 40 000 auf 300 000 erhöht werden. Und das neue strategische Konzept der NATO definiert Russland als die 'größte Bedrohung'. Es ist jedenfalls beruhigend, dass die NATO auf die neuen, dramatischen Herausforderungen reagiert. Doch zugleich geben diese Entwicklungen Anlass zur Sorge, denn sie signalisieren, dass wir wieder in einer Unsicherheit leben müssen wir vor Jahrzehnten (im Kalten Krieg)."

Wall Street Journal (New York):

"Der Einmarsch Russlands in die Ukraine macht den NATO-Gipfel in dieser Woche zu einem der wichtigsten der vergangenen Jahre – und bisher zu einem überwiegend guten. Die Türkei hat endlich ihren Widerstand gegen den Beitritt Finnlands und Schwedens zum Bündnis aufgegeben, das damit auch seine militärische Schlagkraft gegen die russische Bedrohung stärkt. (...)

Das Weiße Haus kündigte außerdem den größten militärischen Präsenzausbau in Europa seit Jahrzehnten an, insbesondere in den östlichen Ländern in unmittelbarer Nachbarschaft Russlands. (...) Die größte Enttäuschung ist das weitgehende Ausbleiben neuer Verlegungen von Streitkräften an die Ostflanke der NATO durch europäische Länder. In einem Merkblatt des Weißen Hauses heißt es, dass diese in Kürze erfolgen würden, und sie sind wichtig, wenn Europa die Unterstützung der USA für eine gemeinsame Bürde aufrechterhalten will. Die Welt ist im vergangenen Jahr ein viel gefährlicherer Ort geworden, und die westlichen Staaten müssen ihre militärische Abschreckungskraft entsprechend verstärken."

De Standaard (Brüssel):

"Putin sah in der Aussicht, dass die Ukraine eines Tages in das Militärbündnis aufgenommen werden könnte, eine Bedrohung des russischen Einflussbereichs, die es mit allen Mitteln zu beseitigen galt. Doch weniger als sechs Monate später hat Putin mit seinem blutigen Krieg genau das Gegenteil erreicht: Er hat die NATO aus ihrem halbkomatösen Zustand wachgerüttelt, und seither baut das Bündnis mit großem Elan eine Verteidigungslinie an seiner Ostgrenze auf. (...)

All dies macht diesen Krieg noch absurder und schmerzhafter, vor allem jetzt, da Russland auch zivile Ziele außerhalb der Frontzone bombardiert und damit der ukrainischen Bevölkerung das Gefühl gibt, nirgendwo mehr sicher zu sein. Putin hat gepokert und verloren. Das wird ihn aber nicht davon abhalten, die Ukrainer in die Flucht zu treiben und das Land weiter zu zerstören."

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