Musik

Großer Schmalz kühl beobachtet: Das Comeback des Blumfeld-Frontmans

Jochen Distelmeyer wie früher: „Gefühlte Wahrheiten“ sind 12 Songs über die Liebe, die auch politisch ist.
© Sven Sindt

Songs, die nur er so schreibt: Nach 13 Jahren meldet sich der einstige Blumfeld-Frontman Jochen Distelmeyer mit „Gefühlte Wahrheiten“ solo zurück.

Von Barbara Unterthurner

Innsbruck – Jochen Distelmeyer kann viel. Nur das mit dem Dosenwerfen sollte er sein lassen. Kein gutes Ziel. Gerade einmal drei fallen beim ersten Wurf im Video zu „Ich sing für dich“. Der Schausteller? Unbeeindruckt. So viel Gleichgültigkeit ist der Musiker nicht gewohnt. Denn zumindest in der Musik hat der Deutsche schon so oft mitten ins Schwarze getroffen. Die musikalische Nische, die er sich in dreißig Jahren Karriere geschaffen hat, verteidigt er trotzig. Nicht nur die Fans, auch die Kritik lobt die Eigenständigkeit. Für sie alle, für ein riesiges „Dich“ hat er nun „Ich sing für dich“ aufgenommen. Um uns mit einer großen musikalischen Umarmung zu zeigen: Ich bin wieder da.

Dabei war der deutsche Musiker ja nie weg. Auch wenn er 2007 als Blumfeld-Kopf den Hut nahm. Solo schlug er 2009 mit „Heavy“ umso härter ein. Unvergessen bleibt die Verbindung mit dem Diskurspop, als Blumfeld Anfang der Neunziger den ersten Soundtrack für die Hamburger Schule lieferten. Die „Ich-Maschine“ wird heuer 30 Jahre alt. Auf Jubiläumstouren lässt die Combo sich heute noch wie damals feiern.

Nach 2009 kam solo aber nichts mehr Eigenes nach. In dreizehn Jahren hat er lieber zwei persönliche Mixtapes vorgelegt. Mit dem Besten vom Besten – jedenfalls für Distelmeyer. Da gehört „Toxic“ von Britney Spears oder „Bitter Sweet Symphony“ von The Verve dazu. Gecovert mit Akustikgitarre. Sehnsuchtsvoll hoch zwei. Dafür gab es nicht nur Applaus. Ebenso wenig übrigens wie für seinen Ausflug in die Literatur. Für den Roman „Otis“ schickte er einen Tristan auf Odyssee durch Berlin. Aber surprise: Die Irrfahrt endete als Bauchfleck.

Jetzt also wieder Distelmeyer wie früher. Mit betörender Stimme auf radikale Einfachheit gebürstet. Als Seismograph des Heute hat er die Gitarre in der Hand, zupft andächtig für die Liebe und klampft Politisches dazu. Den großen Schmalz und das kühle Beobachten verpackt in Songs, die nur er schreiben kann.

Das hört man gern – und das lässt wie im eingangs erwähnten und fürs Album ganz zentralen „Ich sing für dich“ aufhorchen. Das kann aber auch irritieren – wie im düsteren Opener „Komm (So nah wie du kannst)“, wo ein eindringliches „Komm, komm, komm“-Mantra über elektronischen Beats schwer nach den ausgehenden 1990ern müffelt. Und sich mitsamt Frauenchor gar unangenehm aufdrängt.

Weitaus leichter ist das nachfolgende „Zurück zu mir“, ein Song, der klanglich in schönster Harmonie gipfelt, aber doch ein trotziges Trennungsstück bleibt. Zunächst geht ein „Ich“ gegen ein „Sie“ vor, bald wird aber mit der ganzen Welt abgerechnet. „Das real life ist den Hatern“ da „ins Netz gegangen“, singt Distelmeyer. Und findet „egal, wohin man surft, nur verwirrte Seelen“. Am Ende bleibt doch nur mehr die Liebe. Ja, immerhin.

Aufs Cover des Albums hat’s übrigens Boschs „Erschaffung der Welt“ geschafft, die nicht nur (noch) menschenleer ist, sondern auch schön flach. Früher war’s halt auch nicht besser – auch wenn es sich alternative Wahrheiten gern so ausmalen. Wohin Distelmeyer in diesem Album will, wird bald klar. Da und dort fallen ein paar kluge Tatsachen ab, viel Gefühl ist eindeutig zweideutig. Fix aber ist: Das Private ist auch immer politisch.

Einer der großen Pop-Momente ist jedenfalls „Im Fieber“, das sich vorsichtig in Richtung der Achtziger hingroovt. Sobald der Glitzer abfällt, liegt die Grund-Melancholie wieder ganz offen da. So ähnlich funktioniert übrigens auch „Tanz mit mir“.

So weit, so schlüssig. Doch dann wechselt Distelmeyer für drei Songs in den Country.Und ins Englische. Ein bisschen Dylan spielen. „Nicht einsam genug“ wieder geht elf Minuten lang. Kurzum: Mit „Gefühlte Wahrheiten“ wird der Musiker nicht alle neune treffen. Ganz einfach macht er es sich und dem Publikum halt nie.