Italien

Vier Jahre nach Brückeneinsturz in Genua: Prozess begonnen

Zwei Jahre nach dem Unglück wurde die neue Brücke eröffnet.
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Angeklagt sind 59 Personen. Der Vorwurf lautet auf Fahrlässigkeit, Behinderung der Verkehrssicherheit, Fälschung und vorsätzliches Weglassen von Sicherheitsvorkehrungen.

Genua – Fast vier Jahre nach dem Einsturz der "Morandi"-Autobahnbrücke in Genua mit 43 Todesopfern hat am Donnerstag der Prozess wegen des Unglücks am 14. August 2018 begonnen. Angeklagt sind 59 Personen, darunter Giovanni Castellucci, der Ex-Chef der Autobahngesellschaft "Autostrade per l'Italia" (ASPI), Betreiberin der eingestürzten Brücke. Der Vorwurf lautet auf Fahrlässigkeit, Behinderung der Verkehrssicherheit, Fälschung und vorsätzliches Weglassen von Sicherheitsvorkehrungen.

Bei den Angeklagten handelt es sich um hochrangige Manager des Autobahnbetreibers, um Fachleute sowie höhergestellte Beamte des Verkehrsministeriums in Rom. Der Staatsanwaltschaft von Genua zufolge hatten die meisten Verdächtigen mit dem Einsturz der in den 1960er-Jahren gebauten Brücke gerechnet und trotzdem nichts unternommen, um ihn zu verhindern. Sie sollen bei der Instandhaltung möglichst viel Geld einsparen haben wollen, um den Aktionären höhere Dividenden zu sichern. Es soll schon lange vor dem Einsturz bekannt gewesen sein, dass es Schäden am Bauwerk gab.

Überlebender als erster Zeuge

Die Anklage will mehr als 170 Zeugen befragen. Außerdem sind weit über 300 Zivilkläger zugelassen, weitere könnten noch folgen. Ein Komitee, in dem sich die Familienangehörigen der Opfer zusammengeschlossen haben, will als Nebenkläger am Verfahren zugelassen werden. Der Prozess soll voraussichtlich zwei Jahre lang dauern. Die nächste Gerichtsverhandlung ist am 12. September geplant. Weitere Befragungen wurden bis zum 19. Juli 2023 festgesetzt.

Am ersten Prozesstag erschien auch Gianluca Ardini, einer der Überlebenden des Unglücks. Vier Stunden lang hatte der 33-jährige Kaufmann aus Genua nach der Katastrophe ausharren müssen, bevor er aus den Trümmern seines Lieferwagens geborgen wurde. Ardini war mit einem Kollegen auf der Morandi-Brücke unterwegs, als sein Fahrzeug 40 Meter in die Tiefe stürzte und sich in den Trümmern verkeilte. Mit Knochenbrüchen und einer verletzten Schulter klammerte sich Ardini stundenlang an den Trümmern fest, bis ihn Feuerwehrleute befreiten. Der Gedanke, dass er bald Vater werden würde, hielt ihn damals am Leben.

"Ich bin hier, weil ich den Angehörigen der Opfer nahe sein will", betonte Ardini. Dabei umarmte er die Mutter von Mirko Vicini, einem Arbeitnehmer, der unter den Trümmern der Brücke ums Leben kam. "Wir hoffen, dass die Wahrheit über die Ursachen dieser Katastrophe beim Prozess ans Licht kommt", erklärte Egle Possetti, Sprecherin der Angehörigen.

Verteidigung: Einsturz wegen strukturellen Bauschwächen

Die Anwälte des Hauptangeklagten Ex-Autobahnchef Castellucci warnten, der Prozess dürfe nicht zu einem "Racheakt" gegen den Manager und die Autobahngesellschaft werden. "Castellucci hat keinerlei Verantwortung", betonte sein Anwalt Giovanni Accinni. Die Verteidiger wollen beweisen, dass die Brücke wegen strukturellen Bauschwächen eingestürzt sei, für die ihr Mandant nicht verantwortlich gemacht werden könne.

Der Einsturz am 14. August 2018 löste in ganz Italien Bestürzung aus. Das Unglück hatte sich bei strömendem Regen ereignet, während Familien auf dem Weg zum Sommerurlaub in Ligurien waren. "Ich habe einen Blitz in die Brücke einschlagen sehen – und dann brach das Viadukt in sich zusammen", berichtete eine Augenzeugin. Fahrzeuge stürzten 40 Meter in die Tiefe und verkeilten sich in den Trümmern. Hunderte, die in Häusern unter der langen Hochbrücke wohnten, wurden obdachlos. Die Reste des Bauwerks wurde abgerissen. Im August 2020 wurde eine neue, vom Stararchitekten Renzo Piano entworfene Brücke eingeweiht, die "Ponte San Giorgio" heißt. (APA)

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