„Corsage" im Kino: Aufbegehren gegen royale Zwänge
In Cannes wurde Vicky Krieps für ihr Portrait von Kaiserin Elisabeth ausgezeichnet. Nun startet „Corsage“ in den Kinos.
Von Marian Wilhelm
Innsbruck – Die Korsage zieht sich Kaiserin Elisabeth nicht selbst an. Doch wie locker oder fest zugeschnürt wird, entscheidet sie ganz allein. Mit dem Schlankheits-Kleidungsstück kann sie dabei besser umgehen als mit den gesellschaftlichen Zwängen, die ihr am Wiener Hof des Jahres 1877 die Luft zum Atmen nehmen.
Elisabeth ist 40 Jahre alt und ihrer vornehmlichen Aufgabe überdrüssig. Sie soll repräsentieren. Buchstäblich bis zum Umfallen. Und Umfallen hat sie gelernt. Sie täuscht Schwächeanfälle vor, um nicht schon wieder als dekorative Begleitung ihres backenbärtigen Kaiser-Gattens zu einer Museumseröffnung gehen zu müssen.
Daheim demonstriert sie diese Schauspieltechnik dann ihrem Cousin, dem bayerischen Märchenkönig Ludwig II. (Manuel Rubey). Oder sie versucht bei wilden Ausritten ihre Gedanken zu klären. Oder bei Vergnügungen mit ihrem Reitkompagnon Begehren auszuleben. Vergnügen nämlich, das erklärt Kaiser Franz-Joseph (Florian Teichtmeister), spiele bei der Ausübung royaler Pflichten wirklich keine Rolle.
Elisabeth wehrt sich mit Händen, Füßen und herausgestreckter Zunge gegen die Vorgaben des höfischen Protokolls. Bisweilen verabschiedet sie sich mit dem Stinkefinger von reich gedeckten Banketts. Oder sie verschafft sich mit der Faust Gehör für ihre Vorhaben in Sarajewo.
Thronfolger Rudolf, der später Suizid begehen wird, ist schon erwachsen und ebenso unglücklich mit seiner Rolle wie seine Mutter mit ihrer. Die kleine Marie Valerie Mathilde Amalie erzieht Elisabeth fürsorglich und auf Ungarisch. Nachdem die ehelichen Pflichten mit den Kindern erledigt sind, organisiert sie ihrem Mann eine blutjunge kaiserliche Mätresse. Ansonsten ist sie ihrem Kaiser jedoch eher feindschaftlich verbunden und bevorzugt es, auf Reisen zu gehen.
Die feministischen Konflikte, die im symbolischen Titel „Corsage“ stecken, bilden den Dreh- und Angelpunkt dieser filmischen Neuentdeckung von Sisi/Sissi. Regisseurin Marie Kreutzer („Der Boden unter ihren Füßen“, 2019) entfernt sich damit so weit als nur irgendwie möglich von Ernst Marischkas verkitschten Mädchen-Märchen aus den 50er-Jahren.
Corsage
Ab 14 Jahren. Derzeit im Kino.
„Corsage“ ist – wie es sich für einen österreichischen Film, der auch international reüssieren will, gehört, möchte man sagen – primär ein Themenfilm ohne wirkliche Spielfilmstory. Diese Themen zwischen Freiheit, Emanzipation und Aufbegehren zeichnen sich deutlich an der filmischen Oberfläche ab, werden aber recht geschickt über die Hauptfigur erzählt. Dass „Corsage“ eine ordentliche filmische Kraft entfaltet, liegt einerseits an der episodisch-dynamischen Montage. Musikalisch markant begleitet – unter anderem vom Song „She Was (à la Chapelle)“ der französischen Chansonnière Camille – reist man angenehm entstaubt ins 19. Jahrhundert.
Diese Elisabeth ist eine Paraderolle für die Schauspielerin Vicky Krieps, die just während der Dreharbeiten zu „Corsage“ 2021 in einem Video die Corona-Maßnahmen lächerlich machte. Krieps wurde vor allem durch Paul Thomas Andersons meisterhaften „Phantom Thread“ bekannt, der „Corsage“ in seiner feinen Figurenzeichnung gar nicht so unähnlich ist.
Krieps hatte das „Elisabeth“-Projekt schon vor Jahren angeregt. Während sich die anderen Charaktere und ihre Darstellenden recht blass ausnehmen, präsentiert sich ihre Sisi spannend-modern und menschlich-ambivalent. Für ihr Spiel wurde sie im Mai bei den Filmfestspielen in Cannes ausgezeichnet.
Unterm Strich ist „Corsage“ ein bemerkenswerter Kommentar auf eine fehlinterpretierte popkulturelle Ikone der österreichischen Identität, der auf der Leinwand nicht nur intellektuell kraftvoll wirkt.