Bei Gasmangel könnte sich die Inflation verdoppeln
Das Wifo rechnet mit neun Prozent Inflation in der zweiten Jahreshälfte – vorausgesetzt das Gas fließt. Sonst wären es wohl 18 Prozent.
Berlin – „Da schlummert gewaltiges soziales Konfliktpotenzial“, warnt Gabriel Felbermayr, Wifo-Chef, bei einer Verbund-Diskussionsveranstaltung am Donnerstag in Berlin – und meint ein Szenario, in dem es über den Winter nicht genügend Gas gibt. Dann werde vieles nicht mehr nach marktwirtschaftlichen Regeln über die Bühne gehen. Es drohten „kriegswirtschaftliche Zustände“, die die Menschen „auf die Straße treiben“ könnten. Dann sei auch wieder Kurzarbeit zu erwarten, „mit schnell sehr großen Zahlen“. Da würden Einmalzahlungen nichts helfen, die Menschen würden nur noch merken, dass ihnen zur Monatsmitte das Geld ausgeht. Die Inflation würde sich dann wohl von den aktuell prognostizierten neun auf 18 Prozent verdoppeln, so Felbermayr.
Von Kriegswirtschaftszuständen im Winter sprach auch der frühere EU-Kommissar aus Deutschland, Günther Oettinger. Es werde „einen Gaspreis geben, der sich gewaschen hat“, da der russische Präsident Wladimir Putin „den Gashahn auf- und zudrehen“ und damit die Befüllung der Speicher verhindern werde. Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) sprach von einem „Tal der Tränen“, durch das man durchmüsse und sagte, man müsse der Realität ins Auge blicken, „dass wir mit einem Wohlstandsverlust rechnen müssen“. Es werde sich die Frage stellen „was hält man aus“. Angesichts dessen, was Europa möglicherweise jetzt bevorstehe, „war die Corona-Pandemie nur zum Warmlaufen“, sagte die Ministerin.
Verbund-Chef gegen Preisdeckel
Felbermayr forderte eine Abkoppelung des Strompreises vom Gaspreis. Ein Preisdeckel müsste auf jeden Fall im europäischen Gleichschritt erfolgen und werde auch „zig Milliarden“ kosten, sei aber dennoch effizienter als Maßnahmen wie Sondersteuern auf Energieunternehmen oder ein Tankrabatt. Allerdings hätte es zahlreiche Folgekosten wie Exportverbote für den mit Steuergeld verbilligten Strom.
Dem hielt Verbund-Chef Michael Strugl entgegen, dass solche Eingriffe in den Strommarkt unweigerlich zu einem staatlich regulierten Preis führen müssten „wie bei uns vor 20 Jahren“ – was er ablehne. Auch habe der Preisdeckel in Spanien und Portugal dazu geführt, dass dort „Gaskraftwerke Tag und Nacht laufen“ – das würde den Gasmangel beschleunigen. Aus seiner Sicht ist die einzige Alternative, so rasch wie möglich neue Kapazitäten für erneuerbare Energie zu schaffen. „Wir müssen bauen, bauen, bauen“. Erst wenn genug Kraftwerke mit erneuerbarer Energie zur Verfügung stünden, würden fossile Kraftwerke aus dem Markt gedrängt. In der Übergangszeit müsse man sozial Bedürftige und betroffene Unternehmen unterstützen.
Einig war sich die Runde aber, dass Europa diese Krise nur gemeinsam meistern könne. (APA)