Auftakt von ImPulsTanz 2022: Wasserspiele und Rollen-Geplänkel
Glamourös rückwärtsgewandter Auftakt von ImPulsTanz 2022: Das Tanztheater Wuppertal zeigt „Vollmond“.
Von Bernadette Lietzow
Wien – „Bei Vollmond wird man nicht besoffen“, heißt es sinngemäß in diesem dem Nachtgestirn gewidmeten, 2006 entstandenen Stück der legendären, vor 13 Jahren verstorbenen deutschen Choreografin Pina Bausch. Angesichts des schieren Wassermengen, mit denen die DarstellerInnen des Tanztheater Wuppertal zu kämpfen haben, besteht eher Verkühlungsgefahr.
Allemal etwas verschnupft ist man als Gast dieser am Donnerstag als Eröffnung des Festivals ImPulsTanz am Burgtheater zur österreichischen Erstaufführung gebrachten Performance, scheint diese doch, abseits beeindruckender Tanzleistung, seltsam aus der Zeit gefallen. Das zwölfköpfige Ensemble, sieben Tänzerinnen und fünf Tänzer, illustriert in 150 dichten Minuten, immer streng entlang definierter Geschlechtergrenzen, Zärtlichkeit wie Gewalt, Konkurrenz wie lustvolles Miteinander, Kampf und Spiel mit und gegen die Natur. Ein seichter Graben, der sich schnell mit vom Schnürboden fallenden Regen füllt, und ein schwarzer, an einen Meteoriten erinnernder Felsbrocken bestimmen den von Peter Papst gestalteten Aktionsraum.
Marion Citos Kostüme sehen für das weibliche Ensemble fließende Abendkleider vor, die sich wirkmächtig mit Wasser ansaugen und damit Effekte generieren, in Verbindung mit Stöckelschuhen und wallendem Langhaar jedoch zu unbekümmert ein traditionell-weibliches Stereotyp bedienen. Eine Entsprechung findet sich auch auf inhaltlicher Ebene: Während die Tänzer, in Hemd und Hose oder freiem Oberkörper, mit Stöcken hantieren, zwischen Gläsern Slalom laufen oder sich gegenseitig mit einem Stein traktieren, dürfen die Frauen zwar über die wenigen gesprochenen und mit ironischen Gesten begleiteten Worte verfügen („Ich bin sauer“, „Ich habe Hunger“ ...), ansonsten vielfach eher reagieren als agieren. Da erklimmt für eine halblustige Wilhelm-Tell-Szene eine Tänzerin den Fels, während ihr Partner versucht, den auf ihrem Haupt abgestellten Plastikbecher mit einer Wasserpistole zu treffen. Da schleifen, an Waterboarding gemahnend, zwei Performer ihre Kollegin durch den Wassergraben, Zuneigung drückt sich in Papierschnipseln aus, die ein Verliebter sein Objekt der Begierde ablecken lässt, bevor die Zettel-„Perlen“ am Frauenhals Platz finden.
Das gesellschaftliche Gewicht und die Gelassenheit fluider Rollenbilder vermisst man schmerzlich in „Vollmond“, was die Produktion ziemlich alt aussehen lässt. Trotzdem fasziniert und triumphiert die Kunst der tänzerischen Bewegung, die Präzision des Gleitens und Rutschens, der Sprünge und Figuren – und nicht zuletzt die frenetische Hingabe der Wuppertaler Compagnie an die große Anstrengung, das Wasser als mächtiges Element die Choreografie bestimmen zu lassen. Das alles bleibt aufsehenerregendes Andenken und Vermächtnis des Schaffens der stilprägenden Künstlerin Pina Bausch.