Ein Familiendrama mit viel Feuer und Rauch
Schnörkellos dramatisch: umjubelte fulminante Premiere von Wagners Ring-Oper „Die Walküre“ bei den Tiroler Festspielen in Erl.
Von Joachim Leitner
Erl – Es ist schwierig. Einem Familientherapeuten hätte es die Schweißperlen auf die Stirn getrieben, was sich da um ihn herum bei der Premiere der „Walküre“ auf der Bühne des Erler Passionsspielhauses abspielte. Wobei die ganzen Verwandtschaftsverhältnisse ohnedies nicht auflösbar scheinen. Jeder ist da irgendwie mit jedem verwandt, sogar mit sich selbst. Auf alle Fälle hat Göttervater Wotan eine ganze Reihe an außerehelichen Kindern gezeugt, kein Wunder, dass seine Ehefrau Fricka ihm zürnt. Als sich auch noch die Geschwister Siegmund und Sieglinde ineinander verlieben und in inzestuöser Liebe ein Kind (aus ihm wird einst der Held Siegfried werden) zeugen, nimmt das Drama seinen Lauf. Zum Drüberstreuen muss Wotan auch noch mit seiner Lieblingstochter Brünnhilde kämpfen, die sich in einem Anfall von Emanzipation auflehnt und ihre Walküren-Schwestern aufhetzt. Da ist es vorbei mit Gut-Zureden. Wotan greift durch. Er opfert seinen Lieblingssohn Siegmund, schickt die aufsässige Tochter in den Schlaf – da raucht es gewaltig und steigen die Flammen auf. Eigentlich war es der erste so richtige (technische) Ausbruch auf der Bühne in Erl. Da sind wir dann aber nach vier Stunden schon am Ende.
Regie-Altmeisterin Brigitte Fassbaender inszeniert nämlich Richard Wagners Walküre bei den Tiroler Festspielen behutsam, ohne Auf-Teufel-komm-raus-Modernisierung. Als einzige Freiheit erlaubt sie sich, Feuergott Loge im knallgelben Anzug auf die Bühne zu holen, der für das abschließende flammende Inferno sorgt. Aber Fassbaender lenkt nicht von Richard Wagners Musik ab, sondern unterstützt sie genauso wie das Bühnenbild (Kaspar Glarner, Licht: Jan Hartmann, Video: Bibi Abel). Eine wohltuend schnörkellose, dramatisch packende Premiere der Wagnerischen Ring-Oper bei den Erler Festspielen, die man da am Samstag miterleben durfte.
Sängerisch brillierte allen voran Simon Bailey in der Rolle des Wotan. Er ist weniger der furchterregend wütende Göttervater, sondern vielmehr der menschlich gebrochene und erschütterte Mensch. Nur den notorischen Ehebrecher und Filou von einst will man ihm nicht so ganz abnehmen. Im dritten Akt gemeinsam mit Christiane Libor als Brünnhilde, die das Spiel mit stimmlicher Bravour vorantrieb, erlebte die Aufführung ihre ganz großen Momente. Weiteres Glanzlicht des Abends: Irina Simmes debütierte in Erl in der Rolle der Sieglinde, stimmlich und musikalisch souverän der Aufgabe gewachsen. Clay Hilley als Siegmund ist ein Heldentenor, genau so, wie er sein soll, Claire Barnett-Jones sang eine wütende, aufgebrachte Fricka, die dem Pantoffel-Gott Wotan ordentlich einheizt. Ja, bei Fassbaender sind die Frauen eben ganz stark. Anthony Robin Schneider als Hunding und die temperamentvollen Walküren Ekin Su Paker, Mojca Bitenc, Nina Tarandek, Corinna Scheurle, Anna Werle, Anna-Katharina Tonauer, Marta Herman, Ksenia Leonidova machten den am Ende vom Publikum gefeierten Triumph des Ensembles perfekt.
Dann ist da noch das Festspiel-Orchester, das wie immer makellos musizierte. In diesem Fall hinter einem Gazevorhang direkt auf der Bühne. Musikalisch gestaltet und zusammengehalten wurde das alles von Chefdirigent Erik Nielsen. Er steuerte mit sicherer Hand durch Wagners so verwobenes Werk, bremste jedoch bei der Premiere teilweise zu stark, was die Sänger manches Mal atemlos machte. Etwas verhalten und kraftlos geriet auch im dritten Akt der so berühmte „Ritt der Walküren“. Da überwog anscheinend die Vorsicht, um nicht die Sänger untergehen zu lassen, das war allerdings unbegründet.