Elīna Garanča: Belcanto, der Seelen splittern lässt
Elīna Garanča und Freunde schüren in Kitzbühel die Sehnsucht – und stellen sich doch den Krisen der Gegenwart.
Kitzbühel – Sehnsucht. So hat Dirigent und künstlerischer Leiter Karel Mark Chichon die heurige, neunte Auflage von Klassik in den Alpen am Samstagabend im Kitzbüheler Pfarrau-Park überschrieben. Sehnsucht, das heißt dieser Tage wohl vornehmlich: sich wegsehnen, weg von der Krise und Katastrophen, weg von Klima, Krieg und Corona – wenigstens für einen Abend lang. Doch etwas ganz anderes haben sich Chichon und seine Frau, Star-Mezzo Elīna Garanča, für diesen Abend vorgenommen – zunächst jedenfalls. „Es ist mir ein Anliegen, dass wir uns an diesen Krieg in Europa nicht einfach gewöhnen“, wird Garanča wenig später auf der Bühne sagen. Mit einer ab Herbst erhältlichen DVD-Aufzeichnung ihres Konzertes auf Stift Göttweig sammelt sie für jene, die der russische Angriff vertrieben hat. Und auch musikalisch rufen Chichon und das Symphonieorchester der Wiener Volksoper den Krieg ins Gewissen: Zunächst wird die Hymne der Ukraine gespielt, dann Rossinis Guillaume-Tell-Ouvertüre: Freiheitskampfmusik, wenn man so will.
Danach: das eigentliche Programm – hochdramatischer Belcanto. Als Giovanna in Gaetano Donizettis „Anna Bolena“ kann man Garanča bei „Per questa fiamma indomita“ dabei zuhören, wie es klingen könnten, wenn es die Seele einer Liebenden zersplittert. Oder im Anschluss: die spanische Sopranistin Marina Monzó mit der sehr anspruchsvollen Arie „Ah tardai troppo ... O luce di quest’anima“ aus Donizettis „Linda di Chamounix“. Bestechend schließlich Monzós Duett mit dem – in der kommenden Spielzeit an der Staatsoper engagierten – US-Sänger Jonathan Tetelman aus Verdis „Rigoletto“. Tetelman ist ein Kraft-Tenor: energisch, mächtig, bisweilen fast übermütig. Das Duett „Eccola! Va, mi lascia ...“ mit Garanča profitierte ganz besonders davon.
Karel Mark Chichon hat den Abend dramaturgisch klug gebaut: Auf die erdenschweren Höchstleistungen folgte nach der Pause Leichteres: Die 24-jährige Wienerin Marie-Sophie Janke präsentierte sich mit „Una voce poco fa“ als diesjährige „Zukunftsstimme“ – etwas angespannt vielleicht, aber gerade in den fordernden Passagen sehr überzeugend. Es folgten mehrere Zazuela-Auszüge, von denen ein herausragendes „Subir, subir y luego caer“ von Garanča und Tetelmann besonders in Erinnerung blieb, ein feuriger Mambo, ein Medley lateinamerikanischer Melodien (von Bernsteins „West Side Story“ über Carlos Gardels Tango „El día que me quieras“ bis zum immer ein klein wenig gespenstischen „Brazil“) – und schließlich als Zugaben ein schmalzig-schönes „Dein ist mein ganzes Herz“, „O Sole Mio“ als augenzwinkernder SängerInnen-Wettstreit und das obligate „Rosenlied“ aus Carl Zellers „Vogelhändler“. Stehende Ovationen. (jole)