Energiekrise

„Schicksalsgemeinschaft“: Berlin und Wien wollen im Gasnotfall kooperieren

Der deutsche Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck in Wien.
© TOBIAS STEINMAURER

Deutschlands Wirtschaftsminister traf in Wien mit Vertretern der österreichischen Regierung zusammen. Dabei ging es darum, wie man in der Energiekrise zusammenarbeiten kann. Relevant ist das besonders für Tirol.

Wien/Berlin – Der deutsche Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck ist auf Österreich-Besuch. Dienstagvormittag traf er Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne). Für den Fall eines Gasmangels haben die beiden Minister vereinbart, alles zu unternehmen, um die Gasdurchleitung aufrechtzuerhalten. Dies ist vor allem für Tirol und Vorarlberg relevant, die nicht an das österreichische Gasnetz angebunden sind. Die Erklärung umfasst auch Haidach und die LNG-Terminals in Deutschland.

"Wir bekennen uns dazu, dass wir im Ernstfall auch weiter die Durchleitung wollen", sagte Gewessler in einer Pressekonferenz mit Habeck. Beim Gasspeicher Haidach "wollen wir mit einem gemeinsamen Abkommen zur Befüllung auch unsere europäischen Verpflichtungen erfüllen". Die Unternehmen in Österreich forderte Gewessler auf, sich an den kommenden Ausschreibungen der deutschen LNG-Terminals zu beteiligen. "Sie können sich meiner vollen politischen Unterstützung sicher sein", sagte Gewessler in ihre Richtung.

📽️​ Video | Statement von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne)

Österreich, Deutschland und EU in "Schicksalsgemeinschaft"

Europa sei damit konfrontiert, abhängig zu sein und ausbeutbar zu sein, aber "so düster der Tag ist, das muss ja nichts Schlechtes sein, denn damit geht natürlich auch einher ein waches Bewusstsein, dass Politik, dass Menschen, dass Demokratien einen Unterschied machen können", ortet Habeck Chancen für Europa. Österreich, Deutschland und die gesamte EU seien nun in einer "Schicksalsgemeinschaft".

So düster der Tag ist, das muss ja nichts Schlechtes sein, denn damit geht natürlich auch einher ein waches Bewusstsein, dass Politik, dass Menschen, dass Demokratien einen Unterschied machen können.
Robert Habeck (Deutscher Vizekanzler)

Und die Zeit zu sagen, "interessiert mich nicht, kommt ja aus der Steckdose", sei vorbei. Energie erfordere einen bedachtsamen Umgang, denn fossile Energien würden den Planeten aufheizen und erneuerbare Energien das Landschaftsbild verändern. "Den Ausbau von fossilfreier Energie voranzubringen bedeutet auch, die Energieautarkie in Europa nach vorne zu bringen", so Habeck. "Es gibt jetzt eine neue Allianz aus Klimaschutz und Energiesicherheit."

Habeck mit Klimaschutzministerin Leonore Gewessler.
© TOBIAS STEINMAURER

Auch private Haushalte müssen Anteil am Energiesparen leisten

Habeck hinterfragte in Wien die Energielenkung, die sowohl in Deutschland als auch Österreich vorsieht, dass Haushalte besonders geschützt sind. Der Schutzgedanke "Frieren soll niemand" sei richtig, wenn es eine kurzfristige Störung der Versorgung gibt. "Das ist aber nicht das Szenario, dass wir jetzt im Moment haben, sondern wir gehen ja möglicherweise von einer monatelangen Unterbrechung aus", sagte der deutsche Minister. Es solle zwar auch in diesem Fall niemand frieren, aber die privaten Haushalte sollten einen Anteil leisten, denn ein monatelanger Stillstand in der Industrieproduktion hätte massive Folgen für die Menschen im Land.

Im Anschluss an das Gespräch und die Unterzeichnung der Erklärung besichtigten Habeck und Gewessler eine der stärksten Großwärmepumpen Mitteleuropas im Kraftwerk Simmering der Wien Energie. Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) hätte auch am Programm teilnehmen sollen, musste aber wegen einer Corona-Infektion absagen.

📽️​ Video | Statement des deutschen Vizekanzlers Robert Habeck

Am Nachmittag traf Habeck Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher sowie Europaministerin Karoline Edtstadler (beide ÖVP). Edtstadler betonte nach der Unterredung: "Die Herausforderungen bei der Energieversorgung sind enorm, hier brauchen wir europäische Lösungen." Gleichzeitig können die Länder gegenseitig die Erfahrungswerte von anderen Mitgliedstaaten nutzen. "Deutschland hat mit schnelleren Genehmigungsverfahren und im Bereich Wasserstoff wichtige Akzente gesetzt, welche für uns Vorbild sein können."

Den Abschluss des eintägigen Besuchs bildet eine Unterredung mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen.

Habeck hofft, dass Russland Gashahn wieder aufdreht

Erst am Montag gaben Deutschland und Tschechien in Prag bekannt, ein Gas-Kooperationsabkommen zu planen. "Wir helfen uns gegenseitig bei der Gasversorgung", sagte Habeck in Prag. Indes hofft der deutsche Wirtschaftsminister doch auch noch auf weitere Gaslieferungen aus Russland, wenn die Wartungsarbeiten an der Ostsee-Pipeline Nordstream 1 beendet sind. "Ich habe keine geheime Information, weder in die eine noch in die andere Richtung", sagte der Grünen-Politiker am Montagabend in einem Interview mit dem deutschen Sender der ARD. "Die Möglichkeit besteht. Die Chance, dass es nicht so kommt, ist auch da. Wir werden abwarten müssen."

Über die zuletzt wichtigste Route für russisches Erdgas nach Deutschland wird seit Montag nichts mehr geliefert. Nach Angaben der Nord Stream AG sollen die Arbeiten bis zum 21. Juli dauern. In diesen zehn Tagen werde kein Gas durch die Pipeline nach Deutschland befördert, hieß es. Die Sorge, dass Gas im Herbst und Winter knapp wird, ist groß – auch in Italien, Österreich und anderen europäischen Ländern.

📽️​ Video | Kooperation für Gasnotfall vereinbart

"Russland wird bald Farbe bekennen müssen"

Die deutsche Bundesnetzagentur wirft der Regierung in Moskau vor, aus politischen Gründen alternative Lieferwege nicht zu nutzen. "Seit Montagmorgen fließt über Nord Stream kein Gas mehr. Russland beliefert Deutschland jetzt nur noch über die Transgas-Pipeline durch die Ukraine", so der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller.

Die Regierung in Moskau könne die Liefermengen durch die Ukraine jederzeit erhöhen, um ihre vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen, sagte Müller dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). "Dazu fehlt Wladimir Putin aber offenbar der politische Wille." Russland werde allerdings innerhalb der nächsten zwei Wochen Farbe bekennen müssen. "Wenn die in Kanada gewartet Gasturbine bis zum Ende der Nord-Stream-Wartung am 21. Juli wieder eingebaut ist, hätte Russland kein Argument mehr, die Liefermengen beim Gas weiterhin zu drosseln."

OMV: Am Dienstag um 70 Prozent weniger erhalten als vereinbart

Der russische Staatskonzern Gazprom hat dem heimischen Öl- und Gaskonzern OMV nach Beginn der Nord-Stream-1-Wartung die Gas-Liefermengen weiter gekürzt. Man habe auch am Dienstag um rund 70 Prozent weniger als nominiert erhalten, hieß es von der OMV. Zuletzt, seit Mitte Juni, hatte Gazprom noch ungefähr die Hälfte der bestellten Menge geliefert. (TT.com, APA)