Krieg in der Ukraine

USA: Moskau hat bis zu 1,6 Millionen Ukrainer „deportiert", Teil-Entvölkerung als Ziel

Pässe beschlagnahmt und verschleppt: Einige schutzsuchende Ukrainer sollen in den äußersten Osten Russlands gebracht worden sein.
© FADEL SENNA

Kiew hat bereits von massenhaften Verschleppungen nach Russland berichtet. Das US-Außenministerium gibt jetzt konkrete Zahlen heraus und beruft sich dabei sogar auf Quellen aus der Moskauer Regierung. Die Zwangsumsiedlungen seien demnach frühzeitig geplant worden.

Moskau/Kiew – Die USA haben der russischen Regierung die „Deportation" von bis zu 1,6 Millionen Ukrainern nach Russland vorgeworfen. US-Außenminister Antony Blinken bezichtigte Moskau, eine „gesetzwidrige Umsiedlung und Deportation" schutzbedürftiger Menschen vorzunehmen und sprach von einem „Kriegsverbrechen" mit dem Ziel, Teile der Ukraine zu entvölkern.

Blinken äußerte sich im Vorfeld einer Konferenz im niederländischen Den Haag über mutmaßliche Vergehen in der Ukraine. An ihr nehmen der niederländische Außenminister Wopke Hoekstra, der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) Karim Khan und EU-Justizkommissar Didier Reynders teil.

Der US-Außenminister berief sich unter anderem auf Quellen aus der russischen Regierung, die auf eine Zwangsumsiedlung von 900.000 bis zu 1,6 Millionen ukrainischer Bürger aus deren Heimat nach Russland hinwiesen. Teilweise seien Menschen in isolierte Gebiete im äußersten Osten Russlands verschleppt worden. Unter den Deportierten seien rund 260.000 Kinder. Einige von ihnen seien gezielt von ihren Eltern getrennt worden, um in Russland zur Adoption freigegeben zu werden, erklärte Blinken.

Blinken: Ukrainische Bevölkerungsstruktur soll wohl verändert werden

Die Zwangsumsiedlung sei anscheinend frühzeitig geplant worden und gleiche dem russischen Vorgehen in anderen Kriegen, etwa in Tschetschenien. Blinken warf dem russischen Präsidenten Wladimir Putin eine „systematische Filterung" der Bevölkerung vor, zu der neben der Trennung von Familien auch die Beschlagnahme ukrainischer Pässe und die Ausgabe russischer Pässe gehörten. Es gehe „anscheinend" darum, „die Bevölkerungsstruktur von Teilen der Ukraine zu verändern", sagte Blinken. Russland müsse dafür „zwingend" zur Verantwortung gezogen werden.

Am Montag hatte Putin ein Dekret veröffentlicht, demzufolge allen Ukrainern der Zugang zur russischen Staatsbürgerschaft erleichtert wird. Der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Hebestreit, nannte die Maßnahme heute vor Journalisten in Berlin "Teil einer russischen Propaganda". Die Ukraine sei ein souveräner, unabhängiger Staat. Kein anderer Staat könne „den Bürgerinnen und Bürgern der Ukraine da irgendwelche Pässe anbieten".

Ende Mai hatte der russische Präsident bereits die Einbürgerung per Schnellverfahren für die zwei größtenteils von Russland besetzten südukrainischen Regionen Cherson und Saporischschja beschlossen. Dort arbeiten die russischen Besatzungsbehörden nach eigenen Angaben bereits an einem Referendum über einen Anschluss an Russland. 2019 wurde das erleichterte Einbürgerungsverfahren bereits in den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk eingeführt, die pro-russische Separatisten in den seit 2014 von ihnen besetzten Gebieten im ostukrainischen Donbass ausgerufen hatten. (AFP)

TT-ePaper jetzt 1 Monat um € 1,- lesen

Die Zeitung jederzeit digital abrufen, bereits ab 23 Uhr des Vortags.

Verwandte Themen