Pfau mit Golfschläger erschlagen: "Schlachtensee" von Helene Hegemann
Bizarre Fragmente: Helene Hegemanns „Schlachtensee“ versammelt 14 Erzählungen.
Innsbruck – Man kann noch so lange darauf warten, am Berliner Schlachtensee kommen diese Figuren nie an. Sie streunen durch die österreichische Pampa, sie schlachten Pfaue in South Carolina, schwimmen in der Wolga. Aber nie im titelgebenden Schlachtensee. Der Titel führt in die Irre. So wie die Figuren der 14 neuen Erzählungen in Helene Hegemanns Erzählband „Schlachtensee“ herumirren. Dafür sind sie nicht gerade Ichs von nebenan. Ihnen passiert wenigstens Abstruses. Oder Grauenvolles.
Ein bisschen so war es doch auch schon in Helene Hegemanns fulminantem Debüt „Axolotl Roadkill“ (2010), das zunächst geradezu euphorisch besprochen wurde. Kurze Zeit hatte die damals 17-Jährige das Label „Shootingstar der Nullerjahre“ getragen. Der erste Hype hielt aber nur so lange, bis klar wurde, dass Hegemann sich recht großzügig an Kopfgeburten von anderen bedient hatte. Vieles hatte sie dann ohne Quellenangaben übernommen. Später kaufte der Verlag Rechte nach. Da war über den Roman hinweg längst eine Debatte über Intertextualität im Roman entbrannt.
Und dennoch, fasziniert hatte Hegemanns mit irren Wendungen gebaute Atmosphäre immer. Tut es bis heute. Der (Drogen-)Trip ihrer Mifti tief rein in die Berliner Technoszene wurde 2017 verfilmt. Ihre eigene (kaum weniger abgedrehte) Geschichte erzählte Hegemann 2021 in einem Beitrag über Patti Smith.
Wirklich abgedreht sind auch viele ihrer neuen Protagonisten. Etwa jenes junge Model, das von einer mehrwöchigen Kokstour mit dem protzenden Arkadi nach Hause kehrt. Die Exzesse in Oligarchenvillen und mit der hinkenden Maria verschwinden nicht aus ihrem Kopf. Die Chlamydien im Auge hat sie vom Schwimmen in der Wolga.
In „Schlachtensee“ werden außerdem ständig Storys erzählt, die Pfauengeschichte (in der gleichnamigen Erzählung) sogar mehrfach von unterschiedlichen Personen. Dabei ist die so verstörend wie nebensächlich: Den Nachbarn hat ein Pfau in seinem Vorgarten genervt. Also hat er ihn mit einem Golfschläger erschlagen.
Oder wie mag sich wohl jener türkische Journalist fühlen, der in seiner Heimat wegen Spionage angeklagt worden ist und von der elitären Menschenrechtsanwältin nach einem abgebrochenen Telefonat über seine Flucht 24 Mäuseemojis erhält. Aus Versehen!
Viele Ansätze in Hegemanns Erzählungen sind so überdreht, dass sie disparat wirken. Von der Kulturelite schwingt sich die Autorin in den Surfshop, eine spätkapitalistische Welt durchstreifend, in der irgendwo immer ein Wald brennt. Keine der Erzählung hat ein bestimmtes Ziel. Oder sie wollen es nicht erreichen. In etwa so wie die Schwester, die es im Regionalzug mit zerrissener Prada-Jacke es nicht schafft, bei ihren Eltern in Schwarzach auszusteigen. Ständig verschläft sie die Haltestelle.
In „Schlachtensee“ paart sich eine zerstörerische Erzählweise mit originellen Motiven. Nur allzu oft verliert man im bewussten Abdriften aber die Orientierung. Man muss sich reinhängen. Wird dann immer wieder (kurz) belohnt. (bunt)
Info
Erzählband. Helene Hegemann: Schlachtensee. Kiepenheuer & Witsch, 263 Seiten; 23,95 Euro