Gas-Krise

EU-Kommission stellt Plan für möglichen Gasnotstand vor

Seit dem 11. und noch bis zum 21. Juli steht die Gas-Pipeline Nord Stream 1 still. Was danach geschieht, ist nicht sicher.
© Jens B¸ttner

Nimmt Russland nach der Wartung der Pipeline Nord Stream 1 die Gaslieferungen wieder auf? Laut Insidern lautet die Antwort Ja, wenn auch nicht in vollem Umgang. Die EU-Kommission hält alle Szenarien für möglich, auch einen kompletten Gasstopp. Am Mittwoch will sie dafür einen Notfallplan veröffentlichen.

Moskau/Brüssel – Die Wiederaufnahme des Gasflusses durch die derzeit in Wartung befindliche russisch-deutsche Pipeline Nord Stream 1 liegt in der Schwebe. Angeblich könnte nach der Wartung wieder Gas fließen, aber nicht in vollem Ausmaß, zitierte Reuters am Dienstag zwei mit der Sache vertraute Personen. Österreichs EU-Kommissar Johannes Hahn zeigte sich indes skeptisch, ob es zum neuerlichen Betrieb kommt. Die EU-Kommission bereitet sich auf alle Szenarien vor. Der Gaspreis sank am Dienstag.

Zwei Tage vor dem planmäßigen Ende der jährlichen Nord-Stream-1-Wartung sah die Brüsseler Behörde auch die Möglichkeit, dass die Gaslieferungen durch die Ostsee-Pipeline am Donnerstag nicht wieder aufgenommen würden, sagte ein Sprecher der Brüsseler Behörde am Dienstag.

EU-Kommission stellt Notfallplan für drohende Gaskrise vor

Die Europäische Union bereitet sich auf eine mögliche Gaskrise in Europa vor. Am Mittwoch stellt die EU-Kommission in Brüssel einen Notfallplan vor, wie man auf Ausfälle bei Gaslieferungen reagieren könnte. Einem Entwurf zufolge enthält er Vorschläge, welche Industrien neben den geschützten Haushalten im Ernstfall noch mit Gas versorgt würden. Auch jetzt schon ruft die Brüsseler Behörde zum Energiesparen auf – das Schlagwort heißt: „Solidarität".

Entwürfe des Plans sehen unter anderem vor, dass öffentliche Gebäude, Büros und kommerzielle Gebäude bis maximal 19 Grad beheizt und mit Klimaanlagen auf nicht weniger als 25 Grad heruntergekühlt werden sollen, sofern das technisch möglich ist. Generell werden Verbraucherinnen und Verbraucher, wie auch andere Konsumenten von Gas zum Sparen aufgerufen.

Generell gibt es für den Fall einer Gasnotlage bereits einheitliche Regeln in der EU, die in der sogenannten SoS-Verordnung verankert sind. Diese regelt etwa, welche Kunden in einem Ernstfall noch mit Gas versorgt werden sollen. Haushalte und essenzielle soziale Dienste werden als geschützte Verbraucher besonders behandelt. Sie genießen eine besondere Stellung und ihnen kann von den Mitgliedsländern Vorrang eingeräumt werden.

Der Entwurf der Kommission sieht vor, dass Unternehmen ihren Gasverbrauch jetzt schon reduzieren, beziehungsweise auf andere Energieträger umsteigen sollen. Dafür könnten Firmen finanzielle Anreize erhalten.

Nach den derzeit geltenden EU-Regeln gilt grundsätzlich die Industrie zum Beispiel in einem Notfall nicht als geschützter Verbraucher und ihre Versorgung würde im äußersten Fall eingestellt.

Schon jetzt gibt es Mitgliedsstaaten, die sich nicht an die Regeln halten wollen. So hat Ungarn vergangene Woche einen Notstand ausgerufen und angekündigt, dass es ab August kein Gas und andere Energieträger mehr an andere EU-Länder liefern will. Die EU-Kommission untersucht diesen Schritt gerade.

Einem Entwurf des neuen Notfallplans zufolge sollen – wenn freiwillige Maßnahmen nicht mehr ausreichen – im Zweifel Einsparziele verpflichtend vorgegeben werden können, um in allen EU-Staaten eine Versorgung von privaten Haushalten und anderen besonders zu schützenden Konsumenten - wie etwa Krankenhäusern - sicherzustellen.

Eine Voraussetzung für die Einführung von verpflichtenden Einsparzielen könnte laut dem Entwurf sein, dass mindestens zwei EU-Staaten wegen einer Unterversorgung mit Gas akute Notsituationen befürchten. Wie stark die EU-Staaten ihren Gasverbrauch reduzieren müssten, ließen die Autoren zunächst offen, im Gespräch waren zuletzt allerdings Zahlen von fünf bis 15 Prozent.

Auf 40 Prozent reduziert

Laut den Insidern wolle Russland seine Gaslieferungen durch die Pipeline Nord Stream 1 am Donnerstag nach einer Wartungsunterbrechung wieder aufnehmen – wenn auch in reduziertem Umfang. Die Pipeline solle ihren Dienst wieder beginnen, werde dies aber nicht in voller Auslastung tun, sagten zwei mit dem Vorgang vertraute Personen am Dienstag der Nachrichtenagentur Reuters. Der russische Gasmonopolist Gazprom hatte die Kapazität der Lieferungen durch Nord Stream 1 bereits im vergangenen Monat auf 40 Prozent beschnitten und dies auf die Wartung einer Turbine zurückgeführt. „Sie (Gazprom) werden zu dem vor dem 11. Juli gesehenen Niveau zurückkehren", sagte nun einer der Insider. Durch Nord Stream 1 war in der Vergangenheit mehr als ein Drittel der russischen Gasexporte in die Europäische Union geleitet worden.

Die Europäische Kommission hatte zuvor mit Blick auf die Pipeline und die Frage künftiger Lieferungen erklärt, sie bereite sich auf alle Szenarien vor, auch auf ein Ausbleiben der Lieferungen nach der Wartung. Im vergangenen Monat hatte Russland die Durchflussmenge bereits auf 40 Prozent der Gesamtkapazität der Pipeline reduziert und dies mit der verspäteten Rückgabe von in Kanada gewarteten Anlagen begründet. Kanzler Olaf Scholz hatte technische Gründe für die Drosselung als vorgeschoben bezeichnet und Russland vorgeworfen, Gaslieferungen als politische Waffe einzusetzen.

Gaspreis am Dienstag gesunken

Der Preis für europäisches Erdgas ist am Dienstag indes gefallen. Das führten Händler auf den zitierten Bericht zurück. Der in London gehandelte Terminkontrakt TTF für niederländisches Erdgas zur Lieferung im August sank zuletzt auf 154 Euro für eine Megawattstunde. Gegenüber dem Vortag entsprach dies einem Minus von rund 3 Prozent. Niederländische Terminkontrakte gelten in Europa als eine Art Benchmark im Erdgashandel. Die Furcht vor einem Stopp der Gaslieferungen aus Russland hatte den Preis für europäisches Erdgas Anfang Juli auf gut 186 Euro getrieben.

Zuletzt dominierte am Gasmarkt die Befürchtung, dass Russland Nord Stream 1 wegen des Ukraine-Kriegs und der westlichen Sanktionen nach den Wartungsarbeiten nicht wieder in Betrieb nehmen könnte. Europa will deshalb Gasimporte aus Ländern außerhalb Russlands auszuweiten. Durch die Pipeline Nord Stream 1 wurden vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine jährlich 55 Milliarden Kubikmeter Gas von Russland nach Deutschland transportiert. (APA/Reuters/dpa-AFX)