Johnson-Nachfolge: Truss und Sunak bereiten sich auf Wahlkampf vor
In der Stichwahl um die Nachfolge des britischen Premiers Boris Johnsons werden sich Außenministerin Liz Truss und Ex-Finanzminister Rishi Sunak gegenüberstehen. Erwartet wird nun ein mit harten Bandagen geführter Wahlkampf über den Sommer.
London – Die beiden verbliebenen Kandidaten für die Nachfolge des scheidenden britischen Premierministers Boris Johnson haben sich nach der letzten Wahlrunde in der konservativen Fraktion optimistisch gezeigt. In einer Stichwahl müssen sie sich nun den Mitgliedern der konservativen Partei stellen. Wer neue Parteichefin oder Parteichef der Tories und damit auch Premier wird, soll sich am 5. September herausstellen. Es wird ein hart geführter Wahlkampf erwartet.
Ex-Finanzminister Rishi Sunak verwies am Mittwochabend im Gespräch mit dem Nachrichtensender Sky News darauf, als Schatzkanzler während der Pandemie wohl Millionen Menschen mit einem der deutschen Kurzarbeit nachempfundenen Programm den Job gerettet zu haben. Truss sagte, sie wolle durch Steuersenkungen das Wirtschaftswachstum ankurbeln und damit die Gunst der Wähler gewinnen.
Beide Kandidaten zeigten sich zuversichtlich, dass sie Labour-Chef Keir Starmer und dessen Sozialdemokraten bei der nächsten Parlamentswahl besiegen können. Regulär steht zwar erst im Jahr 2024 wieder eine Wahl an. Doch es wäre nicht das erste Mal, dass in Großbritannien vorzeitig gewählt wird. In Umfragen liegt Labour derzeit weit vor den Konservativen.
Experte: Tory-Basis "nicht sehr repräsentativ" für britische Wähler
Ex-Finanzminister Rishi Sunak gegen Außenministerin Liz Truss: Wenn die Tory-Mitglieder über die Nachfolge von Premier Boris Johnson abstimmen, entscheidet eine Wählerschaft, die laut dem Experten Paul Webb "nicht sehr repräsentativ" für die Wähler insgesamt ist. Sie sei in größerem Maße "weiß, männlich, älter und der Mittelschicht zugehörig" als die britische Wählerschaft insgesamt, berichtet Webb im APA-Gespräch mit Blick auf eine Untersuchung von Anfang 2020.
"Ich bezweifle, dass sich das Mitgliederprofil seitdem sehr verändert hat", so Webb. Die Mitglieder der Konservativen Partei im allgemeinen beschreibt der Politik-Professor von der University of Sussex unter anderem als "um einiges rechtsorientierter eingestellt als die Wähler insgesamt, wenn es um wirtschaftliche Fragen geht, sie wollen etwa einen schlankeren Staat, weniger öffentliche Ausgaben und niedrigere Steuern". Auch seien sie "sehr viel stärker für den Brexit", so der Experte. "Wir wissen, dass das Referendum 2016 sehr knapp war, die Wählerschaft war gespalten, und obwohl die Einstellungen der Menschen zum Brexit in gewisser Hinsicht sehr beständig gewesen sind, ist aus Umfragen im letzten Jahr deutlich geworden, dass in Wahrheit mehr und mehr Menschen die Entscheidung bereuen, die 2016 getroffen wurde. Aber ich denke nicht, dass das für die meisten Mitglieder der Konservativen Partei gilt. Sie sind immer noch ziemlich stark für den Brexit", sagt Webb.
Gesetzesentwurf zu Nordirland-Protokoll birgt Konfliktpotenzial
Nun entscheiden zunächst einmal die wohl etwa 160.000 Mitglieder der Konservativen Partei, wer das Land führen soll. Auftakt für den Wahlkampfsommer bei den Tories ist am kommenden Montag, wenn sich die Finalisten in einem vom BBC-Fernsehen übertragenen Rededuell stellen.
Konfliktstoff birgt auch der umstrittene Gesetzentwurf zum Nordirland-Protokoll, für den das britische Unterhaus am Mittwochabend in dritter Lesung mehrheitlich stimmte – und das trotz teils heftiger Kritik aus den eigenen Reihen. Mit dem geplanten Gesetz sollen die Brexit-Vereinbarungen zu der britischen Provinz einseitig von London außer Kraft gesetzt werden können. Die EU-Kommission hatte sich zuvor äußerst besorgt ob des Vorhabens gezeigt und Konsequenzen angedroht.
Bevor das Gesetz in Kraft treten kann, muss es jedoch noch durch die zweite Parlamentskammer, das House of Lords. Das soll nach der Sommerpause geschehen. Im Oberhaus dürfte der Entwurf auf deutlicheren Widerstand stoßen. Sollte sich die Regierung mit den Plänen durchsetzen, dürfte es zu schweren Verwerfungen mit Brüssel kommen. Im schlimmsten Fall droht ein Handelskrieg. Die beiden Kandidaten für die Johnson-Nachfolge haben bisher keine Anzeichen dafür erkennen lassen, dass sie in Sachen Brexit eine weniger starre Haltung einnehmen wollen als der scheidende Premier. (APA/dpa)