EU

Historische Wende: EZB erhöht Leitzins wegen Teuerung von 0,0 auf 0,5 Prozent

Die Europäische Zentralbank nimmt den Kampf gegen die Inflation auf.
© Frank Rumpenhorst

Die Europäische Zentralbank erhöht den Leitzins angesichts der Inflation gleich um einen halben Prozentpunkt auf 0,5 Prozent. Gleichzeitig legt die EZB ein neues Anti-Krisen-Programm auf, um Länder im Notfall zu stützen.

Frankfurt – Die Rekordinflation zwingt die Euro-Währungshüter zu einem höheren Tempo bei ihrer ersten Zinserhöhung seit elf Jahren. Die Zinsen steigen um jeweils 0,50 Prozentpunkte, wie die Notenbank am Donnerstag in Frankfurt mitteilte. Damit entfällt zur Freude der Sparer der Negativzins von minus 0,50 Prozent für geparkte Gelder von Geschäftsbanken. Der Leitzins, zu dem sich Kreditinstitute bei der EZB Geld leihen können, steigt von 0,0 Prozent auf 0,50 Prozent.

Und die Europäische Zentralbank (EZB) legte heute noch nach: Für die nächsten Sitzungen kündigte die Zentralbank weitere Zinserhöhungen an.

Den heutigen Kurswechsel hatte der EZB-Rat bereits bei seiner vorherigen Sitzung im Juni angebahnt, allerdings einen kleineren Zinsschritt von jeweils 0,25 Prozentpunkten in Aussicht gestellt. "Der EZB-Rat hielt es für angemessen, einen größeren ersten Schritt auf dem Weg zur Normalisierung der Leitzinsen zu tun, als er auf seiner letzten Sitzung angekündigt hatte", teilte die Notenbank nun mit. Diese Entscheidung beruhe auf der aktualisierten Einschätzung der Inflationsrisiken durch den EZB-Rat.

Kritiker werfen der EZB vor, die Zinswende viel zu spät einzuleiten. Die Teuerung im Euroraum zieht seit Monaten auf Rekordniveau an. Zugleich haben sich die Wirtschaftsaussichten wegen des Kriegs in der Ukraine verschlechtert. Hebt die EZB die Zinsen in diesem Umfeld zu rasch an, könnte das vor allem für hochverschuldete Staaten in Südeuropa zur Belastung werden.

Neues Instrument für Länder mit Schulden

Um sicherzustellen, dass Zinserhöhungen Länder wie zum Beispiel Italien nicht über Gebühr belasten und um eine Fragmentierung des Währungsraums zu verhindern, legt die EZB ein neues Anti-Krisen-Programm auf, das sogenannte Transmission Protection Instrument (TPI).

"Das TPI wird das Instrumentarium des EZB-Rats ergänzen und kann aktiviert werden, um ungerechtfertigten, ungeordneten Marktdynamiken entgegenzuwirken, die eine ernsthafte Bedrohung für die Transmission der Geldpolitik im Euroraum darstellen", erklärte die Notenbank. "Der Umfang von Ankäufen im Rahmen des TPI hängt von der Schwere der Risiken für die geldpolitische Transmission ab. Die Ankäufe sind nicht von vornherein beschränkt."

Die Arbeiten an diesem neuen Anti-Krisen-Instrument hatte die EZB nach Unruhen an den Finanzmärkten Mitte Juni forciert. Der Renditeabstand – der Spread – zwischen Staatsanleihen aus Deutschland und denen höher verschuldeter Euroländer, insbesondere Italiens, hatte sich nach der EZB-Ankündigung einer ersten Zinserhöhung im Sommer ausgeweitet. Heißt: Für Länder wie Italien wird es teurer, sich frisches Geld zu besorgen. Das könnte für solche Staaten angesichts schon gewaltiger Schuldenberge zum Problem werden.

Lagarde will nun entschlossen und nachhaltig handeln

Doch die hartnäckig hohe Inflation zwingt die EZB zum Handeln. Der Prozess der Normalisierung der Geldpolitik werde "entschlossen und nachhaltig fortgesetzt werden", hatte EZB-Präsidentin Christine Lagarde Ende Juni gesagt. Andere Notenbanken wie die US-Fed und die Bank of England haben ihre Zinssätze bereits mehrfach angehoben.

EZB-Chefin Christine Lagarde.
© IMAGO

Im Juni lagen die Verbraucherpreise im Euroraum um 8,6 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. Die EU-Kommission rechnet für das Gesamtjahr 2022 mit durchschnittlich 7,6 Prozent Inflation im Währungsraum der 19 Länder. Das wäre ein historischer Höchstwert und weit über dem von der EZB angestrebten stabilen Preisniveau mit einer jährlichen Teuerungsrate von zwei Prozent. Eine höhere Inflation schmälert die Kaufkraft von Verbraucherinnen und Verbrauchern, weil sie sich dann für einen Euro weniger leisten können.

Treiber der Inflation sind seit Monaten deutlich gestiegene Energie- und Lebensmittelpreise. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat die Lage verschärft. (APA, Reuters)

Kreditzinsen steigen bereits seit einiger Zeit

Banken haben in Österreich die Kreditzinsen bereits vor der heutigen Zinsentscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB) angehoben, seit längerer Zeit angehoben, geht aus einer Erhebung des Vergleichsportals durchblicker hervor. Die Sparzinsen sind demnach ebenfalls gestiegen – wenn auch nicht so deutlich. Mit einem weiteren Zinsanstieg wird gerechnet. Für einkommensschwache Haushalte könnten teurere Kredite im Herbst ein ernstes Problem werden.

Die Banken hätten das historische Ende der europäischen Nullzinspolitik bei Krediten bereits vorweggenommen, die Zinsen seien schon seit einem Jahr leicht gestiegen, so durchblicker Donnerstagmittag in einer Presseinformation. Mit der hohen Inflation habe sich auch die Verteuerung der Kredite noch einmal deutlich beschleunigt.

Laut Daten des Vergleichsportals haben sich die Fixzinsen seit Jahresbeginn verdoppelt bis fast verdreifacht. Kundinnen und Kunden zahlen – je nach Bank und Bonität – beispielsweise für einen Fixzinskredit mit einer Laufzeit von 10 Jahren im Juli aktuell 2,25 bis 3,50 Prozent Zinsen statt 0,750 Prozent im Vorjahr. Alles deute darauf hin, "dass die Zinsen in den kommenden Monaten bis zum Spätsommer noch weiter steigen werden," so Martin Spona, Leiter des Bereichs Consumer Finance bei durchblicker.

Auch Konsumkredite seien bereits um bis zu 2 Prozentpunkte teurer geworden. Durchblicker geht davon aus, dass wegen der Inflation immer mehr Konsumentinnen und Konsumenten schon im August einen kurzfristigen Kredit benötigen werden, um laufenden Fixkosten zu decken und Rechnungen zu bezahlen. "Wenn jetzt auch die Kredite noch einmal teurer werden, können sich Haushalte, die bereits in den vergangenen Wochen kaum über die Runden gekommen sind, auch die Überbrückungsfinanzierung nicht mehr leisten und erhalten noch schwerer einen Kredit", warnt Spona.

Bei den Sparzinsen rechnet durchblicker mit einem Anstieg in den kommenden Monaten. Zwar hätten erste größere Banken die Fixverzinsung für Festgeld im April erstmals seit langem wieder auf über 1 Prozent erhöht, die Zinsen für täglich fällige Einlagen lägen aber immer noch bei mageren 0,01 bis 0,35 Prozent. Angesichts der hohen Inflation raten die durchblicker-Experten, Spareinlagen derzeit nicht langfristig zu binden und flexibel zu bleiben. "Auch bei kürzeren Laufzeiten könnten die Banken noch in diesem Jahr wieder mehr als 2 Prozent Zinsen zahlen", so Spona.