Schock und Betroffenheit im Stubaital, Suche nach Pfarrer (60) abgebrochen
Nach den Murenabgängen am Freitag im Stubaital zeigte sich am Samstag das ganze Ausmaß der Zerstörung: Zwei Personen wurden verletzt, ein 60-jähriger Pfarrer gilt nach wie vor als vermisst. Einsatzkräfte sprechen von „Bildern des Schreckens". Das Oberbergtal ist abgeschnitten, auf einer Schutzhütte Eingeschlossene wurden ausgeflogen. LH Platter und LR Mattle versprechen Geschädigten Hilfe.
Fulpmes, Mieders, Neustift – Dramatische Szenen spielten sich Freitagabend im Stubaital ab: Eine Unwetterfront entlud sich ab 21.15 Uhr mit gewaltigen Regenmassen über dem Tal. Es kam zu mehreren großen Murenabgängen. Besonders schwer betroffen waren Fulpmes, Neustift und Mieders.
Am Tag nach dem schweren Unwetter waren die Einsatzkräfte immer noch vor Ort: Nicht nur, um die Schäden zu beseitigen, sondern auch, um nach weiteren Vermissten zu suchen. „Wenn man sieht, was das Unwetter hier angerichtet hat, das sind wirklich Bilder des Schreckens", schilderte der Sprecher der Tiroler Wasserrettung, Konrad Kirchebner, im Gespräch mit TT.com am Samstag.
📽️ Video | Muren im Stubaital:
Pfarrer aus dem Tal vermisst, Suche abgebrochen
Vergeblich suchten 20 Wasserretter des Landesverbandes Tirol nach einem Vermissten, der in seinem Auto von den Wassermassen mitgerissen wurde. Bei dem Lenker handelt es sich um einen 60-jährigen Pfarrer aus dem Tal, der allein unterwegs war. Bereits am Abend konnten die Retter einen Teil des vermissten Pkw aus der Ruetz bergen, am Samstag fanden sie dann den zweiten Teil, der bereits über einen Kilometer weiter flussabwärts getrieben worden war. Außerdem tauchten private Utensilien – Bibel, Dokumente, Visitenkarte auf. Von dem Vermissten fehlte aber weiter jede Spur.
Am späten Nachmittag wurde die Suche schließlich abgebrochen, weil sie laut Polizei wegen der Situation an Ort und Stelle nicht mehr sinnvoll war. Wenn es die Bedingungen zulassen, werde sie nächste Woche von der Wasserrettung fortgesetzt.
Betroffenheit im Fulpmes, Land verspricht Hilfe
Der Fulpmer Bürgermeister Johann Deutschmann zeigte sich am Samstagabend betroffen und sprach von einem Unwetter enormen Ausmaßes. Die Gemeinde habe in dem Bereich bereits vor einiger Zeit Verbauungs- und Sicherungsmaßnahmen gesetzt. Die aktuelle Lage lasse noch keine komplette Entwarnung zu, vieles hänge von der weiteren Wetterentwicklung ab.
Das bestätigte auch Kirchebner, denn die Geschiebebecken seien voll: „Die Becken haben ihre Arbeit getan und Erdmassen und Geröll zurückgehalten. Wenn aber noch was nachkommt, dann halten sie das nicht", glaubt der Wasserrettungssprecher, der sicher ist, dass die Aufräumarbeiten längere Zeit andauern werden.
Landeshauptmann Günther Platter und Landesrat Anton Mattle dankten in einer Aussendung am Samstagabend den zahlreichen helfenden Händen vor Ort. „In den vergangenen Stunden hat uns die Natur einmal mehr ihre Kraft gezeigt“, so Mattle, der sich selbst in Fulpmes und Neustift ein Bild der Situation machte.
Das Land werde „mit schneller und unbürokratischer Hilfe zur Seite stehen". Auch Platter betonte, Betroffene sollen „aus finanzieller Sicht jedenfalls schadlos gehalten werden“. Der entsprechende Antrag für Unterstützungen aus dem Landeskatastrophenfonds werde der Landesregierung Anfang kommender Woche vorgelegt.
Oberbergtal abgeschnitten, Eingeschlossene ausgeflogen
Schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde das Oberbergtal, wo mehrere größere Muren abgingen. Große Teile der Gemeindestraße – von der Fraktion Bärenbad bis Oberriss – wurden weggespült. Bis Seduck ist die Straße inzwischen wieder befahrbar, die Wiederherstellung des restlichen Stücks dauert „im besten Fall ein bis zwei Wochen", berichtete die Polizei am Samstag. Allein hier dürfte demnach ein Schaden im oberen sechsstelligen Bereich entstanden sein.
Die Fraktionen Stöcklen und Oberriss sind aktuell nicht erreichbar. Rund 120 Personen waren dadurch auf der Franz-Senn-Hütte eingeschlossen. 65 davon wurden laut Polizei am Samstagnachmittag per Helikopter evakuiert, die anderen sollen am Sonntag folgen. Einige müssen allerdings bis auf weiteres auf ihr Auto verzichten: Auf dem Parkplatz Oberriss stehen rund 30 Fahrzeuge, die bis zur Wiederherstellung der Straße dort bleiben.
Die Strom- und teilweise auch die Trinkwasserversorgung im Oberbergtal wurden unterbrochen. Bei einem Hubschrauberflug machte sich der Bürgermeister ein Bild über die Lage. Von über zehn betroffenen Alpen wurden ebenfalls Menschen ausgeflogen. Für die Kühe, die ansonsten nicht gemolken werden können, wurden Notstromaggregate ins Tal geflogen. Die Versorgung von Personen und Tieren im betroffenen Gebiet sei sichergestellt, so die Polizei.
⚠️ Aktuelle Straßensperren
Fulpmes:
- Ausweichstraße Medraz/Gemeindestraße – Industriegeländezone A komplett gesperrt, Sperre dürfte aber noch am Samstag aufgehoben werden
- Stubaitalstraße (B 183) einspurig befahrbar (Ampelanlage)
Neustift:
- Gemeindestraße zwsichen Bärenbad und Seduck komplett gesperrt, Stöcklen und Oberriss derzeit nicht erreichbar
Zwei Verletzte aus der Mure geborgen
Das heftige Unwetter war am Freitagabend über das Stubaital hinweggezogen. Gegen 21.15 Uhr löste sich dann eine Mure und verlegte die Stubaitalstraße (B 183) in der Industriezone in Medraz auf einer Länge von rund 100 Metern. Die Wasser- und Gesteinsmassen rissen außerdem mindestens zwei Autos mit.
In einem der Fahrzeuge waren zwei Insassen. Der 26-jährige Slowake und die 24-jährige Österreicherin konnten mit Verletzungen unbestimmten Grades geborgen und in die Klinik Innsbruck eingeliefert werden.
Brücke mitgerissen, Feuerwehr im Dauereinsatz
Durch die Mure wurde außerdem eine Brücke schwer beschädigt. Eine weitere Brücke in der Industriezone wurde über den Margaretenbach mitgerissen. Die Ausweichstraße Medraz/Gemeindestraße – Industriegeländezone A wurde komplett gesperrt, dürfte jedoch noch am Samstag freigegeben werden. Die Stubaitalstraße musste in der Nacht vorübergehend ebenfalls gesperrt werden.
Die Räumungsarbeiten waren gegen 2.20 Uhr so weit fortgeschritten, dass die Fahrbahn zumindest einspurig für den Verkehr freigegeben werden konnte. Eine Ampelanlage wurde eingerichtet.
Bei 20 Häusern, davon fünf Beherbergungsbetrieben in den Ortsteilen Dorf, Kampl und Neder wurden schwere Wasserschäden bzw. Wassereintritt gemeldet. Die Feuerwehr hatte mit Abpumparbeiten alle Hände voll zu tun. Zu allem Überfluss fiel auch noch der Strom großflächig aus. Vorübergehend waren weite Teile des Ortes ohne Strom. Dieser konnte aber noch am Abend wieder hergestellt werden, wie Bürgermeister Andreas Gleirscher der Tiroler Tageszeitung berichtete.
Auch in Mieders ging eine Mure auf die Stubaitalstraße nieder, die Straße war bis 1 Uhr Früh gesperrt. Wie erst am Samstag bekannt wurde, riss auch diese Mure ein Auto mit. Der Lenker konnte sich laut eigenen Angaben jedoch noch rechtzeitig befreien und blieb unverletzt.
Suche in der Nacht unterbrochen, bei Tagesanbruch fortgesetzt
Im Einsatz standen sämtliche Feuerwehren des Stubaitales und die Bergrettungsortsstelle „Vorderes Stubaital“, ein Großaufgebot von Angehörigen des Roten Kreuzes, die Wasserrettung Innsbruck, Mitarbeiter der „Tinetz“ und der Landesgeologie, Mitarbeiter der Straßenmeisterei Matrei am Brenner und örtlich ansässige Bauunternehmen mit Baggern.
Die Einsatzleitung vor Ort wurde durch den eingerichteten Kriseneinsatzstab mit dem Bezirkshauptmann von den örtlichen zuständigen Bürgermeistern und dem Bezirkspolizeikommandanten gemeinsam mit den Blaulichtorganisationen koordiniert.
Die Nachsuche in Fulpmes entlang des Murenverlaufes im Ortsteil Medraz und weiter flussabwärts in der Ruetz musste in der Nacht aufgrund der Gefahr von weiteren Murenabgängen und der hochwasserführenden Ruetz unterbrochen werden und wurde seit den Morgenstunden fortgesetzt.
Knapp 200 Feuerwehreinsätze
Insgesamt wurden in der Nacht auf Samstag fast 200 Feuerwehreinsätze wegen Unwettern verzeichnet, vor allem im Bezirk Innsbruck-Land. Auch am Samstag waren die Einsatzkräfte weiter im Großeinsatz, ein Kriseneinsatzstab wurde eingerichtet. Wattens und Volders (beide Bezirk Innsbruck Land) waren ebenfalls stark von den Unwettern betroffen. Zur Höhe der Sachschäden war vorerst nichts bekannt. (TT.com)