Nach Beschuss von Atomkraftwerk: Bislang keine Strahlung ausgetreten
In der Ostukraine wird fortlaufend geschossen. Indes wird nach einem Beschuss des Akw Saporischschja vor einer Katastrophe gewarnt. Die Ukraine fordert, Friedenstruppen zu stationieren. Russland will einer Inspektion zustimmen. Die prorussischen Separatisten wollen Kriegsgefangene des Azov-Regiments hinrichten.
Kiew, Moskau – Russland hat nach britischen Angaben am Wochenende vor allem seine Stellungen im Süden der Ukraine verstärkt. Gleichzeitig habe es seine Angriffe in der östlichen Donezk-Region aufrecht gehalten, teilt das britische Verteidigungsministerium unter Berufung auf Geheimdienste mit. In den vergangenen 30 Tagen sei Moskaus Achse im östlichen Bereich des ukrainischen Donbass am erfolgreichsten gewesen, auch wenn Russland dort nur etwa zehn Kilometer vorangekommen sei.
In anderen Donbass-Sektoren, in denen Russland einen Durchbruch versucht habe, hätten die Streitkräfte im selben Zeitraum nicht mehr als drei Kilometer Boden gutgemacht. Das sei "ziemlich sicher weniger als geplant".
Die Ukraine hat am Dienstag von massivem russischen Beschuss an der Frontlinie im Osten des Landes berichtet. Es gebe schwere Kämpfe in Orten in der Nähe der Stadt Donezk, sagte der Gouverneur der gleichnamigen Region, Pawlo Kyrylenko, im ukrainischen Fernsehen. "Die Lage ist angespannt – an der gesamten Frontlinie wird ständig geschossen." Es gebe auch viele Luftangriffe. "Der Feind hat keinen Erfolg. Die Region Donezk hält Stand", betonte Kyrylenko.
Russland will Inspektion von Akw Saporischschja zustimmen
Russland zeigt sich indes offen für eine internationale Inspektion des unter Beschuss geratenen ukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja. Das Außenministerium in Moskau erklärte am Montag, IAEA-Inspekteure sollten das Kraftwerk im Südosten der Ukraine untersuchen. Der Ukraine warf Ministeriumssprecherin Maria Sacharowa vor, ganz Europa als Geisel zu nehmen. Die Regierung in Kiew verhindere eine internationale Inspektion des Kraftwerks und sei für den Beschuss verantwortlich, hieß es.
Russland und die Ukraine haben sich in den vergangenen Tagen gegenseitig beschuldigt, Europas größte Nuklearanlage beschossen zu haben. Wegen der Entwicklungen steigt die Furcht vor einem Super-GAU ähnlich wie im ukrainischen Tschernobyl 1986.
"Jeglicher Angriff auf ein nukleares Kraftwerk ist eine selbstmörderische Sache", meinte UNO-Generalsekretär Antonio Guterres bei einem Besuch in Japan. Guterres forderte einen schnellen Zugang der IAEA-Inspekteure. Auch der Ständige Vertreter der Ukraine bei der IAEA, Jewhenij Zymbaljuk, forderte rasch eine internationale Inspektion des Atomkraftwerks. "Wir brauchen diese Inspektion so schnell wie möglich, spätestens Ende dieses Monats. Das ist unser Ziel", sagte Zymbaljuk in Wien. Sollte das größte Atomkraftwerke in Europa beschädigt werden, würde das gewaltige Konsequenzen, nicht nur für die Ukraine haben.
Ukraine fordert Friedenstruppen, bislang keine Strahlung ausgetreten
Der Chef des staatlichen ukrainischen Nuklear-Konzerns Energoatom, Petro Kotin, forderte die Stationierung von Friedenstruppen in dem Kraftwerk. Russische Truppen haben das AKW seit Anfang März besetzt, es wird aber noch von ukrainischen Technikern betrieben. Kotin forderte im ukrainischen Fernsehen, dass die Weltgemeinschaft dafür sorgen müsse, die Besatzer zu vertreiben und eine entmilitarisierte Zone zu errichten, die von Friedenstruppen überwacht werde. Nach russischen Angaben verlief der Betrieb des mehrfach beschossenen Atomkraftwerks am Montag normal. Militär und Vertreter der russischen Atomaufsicht seien vor Ort und beobachteten die Lage, zitierte die Nachrichtenagentur Interfax den von Russland eingesetzten Leiter der lokalen Provinzverwaltung.
Nach Erkenntnissen der USA kam es bis dato zu keiner Freisetzung von Radioaktivität. "Wir beobachten die Aktivitäten weiterhin genau: Das Kraftwerk, das Energieministerium und die Nationale Behörde für nukleare Sicherheit berichten, dass die Strahlungssensoren weiterhin Daten liefern – und glücklicherweise haben wir keine Anzeichen für erhöhte oder abnormale Strahlungswerte festgestellt", meinte die Sprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre, Montagabend.
Keine erhöhte Strahlung in Deutschland und Österreich gemessen
Im Zuge der Kampfhandlungen um das ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja ist nach Kenntnis des deutschen Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) bisher keine radioaktive Strahlung ausgetreten. "Es liegen keine Hinweise vor, dass in der Ukraine radioaktive Stoffe freigesetzt worden sein könnten", erklärt das Bundesamt gegenüber den Zeitungen der "Funke Mediengruppe". Laut BfS bewegten sich alle vorliegenden radiologischen Messwerte "im normalen Bereich".
"Das BfS sieht keine akute Gefahr einer Freisetzung von radioaktiven Stoffen, teilt aber die Sorge um einen dauerhaft sicheren Betrieb des AKW Saporischschja", hieß es aus der von Präsidentin Inge Paulini geleiteten Behörde weiter.
Das österreichische Klimaschutzministerium hatte am Samstag mitgeteilt, für Österreich bestehe derzeit keine Gefahr. Die Strahlenfrühwarnsysteme in der Ukraine und in Österreich zeigten demnach keine erhöhten Messwerte.
Russland wirft der Ukraine vor, das Atomkraftwerk am Sonntag beschossen zu haben. Dabei seien Starkstromleitungen beschädigt worden, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit. Deshalb habe die Produktion der Anlage gedrosselt werden müssen. Der Kreml forderte den Westen am Montag auf, die ukrainische Regierung dazu zu bewegen, den Beschuss zu beenden. Die Ukraine wies die Darstellung zurück, das AKW ins Visier zu nehmen. Vielmehr hatten die ukrainischen Behörden am Sonntag erklärt, bei russischem Beschuss des Kraftwerks am Samstagabend sei ein Arbeiter verletzt worden. Die Angaben aus dem Kriegsgebiet können unabhängig nicht überprüft werden.
Separatisten wollen ukrainische Soldaten hinrichten
Einer Gruppe gefangener ukrainischer Verteidiger des Stahlwerks Azovstal in Mariupol droht indes vor einem Gericht der von Russland kontrollierten Separatistenregion Donezk die Todesstrafe. In dem Strafprozess forderte die Staatsanwaltschaft am Montag die Höchststrafe, wie die offizielle Nachrichtenagentur der sogenannten Volksrepublik Donezk meldete. Ein Urteil solle am Mittwoch fallen, hieß es.
Den Angeklagten, deren genaue Zahl nicht genannt wurde, werde die Tötung von mehr als 100 Menschen zur Last gelegt. Die Ukrainer gehörten zu einer Gruppe von Neonazis, die in dem nationalistischen Regiment Asow als eigene Einheit für Überfälle und Sabotage gedient hätten. In der ukrainischen Öffentlichkeit wird die Gruppe "Bären" genannt, in der russischen Presse ist von "Bären SS" die Rede.
Soldaten des Regiments Asow hatten sich noch bis Ende Mai in dem Stahlwerk verschanzt gehalten, als der Rest der Hafenstadt Mariupol schon von russischen Truppen erobert war. Dann gingen die letzten Verteidiger in Gefangenschaft. Die Ukraine bemüht sich seitdem um ihre Freilassung. Nach ukrainischen Berichten wurden viele Gefangene in russischer Hand misshandelt. Etwa 50 von ihnen wurden Ende Juli unter noch ungeklärten Umständen in dem Gefängnis Oleniwka bei Donezk bei einem Angriff getötet. Die Ukraine wirft Russland vor, den Angriff durchgeführt zu haben. (APA, Reuters)