Von der Leyen kündigt Reform des EU-Strommarktes an
Das Merit-Order-System ist aus Sicht der EU-Kommissionspräsidentin nicht mehr zweckmäßig. Daher arbeite man an einer Notfallmaßnahme und einer Strukturreform des Strommarktes.
Brüssel – EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat angesichts der hohen Energiepreise eine Reform des Strommarktes in der EU angekündigt. "Die in die Höhe schießenden Strompreise zeigen gerade aus verschiedenen Gründen die Grenzen unseres jetzigen Strommarktdesigns auf", sagte sie bei einer Konferenz in Slowenien am Montag. Der deutsche Kanzler Olaf Scholz und der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala haben indes ebenso EU-Maßnahmen gegen die hohen Strompreise angekündigt.
Das System sei für andere Umstände entwickelt worden und nicht mehr zweckmäßig. "Deshalb arbeiten wir jetzt an einer Notfallmaßnahme und an einer Strukturreform des Strommarktes", sagte von der Leyen.
Gaskraftwerke bestimmen Strompreis
Am europäischen Strommarkt werden die Preise zur Zeit vor allem von Gaskraftwerken vorgegeben. Da der Gaspreis vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine stark angestiegen ist, ist daher auch Strom teurer geworden. Eine Reform des europäischen Strommarktes könnte diesen Mechanismus überarbeiten, sodass Verbraucher etwa für günstigen Strom aus Sonne und Wind weniger bezahlen. Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte zuletzt ebenfalls eine grundlegende Reform angekündigt, um die Entwicklung der Endkundenpreise für Strom vom steigenden Gaspreis zu entkoppeln. Das Thema soll auch bei einem Sondertreffen der für Energie zuständigen EU-Minister am 9. September besprochen werden.
Das sogenannte Merit-Order-System in der EU bestimmt die Preisentwicklung über die Einsatzreihenfolge der Kraftwerke. Kraftwerke, die billig Strom produzieren können, werden zuerst herangezogen, um die Nachfrage zu decken. Das sind zum Beispiel Windkraftanlagen. Am Ende richtet sich der Preis aber nach dem zuletzt geschalteten und somit teuersten Kraftwerk, um die Nachfrage zu decken – derzeit sind dies die Gaskraftwerke. Da die Preise besonders hoch sind, erzielen Anbieter erneuerbarer Energien dadurch sehr hohe Gewinne. Das System sollte ursprünglich einen Anreiz für Investitionen in erneuerbare Energien schaffen.
Merit Order - Das teuerste Kraftwerk macht den Preis
Der aktuell hohe Strompreis ist zu einem wesentlichen Teil der Merit Order geschuldet. Bei dieser Methode zur Strompreis-Berechnung werden die Kraftwerke der Reihe nach zugeschaltet, bis der entsprechende Bedarf gedeckt ist. Zuerst wird das günstigste Kraftwerk eingeschaltet, dann das zweitgünstigste, und so weiter, bis letztlich genügend Strom zur Verfügung steht. Das letzte zugeschaltete Kraftwerk ist demnach das teuerste, derzeit sind es Gaskraftwerke.
Für die Berechnung des Strompreises werden die Kosten des zuletzt zugeschalteten Kraftwerkes herangezogen. Damit hat der Betreiber des günstigsten Kraftwerkes den höchsten Gewinn. Die Merit Order sorgt daher dafür, dass jeder Betreiber bemüht ist, über möglichst günstige und effiziente Kraftwerke zu verfügen. Damit wird der Umstieg auf Kraftwerke mit erneuerbarer Energie forciert.
Der Nachteil: Wenn die übrigen Kraftwerkskapazitäten nicht reichen, lässt bei den aktuell hohen Gaspreisen bereits ein kleines Gaskraftwerk den Strompreis in die Höhe schnellen.
Scholz nennt noch keine konkreten Pläne
Der deutsche Bundeskanzler Scholz und der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala haben indes EU-Maßnahmen gegen die hohen Strompreise angekündigt. Nach solchen hatte etwa Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) auch erst am Sonntag neuerlich gerufen.
Energiepreise
Nehammer fordert europäischen Strompreisdeckel
Es sei nicht nötig, dass Länder national vorgehen müssten, sagte Scholz am Montag bei einem Besuch in Prag. Es sei offensichtlich, dass die Strompreise nicht mehr die Erzeugungskosten abbildeten, deshalb müsse man die Strukturen reformieren. Fiala kündigte für den 9. September ein Sondertreffen der EU-Energieminister in Brüssel an. Er habe sich am Morgen mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen beraten. Eine denkbare Maßnahme sei, die Berechnung des Strompreises vom Gas abzukoppeln.
Scholz wollte sich nicht zu konkreten Maßnahmen äußern. Wie schon beim Gas hatten mehrere Regierungen etwa einen Preisdeckel vorgeschlagen. Die Bundesregierung hatte dies bisher abgelehnt, weil damit der Anreiz für Einsparungen wegfalle. Fiala sagte, dass der sehr starke Anstieg der Strompreise nun auch EU-Länder umdenken lasse, die vorher skeptisch gewesen seien. (dpa)
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