Film

Seismograph des Weltkinos: 79. Filmfestspiele von Venedig beginnen

Adam Driver spielt im Eröffnungsfilm des heurigen Filmfestivals von Venedig die Hauptrolle.
© Netflix

Stargespickte Streamingfilme und Solidarität: Mit der Weltpremiere von Noah Baumbachs „White Noise“ starten morgen die 79. Filmfestspiele von Venedig.

Venedig – Mehr noch als der große Konkurrent in Cannes hat sich das Filmfestival von Venedig in den vergangenen Jahren zum Seismographen der internationalen Filmbranche entwickelt. Die Gründe dafür sind bisweilen ziemlich profan: Für US-amerikanische Produktionen bietet sich der traditionelle Termin am Beginn des Herbstes an, um öffentlichkeitswirksam in die Filmpreis-Saison zu starten. Zumal sich aufmerksamkeitsökonomische Synergien mit dem beinahe zeitgleich stattfindenden Festival in Toronto – der größten Filmschau Nordamerikas – ergeben.

Außerdem gibt es am norditalienischen Lido weit weniger Berührungsängste mit den großen Streamingdiensten als an der südfranzösischen Côte d’Azur. Während Netflix-Produktionen in Cannes seit 2018 nur dann gezeigt werden dürfen, wenn sie danach auch in Frankreich ins Kino kommen, hat Alberto Barbera, seit 2011 Direktor des Festivals von Venedig, früh beschlossen, den vermeintlichen „Kinokiller“ und vor allem dessen beachtliche Star-Power zu umarmen. Gleich vier Netflix-Filme hat Barbera heuer ins Programm genommen. Einer davon, Noah Baumbachs „White Noise“ – eine Verfilmung von Don DeLillos gleichnamigem Roman –, wird die 79. Auflage des ältesten Filmfestivals der Welt morgen Mittwoch sogar eröffnen. Schon Baumbachs letzter Film „Marriage Story“ kam 2019 in Venedig zur Weltpremiere. Damals wie jetzt in der Hauptrolle Adam Driver. Eine Nebenrolle in „White Noise“ spielt übrigens auch Lars Eidinger. Ebenfalls von Netflix, ebenfalls prominent besetzt und wie „White Noise“ bereits vorab als möglicher Oscarkandidat gehandelt ist „Blonde“, Andrew Dominics Marilyn-Monroe-Biopic mit Ana de Armas und Adrien Brody – eine von drei Streamingproduktionen im Internationalen Wettbewerb.

Im Wettbewerb: Ana de Armas als Marilyn Monroe in „Blonde“.
© Netflix

Die anderen zwei sind „Bardo“ von Oscarpreisträger Alejandro González Iñárritu („The Revenant“) und „Athena“ von Romain Gavras. Insgesamt konkurrieren 23 Filme um den Goldenen Löwen, darunter neue Arbeiten von Joanna Hogg („The Eternal Daughter“), Florian Zeller („The Son“) und Laura Poitras („All the Beauty and the Bloodshed“). Hochpolitisch und potentiell preisverdächtig ist fraglos „No Bears“, der jüngste Film des iranischen Regisseurs Jafar Panahi. Panahi, der bereits 2000 mit „Der Kreis“ in Venedig triumphierte, wurde Mitte Juli in Teheran verhaftet. Gleich zwei Solidaritätsaktionen für inhaftierte Filmschaffende sind während des Festivals geplant, darunter ein Flash-Mob unmittelbar vor der Premiere von „No Bears“ am 9. September. Bereits am Tag davor wird das Filmschaffen in der kriegsversehrten Ukraine gewürdigt: Sergei Loznitsa zeigt seinen Dokumentarfilm „The Kiev Trial“ über die juristische Aufarbeitung des NS-Massakers in Babyn Jar, bei dem 1941 in wenigen Stunden 30.000 Menschen ermordet wurden. Die ukrainische Produktion „Ljuksemburg, Ljuksemburg“ von Antonio Lukich kommt in der Sektion„Orizzonti“ zur Premiere. Dort ist auch „Vera“, der neue Film der Südtirolerin Tizza Covi und ihres Partners Rainer Frimmel, zu sehen. Sie beschäftigen sich darin semidokumentarisch mit Vera Gemma, einer italienischen Schauspielerin, der es nie gelang, aus dem Schatten ihres Vaters, der Genrefilm-Ikone Giuliano Gemma, zu treten.

Jafar Panahi sitzt im Iran in Haft. Sein neuer Film läuft in Venedig.
© Imago

In der vom Festival unabhängigen „Settimana della Critica“ wird mit „David Wagners „Eismayer“ eine zweite österreichische (Ko-)Produktion gezeigt. Ehrenpreise des Festivals gehen heuer an die französische Jahrhundertschauspielerin Catherine Deneuve und den Regisseur und Autor Paul Schrader. Auch Hollywood-Veteran Walter Hill wird mit einem Sonderpreis bedacht. Der neue Film des inzwischen 80-Jährigen, der Western „Dead for a Dollar“ mit Christoph Waltz, kommt am Lido außer Konkurrenz zur Weltpremiere. (jole)

Außer Konkurrenz: Walter Hills „Dead for a Dollar“ mit Christoph Waltz.
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