Politiker würdigen verstorbenen Sowjet-Präsidenten Gorbatschow
Der russische Friedensnobelpreisträger und ehemalige sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow ist am Dienstagabend im Alter von 91 Jahren gestorben. Reaktionen auf den Tod des Friedensnobelpreisträgers:
Moskau, Wien, Brüssel – Nach dem Tod des letzten Präsidenten der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, haben zahlreiche nationale und internationale Politiker ihr Beileid ausgedrückt. Der frühere Generalsekretär des Kommunistischen Partei hatte maßgeblich zum Ende des Kalten Krieges beigetragen. Der Friedensnobelpreisträger starb den Berichten zufolge im Alter von 91 Jahren in Moskau.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen würdigte Gorbatschow als "Mann des Friedens" und "Inbegriff eines Visionärs". "Kaum einer hat das vergangene Jahrhundert, aber auch unser heutiges Europa, so geprägt wie er", schrieb Van der Bellen am Mittwoch auf Twitter. "Sein Vermächtnis bleibt - und ist heute wichtiger denn je."
"Michail Gorbatschow prägte wie kein anderer die Annäherung zwischen Osten und Westen nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in Europa und dem Ende des Kalten Krieges. Möge er in Frieden ruhen", twitterte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) in einer ersten Reaktion.
"Tragisch bleibt, dass die Anerkennung, die er im Westen genoss, ihm in seiner Heimat nie zuteil wurde", bedauerte Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) auf Twitter.
Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) betonte die Leistungen Gorbatschows für eine friedliche Neuordnung Europas in den vergangenen 30 Jahren. Gorbatschow sei "ein großer Staatsmann" gewesen, sagte Schallenberg am Mittwoch im Ö1-Morgenjournal. "Er hat die Zeichen der Zeit erkannt."
SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner erklärte: "Ohne Michail Gorbatschow hätte die Geschichte eine andere Wendung genommen und das Haus Europa wäre heute wahrscheinlich ein anderes. Europa hat ihm viel zu verdanken."
"Michail Gorbatschow hat dazu beigetragen die politische Landkarte Europas auf friedlichem Weg nachhaltig zu verändern. Sein Mut und seine Weitsicht haben zu Recht ihren Platz in der Geschichte", teilte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka mit.
Putin: Staatsmann mit gewaltigem Einfluss
"Michail Gorbatschow war ein Politiker und Staatsmann, der gewaltigen Einfluss auf den Lauf der Weltgeschichte ausgeübt hat", würdigte Russlands Präsident Wladimir Putin Gorbatschow in einem kurz gehaltenen Beileidstelegramm an seine Angehörigen. Er habe das Land zu einer Zeit "dramatischer Veränderungen" geführt und den großen Reformbedarf erkannt. Er habe versucht, seine Lösungen für das Problem anzubieten, schrieb Putin.
US-Präsident Joe Biden würdigte Gorbatschows Taten: "Michail Gorbatschow war ein Mann mit einer bemerkenswerten Vision. (...). Dies waren die Taten einer außerordentlichen Führungspersönlichkeit – einer, die die Vorstellungskraft besaß, eine andere Zukunft für möglich zu halten, und den Mut hatte, ihre gesamte Karriere zu riskieren, um dies zu erreichen. Das Ergebnis war eine sicherere Welt und größere Freiheit für Millionen von Menschen."
UNO-Generalsekretär António Guterres hat sich "zutiefst traurig" über den Tod Gorbatschows. Dieser sei ein "einzigartiger Staatsmann" gewesen, der den Lauf der Geschichte verändert habe, ließ Guterres am Dienstag mitteilen. "Er hat mehr als jeder andere dazu beigetragen, den Kalten Krieg friedlich zu beenden." Der Portugiese sprach der Familie Gorbatschows und der Bevölkerung Russlands sein Beileid aus. Die Aussage des Friedensnobelpreisträgers, dass Frieden nicht Einheit in Gleichartigkeit, sondern Einheit in Vielfalt sei, habe dieser mit seiner Politik in die Praxis umgesetzt.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stellte die Bedeutung des ehemaligen sowjetischen Staatschefs Gorbatschow für Europa heraus. "Er spielte eine entscheidende Rolle bei der Beendigung des Kalten Krieges und dem Fall des Eisernen Vorhangs", schrieb von der Leyen am Dienstagabend auf Twitter. Sie bezeichnete Gorbatschow als Führungspersönlichkeit, die zuverlässig und geachtet gewesen sei. "Er ebnete den Weg für ein freies Europa. Dieses Vermächtnis werden wir nie vergessen."
EU-Ratspräsident Charles Michel schrieb auf Twitter, Gorbatschow sei ein Mann gewesen, der sein Leben mit einem großen Engagement für Frieden und Freiheit dem öffentlichen Dienst gewidmet habe. Er spreche Gorbatschows Familie, seinen Freunden und dem russischen Volk sein Mitgefühl aus.
Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat den verstorbenen russischen Friedensnobelpreisträger und ehemaligen sowjetischen Staatschef als "großen Staatsmann" gewürdigt. "Deutschland bleibt ihm verbunden, in Dankbarkeit für seinen entscheidenden Beitrag zur deutschen Einheit, in Respekt für seinen Mut zur demokratischen Öffnung und zum Brückenschlag zwischen Ost und West, und in Erinnerung an seine große Vision von einem gemeinsamen und friedlichen Haus Europa", erklärte Steinmeier am Mittwoch.
Gorbatschow habe in den vergangenen Jahren darunter gelitten, dass sein Traum in immer weitere Ferne rückte. "Heute liegt der Traum in Trümmern, zerstört durch den brutalen Angriff Russlands auf die Ukraine", betonte Steinmeier.
Deutschlands Kanzler Olaf Scholz hat Gorbatschow als mutigen Reformer gewürdigt. Der ehemalige sowjetische Staatschef habe vieles gewagt, sagte Scholz am Mittwoch am Rande der Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg in Brandenburg. Seine Politik habe es möglich gemacht, "dass Deutschland vereint werden konnte und der Eiserne Vorhang verschwunden ist".
Auch Russland habe dank Gorbatschow den Versuch unternehmen können, eine Demokratie zu etablieren. Nun sei er in einer Zeit gestorben, "in der nicht nur die Demokratie in Russland gescheitert ist", sondern in der der russische Präsident Wladimir Putin auch neue Gräben in Europa ziehe. "Gerade deshalb denken wir an Michail Gorbatschow und wissen, welche Bedeutung er für die Entwicklung Europas und auch unseres Landes in den letzten Jahren hatte".
Der französische Präsident Emmanuel Macron schreibt auf Twitter:
Der britische Premierminister Boris Johnson würdigte das historische Erbe Gorbatschows. "Ich habe immer den Mut und die Integrität bewundert, die er gezeigt hat, indem er den Kalten Krieg zu einem friedlichen Ende brachte", schrieb Johnson am späten Dienstagabend auf Twitter. Zudem stellte er Gorbatschow dem russischen Präsidenten Putin gegenüber. "Zu einer Zeit von Putins Aggression in der Ukraine bleibt sein unermüdliches Engagement für die Öffnung der sowjetischen Gesellschaft ein Vorbild für uns alle", schrieb Johnson.
Auch tschechische Politiker haben das Lebenswerk des gestorbenen Sowjetpräsidenten gewürdigt. Inspiriert von der tschechoslowakischen Reformbewegung Prager Frühling der 1960-er Jahre habe er der Bevölkerung in der UdSSR Hoffnung auf Freiheit, auf die Einhaltung der Menschenrechte und auf eine bessere Zukunft gegeben, schrieb Außenminister Jan Lipavsky bei Twitter. Der liberalkonservative Regierungschef Petr Fiala hob hervor, dass Gorbatschow zum Fall des Kommunismus und zum Zerfall der Sowjetunion beigetragen habe.
Der israelische Staatspräsident Izchak Herzog sieht Gorbatschow als „eine der außergewöhnlichsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts". "Er war ein mutiger und visionärer Anführer, der unsere Welt auf eine Weise verändert hat, die vorher als undenkbar galt", sagte Herzog am Mittwoch nach Angaben seines Büros über den ehemaligen sowjetischen Staatschef. "Ich bin stolz, dass ich ihn 1992 während seines Besuchs in Israel getroffen habe."
Beerdigung am Samstag in Moskau
Gorbatschow wird am Samstag in Moskau beerdigt. Für die Trauerfeier sei das in der Nähe des Kremls liegende "Haus der Gewerkschaften" mit seinem Säulensaal genehmigt worden, teilte Gorbatschows Tochter Irina der Nachrichtenagentur Interfax zufolge am Mittwoch mit. Ob es ein Staatsbegräbnis gibt, konnte sie allerdings nicht sagen.
Das "Haus der Gewerkschaften" war traditionell Ort für Trauerfeiern für die Staatschefs in der Sowjetunion. So wurden hier unter anderem die Leichname von Sowjetgründer Lenin und seinem Nachfolger Stalin aufgebahrt, damit das Volk von ihnen Abschied nehmen konnte. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde erst 2015 mit dem russischen Ex-Premier Jewgeni Primakow wieder ein hochrangiger Politiker im Säulensaal aufgebahrt.
Nach der Trauerfeier soll Gorbatschow auf dem Neujungfrauenfriedhof für Prominente beerdigt werden. Dort wird er neben seiner Frau Raissa liegen, die schon 1999 gestorben war. Angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und der größtenteils gekappten Flugverbindungen gilt es als unklar, ob überhaupt internationale Gäste zu einem Staatsbegräbnis nach Moskau kommen würden.
Gorbatschow wurde 1985 im Alter von 54 Jahren Generalsekretär der Kommunistischen Partei. Er setzte an, das System durch politische und wirtschaftliche Freiheiten zu reformieren. Dabei erlaubte seine "Glasnost"-Politik der Transparenz nicht nur Kritik an Partei und Staat. Sie ermuntert Nationalisten, die Unabhängigkeit etwa für die baltischen Staaten forderten. Viele Russen vergaben ihm nicht die Verwerfungen, die durch seine Reformen ausgelöst wurden. Als prodemokratische Demonstrationen 1989 den Ostblock erfassten, verzichtete Gorbatschow auf den Einsatz von Gewalt. Am 25. Dezember 1991 erklärte er im Fernsehen seinen Rücktritt. Aus der Sowjetunion gingen 15 Einzelstaaten hervor. (APA/Reuters/dpa)
1931–2022
Im Ausland ein Held, im Inland der Totengräber russischer Größe
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