Film

Tänze auf dem Hochseil: Filmemacher Werner Herzog wird 80

Werner Hezog.

Filmemacher Werner Herzog wird am Montag 80. Mit „Jeder für sich und Gott gegen alle“ legt er nun seine Lebenserinnerungen vor.

Innsbruck – Werner Herzog war sich lange Jahre sicher, dass er nicht sonderlich alt werden würde. Davon, dass er seinen achtzehnten Geburtstag nicht erleben würde, war er überzeugt. Und auch als er Mitte zwanzig war, war für ihn klar, lange kann es nicht mehr weitergehen. Deshalb, schreibt er in seinen jüngst erschienenen Erinnerungen „Jeder für sich und Gott gegen alle“, habe er die Filme gemacht, die er gemacht hat, Filme, „bei denen ich davon ausgehen konnte, darüber hinaus werde es nichts mehr von mir geben“. Filme wie „Aguirre, der Zorn Gottes“ oder „Fitzcarraldo“. Aber auch etwas weniger oft besungene kinematografische Kraftakte wie „Auch Zwerge haben klein angefangen“, den dunkle Science-Fiction-Film „The Wild Blue Yonder“ oder die 3D-Doku „Höhle der vergessenen Träume“.

Mehr als 70 Filme hat Herzog seit 1962, da war er gerade 20 geworden, gedreht. Viele davon haben sich in kollektive Gedächtnis des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts gebrannt: Das Dampfschiff, das in „Fitzcarraldo“ über einen Berg gewuchtet wird, ist wohl das eindrücklichste Herzog-Bild. Doch mindestens so eindrücklich wie diese Bilder und die Filme, die Herzog auf die ihm eigene, zauberhaft zärtliche und doch ungestüme Art daraus gemacht hat, sind auch die Geschichten, die Herzog und andere über die Entstehung dieser Filme erzählen: vom wütenden Klaus Kinski, der vor und neben der Kamera Gift und Galle spuckt, von Flugzeugen, die abstürzen – allein bei „Fitzcarraldo“ waren es wohl drei –, von Schlangenbissen und schleichendem Wahnsinn, der sich zu mehr oder weniger ausgeklügelten Mordkomplotten verdichtet.

Jeder Film ein Tanz auf dem Hochseil, ohne Netz. Viele dieser Geschichten erzählt Herzog in „Jeder für sich und Gott gegen alle“ neu. Unnachahmlich erzählt er sie. Manches Geheimnis klärt er auf: Warum er etwa einmal öffentlich seine Schuhe verspeist hat zum Beispiel. Oder wie das mit der Kamera war, die er am Beginn seiner Laufbahn gestohlen hat. Ob man Herzogs Versionen der Wahrheit glaubt oder nicht, kümmert den Erinnernden selbst kaum. Er wisse, wo er stehe, schreibt er – und legt ganz beiläufig seinen ganz eigenen erkenntnistheoretischen Ansatz vor: Auch Erlogenes verfestigt sich zu Tatsachen. Das hat Werner Herzog, der am kommenden Montag 80 Jahre jung wird, aus der Geschichte und seinen historischen Studien gelernt: Schließlich hat schon der Renaissance-Dichter Petrarca das mittelalterliche „Privilegium maius“ als plumpe Fälschung enttarnt, zur rechtlichen Grundlage für den Aufstieg des Hauses Habsburg wurde das Dokument trotzdem.

„Jeder für sich und Gott gegen alle“ ist ein beeindruckendes Buch über ein beeindruckend konsequentes Leben. Wenn Herzog von seiner entbehrungsreichen Kindheit im bayerischen Bergdorf Sachrang – unweit der Tiroler Grenze und natürlich „der abgelegenste Ort Bayerns“ – erzählt zum Beispiel, oder vom Größerwerden im kriegsversehrten München. Ungeschönte Geschichten sind das. Bisweilen ist Herzog unversöhnlich. Auch mit sich selbst. Wenn er etwa einen aus reiner Eitelkeit verursachten Skiunfall am Mont Blanc erinnert, den er mit viel Ach und noch mehr Krach überlebte. Jammern verbietet sich Werner Herzog sowieso. „Die Kultur der Wehleidigkeit ist mir zuwider“, schreibt er vehement unzeitgemäß. Und lebt konsequent vor, was das heißt: Dass er 2005 während eines Interviews vor seinem Haus in Los Angeles angeschossen wurde etwa, tut er lapidar als „Teil der lokalen Folklore“ ab.

Am schönsten ist das Buch, wenn Herzog griffige Worte für sein Staunen über die Welt, ihre Schönheit, ihre Schrecken und Rätsel findet. Spätestens dann ist herzlich egal, ob das Erzählte wahr oder nur höchstwahrscheinlich ist. Besser als gut ist es trotzdem. (jole)

Erinnerungen Werner Herzog: Jeder für sich und Gott gegen alle. Hanser, 350 Seiten, 28,80 Euro.