Akademietheater: Lust, Lüge und die Langeweile der Seele
Saison-Auftakt mit großem Applaus: Barbara Freys elegant-abgründige Interpretation von Arthur Schnitzlers „Das weite Land“ am Akademietheater.
Von Bernadette Lietzow
Innsbruck – Stahl, Kohle, Asche und welkes Grün sind die Farben der Schnitzler’schen Sommer(un)frische, wie sie Barbara Frey, Schweizer Regisseurin und Künstlerische Leiterin der Ruhrtriennale in Wien, vorstellt. Ihre Inszenierung von „Das weite Land“, eine Koproduktion mit dem Burgtheater, wurde im August im Rahmen der Ruhrtriennale in Bochum aus der Taufe gehoben und feierte am Freitag ihre Österreich-Premiere am Akademietheater.
Freys Schnitzler-Kosmos, die mondäne Welt des Glühbirnen-Fabrikantenpaares Hofreiter samt illustrer Entourage, kommt mit ganz wenig Versatzstücken aus, ein schwarzer, teiltransparenter Vorhang prägt, abgesehen vom fulminanten Schlussbild, die Szenerie, drei dunkel-lederne Clubsessel genügen, die Kleidung der ProtagonistInnen gerät, zeitlos schlicht und in den erwähnten Nicht-Farben gehalten, zu einem zwingenden und aussagekräftigen Element (Kostüme: Esther Geremus).
Schnitzlers 1910 uraufgeführter Tragikomödie vorangestellt hat Frey einen aus dem Off gesprochenen Text (Stimme: Markus Scheumann) über die Bedeutung von allerlei Getier bei der Verwesung von in der Erde bestatteten Körpern. Hinter dem Vorhang zieht der Trauerzug, der dem von eigener Hand aus dem Leben geschiedenen Pianisten Korsakow die letzte Ehre gibt.
Im Vordergrund sitzt Genia Hofreiter, Grande Dame, Betrogene, widerstrebend Betrügende und nicht zuletzt selbstrettend Abgeklärte. Katharina Lorenz gibt dieser von Schnitzler wie auch von der Regie mit großem Nuancenreichtum ausgestatteten Figur in der ihr eigenen Zurückhaltung und wohldosierten Emotion wunderbare Gestalt. An ihrer Seite steht Michael Maertens als Friedrich Hofreiter, jener Industrielle, der die Märkte ebenso erobert wie die Frauen in seiner Umgebung. Er ist, und das vermittelt Maertens in der gewandten Melange aus beflissenem Konversationston, Schmeicheleien und seriösem Geschäftsmann-Gehabe, ein eiskalter Taktiker der Macht, ein Marionettenspieler, an dessen Fäden möglichst viele zappeln sollen.
Der Bankier Natter (Branko Samarovski) gehört zu Hofreiters Spielfiguren, die Bankiersgattin Adele (Sabine Haupt) hat er gerade abgelegt. Nun richtet sich der Blick auf die junge kecke Erna Wahl, gespielt vom neuen Burg-Ensemblemitglied Nina Siewert, nahezu angespornt davon, dass sein (einziger?) Freund, der Arzt Dr. Mauer (anrührend: Itay Tiran), ernste Absichten bezüglich der jungen Frau hegt. Allein die Manipulation seiner Ehefrau scheitert, sie verweigert die Verantwortung für den Tod Korsakows wegen einer angeblichen Affäre, die Hofreiter ihr unterstellt, und bringt ihn letztendlich, als er am Ende im Duell Genias blutjungen Geliebten Otto (Felix Kammerer) tötet, zu Fall. Gelangweilt ist diese Gemeinschaft, versponnen in ihre Intrigen und bedürftig.
Präzise gelingt die Darstellung einer Gesellschaft am Abgrund. Im ausgezeichnet aufeinander abgestimmten Ensemble glänzen weiters Bibiana Beglau in der Doppelrolle als Ottos Mutter und Schauspielerin Meinhold-Aigner und ihres Ex-Gatten und Hoteldirektors Doktor von Aigner wie auch Dorothee Hartinger als Frau Wahl (mit gelegentlichen verhaltenen Tanzeinlagen zum Jodler in der Südtiroler Sommerfrische).
Als vielsagenden Schlusspunkt hat Bühnenbildner Martin Zehetgruber neben ein Bild der leuchtenden Drei Zinnen ein riesiges Mahlrad platziert – Symbol der seelischen wie real dräuenden Katastrophen. Begeisterter Applaus beendet diese pausenlosen 140 Minuten, die Schnitzlers so fein analysierten Menschenzoo klug ins Jetzt holen.