Nachfolgerin von Boris Johnson: Liz Truss wird britische Premierministerin
Die bisherige Außenministerin Liz Truss wird Nachfolgerin des britischen Premierministers Boris Johnson. Die Konservative Partei wählte die 47-Jährige zu ihrer neuen Vorsitzenden und damit auch zur nächsten Regierungschefin.
London – Liz Truss wird neue Premierministerin des Vereinigten Königreichs und damit Nachfolgerin von Boris Johnson. Die Mitglieder der regierenden Konservativen Partei wählten die bisherige Außenministerin mit mehr als 81 000 Stimmen zu ihrer neuen Vorsitzenden. Truss zieht damit auch in den Regierungssitz Downing Street ein.
Die 47-Jährige setzte sich im internen Wahlkampf gegen den früheren Finanzminister Rishi Sunak durch, der rund 60.000 Stimmen erhielt, wie der Chef des zuständigen Fraktionskomitees, Graham Brady, am Montag in London mitteilte. Königin Elizabeth II. wird Truss an diesem Dienstag auf ihrem Schloss Balmoral in Schottland zur Premierministerin ernennen. Damit wird Truss die dritte Frau an der britischen Regierungsspitze nach Margaret Thatcher und Theresa May.
Die gut 175.000 Parteimitglieder konnten in den vergangenen Wochen abstimmen. Truss erhielt letztlich 57,4 Prozent der Stimmen, Sunak 42,6 Prozent. Die beiden Politiker hatten sich zuvor in mehreren Abstimmungsrunden der konservativen Abgeordneten für die Stichwahl durchgesetzt.
Letzte Ansprache am Dienstag
Am Dienstag wird sich Johnson ein letztes Mal als Premier an die Bevölkerung wenden, bevor er in Schottland von der Queen aus dem Amt entlassen wird. Der 58-Jährige scheidet nach zahlreichen Skandalen auf Druck seines Kabinetts und der Fraktion aus. Die "Partygate"-Affäre um verbotene Lockdown-Feiern in Johnsons Amtssitz hatte ihn ins Wanken gebracht. Mehrere weitere Skandale und sein Umgang damit brachten den Premier dann zu Fall. Ein mögliches Comeback gilt jedoch nicht als ausgeschlossen. Noch immer hat der Politiker, der zunächst einfacher Abgeordneter bleiben wird, eine starke Unterstützerbasis in der Partei.
Führende britische Oppositionspolitiker kritisierten die designierte Premierministerin direkt nach ihrer Kür zur Chefin der Konservativen Partei. Man habe von Truss weitaus mehr über eine Kürzung der Unternehmensteuer als über Erleichterungen für Privathaushalte gehört, sagte Oppositionschef Keir Starmer von der Labour Party am Montag. "Das zeigt, dass sie nicht nur abgehoben ist, sondern auch nicht auf der Seite der arbeitenden Bevölkerung steht."
Auch der Chef der britischen Liberaldemokraten, Ed Davey, sparte nicht mit Kritik. Von Truss sei mehr von den Krisen und dem Chaos zu erwarten, das bereits Boris Johnson gebracht habe, schrieb Davey auf Twitter. Es sei Zeit, eine Neuwahl einzuberufen.
In ihrer Siegesrede bekräftigte Truss einige ihrer Versprechen, die sie in den vergangenen Wochen gemacht hatte. "Ich habe als Konservative Wahlkampf gemacht, und ich werde als Konservative regieren." Sie werde die Energiekrise angehen, insbesondere die Energierechnungen sowie die Frage, wie die Energieversorgung langfristig geregelt werden soll. Auch diesmal erläuterte sie nicht näher, was sie konkret vorhat.
Johnson erklärte, er wisse, dass Truss "den richtigen Plan" habe, um es mit den Lebenshaltungskosten aufzunehmen und die Partei sowie das Land zu einen. "Jetzt ist die Zeit für alle Konservativen, sich zu 100 Prozent hinter sie zu stellen." Dem pflichtete der unterlegene Sunak bei: "Es ist richtig, dass wir uns jetzt hinter der neuen Premierministerin Liz Truss vereinen, während sie das Land durch schwierige Zeiten steuert."
Im Wahlkampf versprach Truss, binnen einer Woche nach ihrem Einzug in die Downing Street 10 einen Plan zur Eindämmung der explodierenden Energiekosten vorzulegen. Mehrfach kündigte sie Steuerkürzungen an - ungeachtet der Warnungen einiger Fachleute, dass dadurch die Inflation noch weiter befeuert werden könnte. Auch in der Finanzwelt machte sich Skepsis breit, besonders nachdem Truss sagte, sich die Rolle der für die Geldpolitik zuständigen Notenbank genauer ansehen zu wollen. Einige Investoren zogen sich daraufhin aus britischen Staatsanleihen und Anlagen in Pfund zurück.
Außenpolitisch hat sich Truss allein schon aufgrund ihrer bisherigen Rolle als Großbritanniens Chefdiplomatin klarer positioniert. Wie Johnson ist sie als entschiedene Unterstützerin der Ukraine im Krieg gegen Russland aufgetreten. Es wird damit gerechnet, dass die ukrainische Hauptstadt Kiew Ziel einer ihrer ersten Auslandsreisen sein wird. In der Europäischen Union dürfte man dagegen darauf gefasst sein, dass das Gezerre um die Ausgestaltung der künftigen Beziehungen anhält. War Truss vor dem Referendum von 2016 noch für einen Verbleib Großbritanniens in der Staatengemeinschaft eingetreten, ist sie inzwischen eine glühende Verfechterin des Brexit.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte per Twitter, sie freue sich auf eine konstruktive Zusammenarbeit mit der neuen Premierministerin und erwarte, dass unter Truss Großbritannien alle Aspekte der Brexit-Vereinbarung einhalten werde.
Auch Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) gratulierte Truss zu ihrer neuen Aufgabe. "Wir freuen uns darauf, zusammenzuarbeiten und die Beziehungen zwischen Österreich und Großbritannien weiter zu stärken", schrieb Nehammer am Montag auf Twitter.
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz gratulierte Truss ebenfalls. "Ich freue mich auf unsere Zusammenarbeit in diesen herausfordernden Zeiten", twitterte er am Montag. "Das Vereinigte Königreich und Deutschland werden weiterhin eng kooperieren - als Verbündete und Freunde." (APA, dpa, Reuters)