Neue britische Premierministerin Truss: „Natürlich wird es nicht einfach“
Großbritannien hat zum vierten Mal in sechs Jahren eine neue Regierungschefin. Liz Truss übernimmt von Boris Johnson. Am Dienstag hielt sie ihre Antrittsrede in der Downing Street.
London – Die neue britische Premierministerin Liz Truss hat in ihrer Antrittsrede eine bessere Zukunft für das Vereinigte Königreich angekündigt. "Unser Land wurde von Menschen aufgebaut, die Dinge erledigen. Wir haben gewaltige Reserven an Talent, Energie und Entschlossenheit", sagte Truss am Dienstag vor ihrem Amtssitz in der Londoner Downing Street.
📽️ Video | Erste Rede von Liz Truss in der Downing Street
"Ich bin zuversichtlich, dass wir gemeinsam den Sturm überstehen, unsere Wirtschaft wieder aufbauen und zu dem modernen, hervorragenden Großbritannien werden, von dem ich weiß, dass wir es sein können." Als Prioritäten nannte die bisherige Außenministerin die Wirtschaft, die Energiepreise und den Gesundheitsdienst NHS. Sie werde dafür sorgen, dass Straßen, Wohnungen und schnelles Internet gebaut werden. "Natürlich wird es nicht einfach, aber wir schaffen das. Wir werden Großbritannien in eine aufstrebende Nation verwandeln", sagte Truss. "So stark der Sturm auch ist, ich weiß, dass die Briten stärker sind."
Die 47-Jährige war zuvor von Queen Elizabeth II. zur Nachfolgerin von Boris Johnson ernannt worden, der unter schwerem Druck seiner Fraktion zurückgetreten war. Auf Schloss Balmoral in Schottland, ihrer Sommerresidenz, bat die Monarchin Truss darum, eine neue Regierung zu bilden. Die bisherige Außenministerin akzeptierte und lobte in ihrer Antrittsrede dann ihren Vorgänger Boris Johnson. "Die Geschichte wird ihn als äußerst konsequenten Premierminister würdigen", sagte Truss. In der Downing Street verfolgten Dutzende Abgeordnete und Mitarbeiter die Antrittsrede.
Neues Kabinett mit Vertrauten und Unterstützern
Die bisherige Arbeitsministerin Therese Coffey, die als engste Verbündete von Truss gilt, übernimmt das Gesundheitsministerium und wird zugleich Vizeregierungschefin, wie Downing Street am Dienstagabend mitteilte. Auf den wichtigen Posten des Finanzministers berief die neue Regierungschefin wie erwartet den bisherigen Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng. James Cleverly, zuletzt Bildungsminister und zuvor unter Truss Europa-Staatssekretär, übernimmt das Außenministerium. Die konservative Hardlinerin Suella Braverman wird Innenministerin.
Dritte Frau an der Spitze der britischen Regierung
Die Konservative Partei hatte Truss zuvor zur Vorsitzenden gewählt, was ihr wie in Großbritannien üblich auch den Posten der Regierungschefin bescherte, da die Tories derzeit im Unterhaus in der Mehrheit sind. Truss ist nach Margaret Thatcher und Theresa May die dritte Frau an der Spitze der britischen Regierung.
Der formelle Wechsel an der Regierungsspitze wurde am Vormittag mit einer Abschiedsrede Johnsons eingeleitet, in der er die Mitglieder der Konservativen Partei noch einmal dazu aufrief, sich hinter Truss zu stellen. Seine Nachfolgerin bezieht den Amtssitz in der Londoner Downing Street 10 in einer kritischen Phase: Großbritannien ist mit einer galoppierenden Inflation konfrontiert und droht in eine Rezession zu stürzen. Millionen Britinnen und Briten haben Angst, im bevorstehenden Winter ihre Strom- und Gasrechnungen nicht mehr bezahlen zu können. Hinzu kommen Unsicherheiten durch den Krieg in der Ukraine, die Corona-Pandemie und den Brexit.
Großbritannien
„Trägerrakete“ Boris Johnson stahl seiner Nachfolgerin die Show
Truss hat Steuerkürzungen versprochen und angekündigt, als eine ihrer ersten Maßnahmen einen Plan zur Bewältigung der Energiekrise vorzulegen. Konkrete Details nannte die neue Premierministerin bisher nicht öffentlich. Medienberichten zufolge will sie Unternehmen mit einem Hilfspaket im Umfang von 40 Milliarden Pfund (46,32 Mrd. Euro) unter die Arme greifen. Im Gespräch ist auch eine Deckelung der Energiekosten, um einen Anstieg der Rechnungen zu stoppen. Die Umsetzung eines solchen Vorhabens könnte nach Angaben eines Insiders bis zu 100 Milliarden Pfund kosten.
Wie Großbritannien das finanziell stemmen soll, ist nicht klar. Unter Fachleuten machte sich Skepsis breit, ob etwa die Inflation nicht sogar noch befeuert werden könnte. Einige Investoren zogen sich aus Anlagen in britischen Pfund zurück.
Die Queen hält sich traditionell von Mitte Juli bis Mitte September auf ihrem schottischen Landsitz Schloss Balmoral auf. Dass sie die Politiker nicht im Buckingham-Palast in London empfing, hat mit den Mobilitätsproblemen der 96 Jahre alten Monarchin zu tun, die während ihrer Regentschaft nun drei Frauen und zwölf Männer in der Downing Street 10 erlebt hat.
Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) gratulierte Truss bereits am Montag nach ihrer Wahl zur Tory-Vorsitzenden zu ihrer neuen Aufgabe. "Wir freuen uns darauf, zusammenzuarbeiten und die Beziehungen zwischen Österreich und Großbritannien weiter zu stärken", schrieb der Bundeskanzler auf Twitter.
Der ehemalige EU-Chefunterhändler in den Brexit-Verhandlungen, Michel Barnier, übermittelte am Dienstag via Twitter seine "besten Wünsche" an das Vereinigte Königreich und die Briten unter der Regierung von Truss. "Friede und Stabilität in Nordirland, Kooperation bei der Sicherheit, Solidarität bei der Energie: Es gibt so viele Gründe, einander zu respektieren und zusammenzuarbeiten. Warten wir ab."
Auch US-Präsident Joe Biden hat der neuen britischen Premierministerin Liz Truss zum Amtsantritt gratuliert. "Ich freue mich darauf, die besondere Beziehung unserer Länder zu vertiefen und bei globalen Herausforderungen eng zusammenzuarbeiten", schrieb Biden am Dienstag auf Twitter. Dazu gehöre auch die fortgesetzte Unterstützung der Ukraine. Nach Angaben des Weißen Hauses wollte Biden noch im Laufe des Dienstags am Telefon persönlich mit Truss sprechen. (APA/dpa/Reuters)
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