Britische Politologin im TT-Gespräch: „Truss muss nun in der Krise liefern“
Die britische Politologin Melanie Sully sieht die neue Premierministerin Truss in der Krise stark gefordert und Boris Johnson noch nicht in der Pension.
Liz Truss steht als neue Premierministerin vor einer Herkulesaufgabe. Sie muss das Land aus einer schweren Wirtschaftskrise führen. Kann ihr das gelingen? Ihre Wahlversprechen sind in der Realität ja nur schwer umsetzbar.
Sully: Ihr Hauptthema wird die Bewältigung der Energiekrise sein. Sie muss verhindern, dass Millionen Menschen angesichts explodierender Energiepreise in die Armut abrutschen. Wichtig ist in diesem Kontext, dass sie mit dem künftigen Finanzminister am selben Strang zieht. Mit Ex-Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng macht sie einen engen Vertrauten zum Schatzkanzler. Die Frage wird sein, wie sie das Versprechen, Steuern zu senken und gleichzeitig teure Hilfsprogramme aufzusetzen, unter einen Hut bringen kann. Schließlich werden die Hilfen zur Bewältigung der Energiekrise den Staat noch teurer kommen als die schon sehr kostspieligen Corona-Hilfsmaßnahmen.
Wie viel Unterstützung hat Truss in ihrer Partei?
Sully: Sie hat die Unterstützung der Johnson-Anhänger und auch der Brexit-Hardliner rund um die einflussreiche Parlamentariervereinigung European Research Group. Sie erwarten von Truss, dass sie die Brexit-Revolution fortsetzt – im Sinne einer weiteren Abkoppelung von Europa und weiteren Deregulierungen.
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Sollte es Neuwahlen geben, hätten die Tories derzeit aber wohl keine Chance, diese zu gewinnen.
Sully: In aktuellen Umfragen liegen die Tories rund zehn Prozent hinter der Labour-Party, die wieder in die Mitte gerückt ist. Aber die Parlamentswahlen sind noch in weiter Ferne.
Ist mit dem Abgang als Chef der Tories und Premierminister das politische Ende von Boris Johnson gekommen?
Sully: In seiner Abschiedsrede gab er sich kämpferisch. In Krisenzeiten, in der Politiker wenig gewinnen können, kann er sich nun entspannt zurücklehnen. Und als Retter möglicherweise zurückkehren. Ein solch klarer Wahlsieg, wie ihn Johnson im Dezember 2019 feiern konnte, wird seinen Nachfolgern wohl verwehrt bleiben. In Pension wird er sicher nicht gehen.
Wird sich unter Truss das Verhältnis zwischen London und Brüssel weiter verschlechtern?
Sully: Beide Seiten sollten sich nicht weiter bekämpfen und viel mehr eine neue Basis der Zusammenarbeit finden. Auch vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges in Europa.
Das Interview führte Christian Jentsch
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