Mangott zu BP-Wahl: Kreml hat keinen Kandidaten in Österreich
Laut Mangott war der Amtsinhaber Van der Bellen noch Jahre nach der Krim-Annexion ein "nützlicher Idiot" Putins. Gas- und Stromrationierungen am Ende des Winters sind möglich.
Wien, Kiew, Moskau – Der Kreml hat nach Einschätzung des Russland-Experten Gerhard Mangott keinen bevorzugten Bewerber bei der Bundespräsidentenwahl. "Keiner" der sechs Bewerber sei Putins Kandidat, "weil die russische Seite nach meinen Informationen ohnehin davon ausgeht, dass Van der Bellen wiedergewählt wird, schlimmstenfalls im zweiten Wahlgang", sagte Mangott im APA-Interview. Dem Amtsinhaber attestierte er, noch im Jahr 2019 "zum Teil ein nützlicher Idiot" des Kreml-Chefs gewesen zu sein.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen habe nämlich bei Putins Österreich-Besuch im Juni 2018 gesagt, dass es "keinen Grund für eine Vertrauenskrise zwischen der Europäischen Union und Russland" gebe. Angesichts der bereits erfolgten Krim-Annexion und des Krieges im Donbass sei dies eine "skandalöse Bemerkung" gewesen. "Es gab mehr als triftige Gründe für eine Vertrauenskrise. Und dass er das noch bei seinem Gegenbesuch im Mai 2019 in Sotschi wiederholt hat, hat dem Ganzen noch die Spitze aufgesetzt", sagte der Politikwissenschafter. Nach Kriegsbeginn sei Van der Bellen dann "umgeschwenkt. Es blieb ihm nichts anderes übrig, er sprach auch von einem Fehler, den er da gemacht hat".
Rosenkranz für Kreml ohne Chance
Im Kreml rechne man damit, dass Van der Bellen schon im ersten Wahlgang die Wiederwahl schaffen werde, sagte Mangott. Dem FPÖ-Bewerber Walter Rosenkranz gebe man "keine Chance auf den Gewinn dieser Wahl". Auch gebe man nichts darauf, dass die FPÖ in absehbarer Zeit wieder eine Regierungsbeteiligung schaffen werde, deshalb seien die Beziehungen zu den Freiheitlichen derzeit nicht so wichtig. Die anderen Kandidaten hätten "nicht das Potenzial, es in eine Stichwahl zu schaffen", ergänzte der Experte mit Verweis auf aktuelle Meinungsumfragen.
Die für den Ukraine-Konflikt wichtigste europäische Wahl in nächster Zeit sei jene in Italien, so Mangott weiter. Unter einer neuen Rechtsregierung könnte die italienische Linie bezüglich der Russland-Sanktionen nämlich "radikal anders" sein. Schon bisher habe Italien mit Frankreich und Deutschland zu jenen EU-Staaten gehört, "die eher mäßigend auf die ukrainische Führung einwirken wollten". Unter einer Rechtsregierung werde sich "diese italienische Position noch deutlich verstärken".
Kritik auch an Kneissl und Schröder
Scharfe Worte fand Mangott für jene westlichen Politiker, die immer noch zum Aggressorstaat stehen. "Dass diese Personen mit einem gewissen Intelligenzgrad die russische Politik tatsächlich gutheißen, kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. So verblendet, so verwirrt kann niemand sein, der eine politische Führungsfigur war", sagte er mit Blick auf den deutschen Ex-Kanzler Gerhard Schröder oder Ex-Außenministerin Karin Kneissl. Ausschlaggebend für deren Haltung dürften wohl finanzielle Interessen sein. Bei Kneissl "munkelt man noch immer, dass sie Geld aus Russland erhält", so Mangott, der zugleich die Frage stellte, wie sie ihr Leben sonst finanzieren solle. Sie brauche Russland, "wenn sie noch einmal einen Fuß auf den Boden des Wohlstands setzen will".
Als verfrüht sieht Mangott Einschätzungen an, Kreml-Chef Wladimir Putin habe mit den aktuellen Gaslieferstopps bereits seine letzte Karte im Energiekrieg gegen Europa ausgespielt. Es gebe nämlich noch Lieferungen über das ukrainische Netz und auch Turkstream, das "wohl am längsten laufen" werde. Erst wenn die Lieferungen zur Gänze eingestellt seien, "dann ist die Karte ausgespielt, dann wird man sehen, wie sehr die Karte sticht", meinte Mangott mit Blick auf mögliche politische Konsequenzen von Massendemonstrationen gegen die Sanktionen bis zum Zerfall von Regierungskoalitionen.
"Kann durchaus zu Rationierungen kommen"
"Ich nehme an, wir werden es mit einer Gasunterversorgung zu tun haben, mit Gasrationierung, und es kann durchaus auch zu Stromrationierungen kommen", sagte Mangott auf die Frage, wo Europa am Ende des Winters stehen werde. Dies könnte auch Privatpersonen betreffen. Klar sei, dass diese Waffe Russlands in diesem Winter "noch am stärksten wirken wird", während sie in den künftigen Wintern immer schwächer werde "bis zur völligen Irrelevanz".
Einer der Gründe für die ukrainische Offensive in Cherson sei, den Westen angesichts des beginnenden Winters bei der Stange zu halten. Kiew wolle seinen Verbündeten zeigen, "dass es Territorium nicht nur halten, sondern auch zurückerobern kann". Wenn sich im Winter nämlich ein Stellungskrieg zeige, "könnte die Bereitschaft, die Ukraine weiter zu unterstützen, schwächer werden". Auch wenn derzeit vieles noch unklar sei, gebe es Hinweise für vereinzelte Erfolge der ukrainischen Seite, insbesondere im nördlichen und mittleren Teil der Region Cherson sowie bei der Unterbrechung von Versorgungswegen aus der Krim.
Verlust der Krim für Putin "verheerend"
Dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj auch die von Russland annektierte Halbinsel Krim zurückerobern will, hält Mangott für "authentisch". "Ich kann mir nur kein Szenario vorstellen, wo der Ukraine das gelingt, denn der Verlust der Krim wäre für Putin verheerend. Es wäre ein Desaster für Putin, und das kann er nicht stattfinden lassen."
Für unrealistisch hält Mangott auch eine baldige russische Einnahme des gesamten Donbass. Bis zum aktuell kolportierten Datum 15. September werde dies "definitiv" nicht möglich sein. Der Krieg werde jedenfalls "noch viele Monate" dauern. "Wenn es ein Abnützungskrieg wird mit unverändertem Frontverlauf, kann es noch sehr lange dauern", sagte der Experte.
Das Gespräch führte Stefan Vospernik, APA
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