Uni Innsbruck

Zwei Pioniere treten ab: Generationswechsel in der Innsbrucker Quantenphysik

Ihre Karrieren sind eng miteinander verbunden und auch ihre Geburtstag sind es: Rainer Blatt und Peter Zoller.
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Mit Rainer Blatt und Peter Zoller verabschieden sich zwei zentrale Akteure der heimischen Quantenforschung langsam. Sie haben maßgeblich dazu beigetragen, Innsbruck zu einem weltweit beachteten Zentrum der Quantenphysik zu machen.

Innsbruck, Wien – In der österreichischen Quantenphysik zeichnet sich ein Generationswechsel ab. Rainer Blatt und Peter Zoller werden in den nächsten Tagen 70 Jahre alt. Sie haben maßgeblich dazu beigetragen, Innsbruck zu einem weltweit beachteten Zentrum der Quantenphysik zu machen. An der Uni sind sie bereits emeritiert, arbeiten aber per Sondervertrag noch bis 2023. Dann werden sie auch am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Akademie der Wissenschaften emeritieren.

Mehr als 35 Jahre lang haben Blatt und Zoller zahlreiche wichtige Beiträge in der Quantenphysik geleistet und ganz wesentlich dazu beigetragen, dass Innsbruck „weltweit als wichtiges Zentrum der Quantenphysik wahrgenommen wird und die besten Köpfe des Faches hierher streben", wie der Rektor der Universität Innsbruck, Tilmann Märk, Anfang Juli bei einer Auszeichnung der beiden Physiker erklärte. Als verfrühtes Geburtstagsgeschenk erhielten die beiden damals das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse.

Rainer Blatt, Experimentalphysiker

Der „Macher" teleportierte erstmals Atome, schuf das erste Quantenbyte und hat mit seinen bahnbrechenden Experimenten den Weltruf der Innsbrucker Quantenphysik mitgeprägt.

Mit bahnbrechenden Experimenten hat Rainer Blatt in den vergangenen Jahren den Ruf der österreichischen – speziell der Innsbrucker – Quantenphysik entscheidend mitgeprägt. Ihm gelangen etwa die erste Teleportation mit Atomen, die Erzeugung des ersten Quantenbytes" und weitere bedeutende Schritte zur Entwicklung eines Quantencomputers. Am Donnerstag (8.9.) wird der Innsbrucker Experimentalphysiker 70 Jahre alt.

Auch mit 70 ist Blatt – einer der meistzitierten in Österreich tätigen Wissenschafter – noch hoch aktiv und wird seinem Ruf als Macher" gerecht, als jemand, der "in der Lage ist, Dinge umzusetzen", wie ihn sein Innsbrucker Kollege, der theoretische Physiker Peter Zoller einmal beschrieb. Dieser hat übrigens nur eine Woche nach Blatt, am 16. September, seinen 70. Geburtstag.

Seit Blatt an der Universität Innsbruck vor zwei Jahren emeritiert wurde, arbeitet er per Sondervertrag bis September 2023 weiter, um seine Experimente fortzuführen. Am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), das er mit aufgebaut hat, ist er weiterhin im Direktorium tätig, wird dort aber ebenso im nächsten Jahr emeritieren. In dem von ihm mitgegründeten Spin-off Alpine Quantum Technologies GmbH (AQT) verfolgt er die kommerzielle Umsetzung seiner wissenschaftlichen Erkenntnisse für den Bau eines Quantencomputers. Und seit dem Vorjahr koordiniert er das „Munich Quantum Valley", eine mit 300 Mio. Euro ausgestattete Initiative Bayerns zum Ausbau der Quantenwissenschaften.

Seit 1995 an der Uni Innsbruck

Blatt, geboren am 8. September 1952 in Idar-Oberstein (Rheinland-Pfalz, Deutschland), studierte Mathematik und Physik an der Universität Mainz. Nach seiner Promotion ging er 1982 an das Joint Institute for Laboratory Astrophysics in Boulder (USA) zum späteren Physik-Nobelpreisträger (2005) John Hall. Weitere Stationen seiner Karriere führten ihn ab 1983 an die Freie Universität Berlin und die Universität Hamburg, immer wieder unterbrochen durch Forschungsaufenthalte in den USA. 1994 wurde er – inzwischen im Fach Experimentalphysik habilitiert (1988) – zum Professor für Physik an die Universität Göttingen berufen, ehe ihn 1995 der Ruf auf einen Lehrstuhl für Experimentalphysik der Universität Innsbruck ereilte.

Im selben Jahr entwarfen Peter Zoller und Ignacio Cirac das Modell eines Quantencomputers, der auf der Wechselwirkung von Lasern mit kalten, in Magnetfallen gespeicherten Ionen basiert. Viele seiner Experimente baute Blatt auf den von Zoller und Cirac entwickelten theoretischen Konzepten auf. So konnte er 2004 weltweit erstmals die Quanteninformation eines Atoms in vollständig kontrollierter Weise auf ein anderes Atom übertragen, also „teleportieren". Im berühmten Experiment des Wiener Experimentalphysikers Anton Zeilinger wurden Photonen teleportiert.

Zwei Jahre später schaffte es Blatts Gruppe, acht Ionen miteinander zu verschränken, was als Erzeugung des ersten „Quantenbytes" in die Annalen einging und heute noch zu den „kleineren" der in Innsbruck laufenden Quantencomputer zählt. Mittlerweile arbeitet er routinemäßig mit Quantencomputern mit 20 bis 50 Quantenbits, führt Quantensimulationen durch und demonstrierte entscheidende Schritte zur erfolgreichen, für einen funktionierenden Quantencomputer unerlässlichen Fehlerkorrektur. Mit seinem Spin-off AQT will er einen Quantencomputer zur Marktreife bringen, bereits im Vorjahr präsentierten die Forscher einen Prototyp mit 24 Qubits, der nicht mehr ein ganzes Labor ausfüllt, sondern in zwei Rechenzentren-übliche Server-Schränke passt, und auch schon für Forscher und Industriepartner zugänglich ist.

Gründungsdirektor von IQOQI

An der Uni Innsbruck leitete Blatt von 2000 an das Institut für Experimentalphysik. Zudem war er 2003 einer der wissenschaftlichen Gründungsdirektoren des Instituts für Quantenoptik und Quantenphysik (IQOQI) mit seinen beiden Standorten Innsbruck und Wien. Als Teil des kongenialen Führungskleeblatts des IQOQI hat Blatt mit Peter Zoller, Hans Briegel und Rudolf Grimm Innsbruck zu einer international viel beachteten Zentrum der Quantenphysik gemacht.

Entsprechend zahlreich sind die Auszeichnungen, die der Vater von drei Kindern und begeisterte Musiker, der in der Musikkapelle Inzing das Euphonium bläst, bisher erhalten hat. Dazu zählen u.a. die Stern-Gerlach-Medaille der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (2012), der Carl-Zeiss-Forschungspreis (2009), der Schrödinger-Preis der ÖAW, deren wirkliches Mitglied Blatt seit 2008 ist, der Humboldt-Forschungspreis (2013), der John-Stewart-Bell-Preis (2015), die Aufnahme in die US-National Academy of Sciences (2019), der Micius-Preis (2019) und das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse (2022).

Mit 68 Jahren wurden die beiden Physiker emeritiert, haben aber noch einen Sondervertrag bis September 2023 mit einer 50-prozentigen Anstellung. Danach wird es für Blatt schwieriger werden, seine aufwändigen Experimente weiterzuführen, als Theoretiker tut sich Zoller beim Weiterarbeiten leichter. Möglicherweise ist das mit ein Grund, warum die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) bisher nur die Nachfolge Blatts am IQOQI ausgeschrieben hat, jene Zollers noch nicht.

Neben der Ausschreibung für die Blatt-Nachfolge wurde ein Findungs-Komitee unter der Leitung des Wiener Quantenphysikers Jörg Schmiedmayer eingesetzt. Die Suche sei derzeit im Laufen und finde in Abstimmung mit der Uni Innsbruck statt, mit der eine enge Anbindung in Lehre und Forschung bei der Neubesetzung von der ÖAW angestrebt werde, hieß es auf Anfrage.

Peter Zoller, theoretischer Physiker

Kein „Rechenknecht" der Experimentatoren, sondern mit Zielen an der Grenze des Machbaren. Entwickelte mit spanischem Kollegen Konzept für Quantencomputer.

Das Bild des verschrobenen Theoretikers, der mit zerrauftem Haar alleine in seinem Zimmer Probleme löst, stimmt im Fall Peter Zollers nicht: Der Innsbrucker theoretische Physiker könnte rein äußerlich als Tiroler Bergführer durchgehen und die guten Ideen kommen ihm, „wenn man mit Leuten redet". Am 16. September wird er 70 Jahre alt, wenige Tage nach dem 70. Geburtstag des Experimentalphysikers Rainer Blatt, mit dem er Innsbruck zu einer Hochburg der Quantenphysik gemacht hat.

1994 präsentierte der US-Physiker Peter Shor einen Quantenalgorithmus zur Faktorisierung großer Zahlen und demonstrierte damit das große Potenzial eines Quantencomputers. Wie man einen solchen bauen könnte, war damals allerdings noch unklar. Zoller und sein spanischer Kollege Ignacio Cirac entwickelten in nur dreimonatiger, intensiver Zusammenarbeit einen „Bauplan für einen Ionenfallen-Quantencomputer und eine schaltungsbasierte Quantencomputerarchitektur im Allgemeinen" und veröffentlichten ihr Konzept im Mai 1995 im Fachjournal Physical Review Letters.

Ihre Idee sei „einfach und elegant, und aus diesem Grund wurde sie auf anderen Plattformen übernommen", hieß es anlässlich des 25-Jahr-Jubiläums der Veröffentlichung in einer in Nature Reviews Physics veröffentlichten Würdigung, und weiter: „Durch das Cirac-Zoller-Papier entwickelte sich Quantencomputing von einer kühnen theoretischen Idee zu einem experimentellen Wettlauf um den Bau eines tatsächlichen Quantencomputers." Wie weit man dabei ist, zeigt das von Zoller und Blatt mitgegründete Spin-off Alpine Quantum Technologies GmbH (AQT). Dieses hat bereits im Vorjahr den Prototyp eines marktreifen Quantencomputers mit 24 Qubits präsentiert, der in zwei Rechenzentren-übliche Server-Schränke passt und bereits für Forscher und Industriepartner zugänglich ist.

„Sehr dicht" am Experiment

Zu Zollers Erfolg trägt wohl bei, dass er „sehr dicht an den Experimenten dran" sei, wie Blatt es einmal beschrieb. Auch der Wiener Experimentalphysiker Anton Zeilinger bescheinigt Zoller ein „irrsinnig gutes Gefühl dafür, was im Experiment gerade noch geht – das ist sehr stimulierend". Zoller selbst beschrieb seine Arbeit einmal so: „Wir stellen Fragen, was die Kollegen im Labor in fünf Jahren können. Dann überlegen wir, welche neue Physik wir mit diesen neuen Möglichkeiten tun können."

Zoller hat aber auch die Querverbindung von der Quanten- zur Festkörperphysik geschafft und etwa den Vorschlag eines Quantensimulators mit kalten Atomen gemacht, um die bis heute ungeklärten Phänomene in Hochtemperatur-Supraleitern zu erforschen. „Zoller wechselt relativ oft die Subgebiete und ist dadurch sehr stimulierend – auch international", so Zeilinger, und weiter: „Er ist nicht der Rechenknecht der Experimentatoren, sondern setzt selbst neue Ziele."

Entsprechend interessant sind Zollers Arbeiten für seine Kollegen. Er zählt zu Österreichs meistzitierten Wissenschaftern und wird auch immer wieder als Favorit für den Physik-Nobelpreis genannt. Über mangelnde Ehrungen kann sich Zoller nicht beklagen. Er erhielt u.a. den Wittgenstein-Preis (1998), die Niels Bohr-Goldmedaille und die Max Planck-Medaille (beide 2005), die Dirac-Medaille und den International Quantum Communication Award (beide 2006), den BBVA Foundation Frontiers of Knowledge Award (2009), die Benjamin Franklin Medaille für Physik (2010), die Blaise-Pascal-Medaille in Physik (2011), den Wolf-Preis (2013), den Willis E. Lamb-Preis und den Norman F. Ramsey-Preis (beide 2018), den Micius-Preis und den John-Stewart-Bell-Preis (beide 2019).

Physik-Begeisterung überzeugte Eltern

Die Ehrungen sind Teil der Ernte, die Zoller in seiner mehr als 40-jährigen wissenschaftlichen Karriere eingefahren hat: Geboren am 16. September 1952 in Innsbruck studierte er in seiner Heimatstadt Physik. Das Fach habe ihn schon in der Schule immer interessiert, doch eigentlich waren seine Eltern gegen die „brotlose Kunst Physik". Seine Begeisterung habe sie aber schließlich überzeugt, erinnerte sich Zoller. Zur theoretischen Physik hat es ihn hingezogen, „weil man am Anfang ein paar Regeln lernt und durch Nachdenken dann andere Dinge ableiten kann. Man kann kreativ sein und ein Gebäude aufbauen."

1977 wurde er promoviert, forschte zwischen 1978 und 1980 als Max Kade Stipendiat an der University of Southern California und ging nach Auckland (Neuseeland). 1981 habilitierte sich Zoller in Innsbruck, 1981 und 1988 war er jeweils für ein Jahr Visiting Fellow am Joint Institute for Laboratory Astrophysics (JILA) der University of Colorado in Boulder (USA), wo er 1991 zum Professor für Physik berufen wurde.

Seit 1994 wieder in Innsbruck

Dass Zoller wieder zurück nach Österreich kam, hat Anton Zeilinger mitzuverantworten. Als dieser über seine Berufung nach Innsbruck verhandelte, wünschte er sich Zoller für die vakante Professur für theoretische Physik. Das traf sich mit dessen Wünschen, die Ausbildung seiner drei Kinder in Österreich fortzusetzen.

1994 wurde er Professor an der Uni Innsbruck, wo er im Alter von 68 Jahren emeritierte, aber per Sondervertrag noch bis 2023 weiterarbeitet. Er begründete 2003 das Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) mit und ist seither einer der wissenschaftlichen Direktoren. International war Zoller sehr gefragt, lehnte aber mehrere Rufe an ausländische Universitäten ab. Zahlreiche Gastprofessuren führten ihn in den vergangenen Jahren dennoch an alle wichtigen Zentren der Physik.

Am IQOQI gehören Blatt und Zoller nach wie vor dem Direktorium an, gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen Francesca Ferlaino, Rudolf Grimm, Gerhard Kirchmair, Hannes Pichler und Oriol Romero-Isart. Mit dem Antreten des Ruhestands an der Uni werden sie nächstes Jahr auch am IQOQI emeritieren, hieß es dort auf Anfrage. Am IQOQI Wien war der Generationswechsel schon etwas früher, da hat Markus Aspelmeyer bereits 2019 die Nachfolge von Anton Zeilinger als Direktor übernommen.

Große Feiern sind für die beiden Jubilare nicht geplant. Gelegenheit für ein Geburtstagsständchen gibt es bei einer Konferenz des Spezialforschungsbereichs (SFB) „BeyondC" zum Thema „Frontiers of Quantum Information Science" diese Woche in Wien, an der neben Blatt der französische Physik-Nobelpreisträger Serge Haroche teilnehmen wird. Und für die Innsbrucker Community gibt es am 22. September Gelegenheit, bei einem Symposium am Institut für Experimentalphysik der Universität Innsbruck den beiden Physikern zu gratulieren. (APA)

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