Teuerung

Zwischen Inflation und Rezession: EZB beschloss kräftige Zinserhöhung

Die Europäische Zentralbank (EZB) entschied sich für eine Erhöhung des Leitzinses um 0,75 Prozentpunkte – und das trotz wachsender Sorgen vor einem Absturz der Wirtschaft in eine Rezession.

Von Anna Haselwanter

Frankfurt, Wien – Einstimmig sei die Entscheidung gewesen – und historisch. Die EZB hob den Leitzins gestern um 0,75 Prozentpunkte auf 1,25 Prozent an. Zwar seien unterschiedliche Ansichten am Tisch gelegen, aber nach einer „gründlichen Diskussion“ sei die gemeinsame Entscheidung zum kräftigen Zinsschritt gefallen. Die Teuerungsraten seien „nach wie vor deutlich zu hoch“, argumentierte EZB-Präsidentin Christine Lagarde. Es ist der erste so große Zinsschritt seit Bestehen der Notenbank. Nötig macht ihn die Rekordinflation, die den Währungshütern seit Monaten im Nacken sitzt. Die Rate lag im August bei 9,1 Prozent – und damit weit über vorhergehenden Prognosen.

Und: Noch scheint kein Ende in Sicht. Die Volkswirte der EZB rechnen kurzfristig mit einem weiteren Anstieg der Inflation. Der „Höhepunkt dürfte in Österreich erst im zweiten Quartal 2023 erreicht werden“, erklärt Josef Baumgartner, Wifo-Ökonom. Das Problem: Die Inflation im Euroraum ist – im Gegensatz zu den USA – zum allergrößten Teil energiegetrieben. „Und darauf hat die EZB keinen Einfluss“, schildert Stefan Bruckbauer, Chefökonom der Bank Austria. Vielmehr sei der Gaspreis politisch gesteuert. Zudem steige der Strompreis zum Teil auch saisonal bedingt im Winter ohnehin, sagt Baumgartner. Für Verbraucher heißt das, dass der Zinsschritt kurzfristig kaum Entlastung bringt.

Die Rohstoff- und Energiepreise dürften weiter steigen, zugleich verlangsame sich die Wirtschaft zunehmend. Schon im 2. Quartal seien die Kaufkraft und der private Konsum in Österreich zurückgegangen, sagt Baumgartner. Die durchschnittliche Teuerungsrate im Euroraum für dieses Jahr dürfte hingegen von den noch im Juni prognostizierten 6,8 Prozent auf 8,1 Prozent steigen.

Immer mehr Ökonomen halten es deshalb für möglich, dass die Wirtschaft im Euroraum aufgrund der anhaltenden Energiekrise und den nicht enden wollenden Lieferkettenproblemen in eine Rezession rutschen könnte. Und das dürfte der EZB in ihrer gestrigen Entscheidung ordentlich Tempo gemacht haben, denn: „In einer Rezession ist es freilich schwierig, Zinsen zu erhöhen“, sagt Bruckbauer. Letztlich hätten die Menschen aber „mehr Angst vor der Inflation als vor der Rezession, was den Schritt aus Sicht der EZB notwendig machte“.

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LEITARTIKEL

TT-Leitartikel zur EZB: Späte Zinsbremse gegen die Inflation

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EZB erhöht Leitzins im Euroraum um 0,75 Prozentpunkte auf 1,25 Prozent

Heißt: Die EZB will die Angst vor dem Energiepreisschock dämpfen – und mit der Anhebung des Leitzinses eine Signalwirkung erzielen. Denn die ständige Erwartung weiterer Preissteigerungen kann auch zu einer „Art selbsterfüllende Prophezeiung werden“, sagt Baumgartner. In diesem Umfeld sei es für Unternehmen leichter, Preise anzuheben, für Arbeitnehmer höhere Löhne zu fordern. In einer Rezession oder zumindest sehr abgekühlten Konjunktur sei das natürlich deutlich schwieriger. In „den Zweit- und Drittrundeneffekten wird sich der Zinsschritt also natürlich bemerkbar machen“, sagt auch Bruckbauer, „die Inflation also im zweiten Halbjahr des kommenden Jahres leicht sinken“. Dieser Ausblick spiegelt sich auch in den Inflationsprognosen wider. 2023 werde die Inflation laut EZB voraussichtlich bei 5,5 Prozent liegen, 2024 dann auf 2,3 Prozent sinken. Zudem soll sich durch den Zinsschritt auch der Euro zum Dollar etwas stabilisieren: Üblicherweise profitiert eine Währung von steigenden Zinsen, da sie für Anleger attraktiver wird.

Zugleich sind steigende Zinsen aber auch Ballast für die ohnehin schwächelnde Wirtschaft. Ein Dilemma, das zur zunächst zaghaften Haltung der EZB führte. Die Notenbank hatte die Inflation lange als vorübergehend interpretiert, für viele Ökonomen kam die Zinswende deshalb (zu) spät – „doch ein längeres Warten wäre noch teurer als ein beherztes Gegensteuern in wirtschaftlich unsicheren Zeiten“, sagte gestern Michael Holstein, Chefvolkswirt bei der deutschen DZ Bank AG. Und auch Ifo-Präsident Clemens Fuest findet: „Besser spät als nie.“ Dennoch bleibe die Geldpolitik expansiv. „In den nächsten Monaten werden weitere Zinserhöhungen folgen müssen.“

Verbraucher und Unternehmer müssen also mit steigenden Zinsen für Kredite rechnen. Wohingegen Sparer sich (noch) nicht freuen können. „Die Realzinsen sind ja nach wie vor deutlich negativ“, erklärt Baumgartner.

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