Wahl-Thriller in Schweden
Bei der Parlamentswahl in Schweden ist das äußerst knappe Rennen um die Mehrheit zugunsten des konservativen Lagers gekippt. Nach Auszählung von gut drei Vierteln der Wählerstimmen lag der vier Parteien umfassende Block um den Spitzenkandidaten und Moderaten-Chef Ulf Kristersson einschließlich der rechtspopulistischen Schwedendemokraten minimal vor dem Lager der sozialdemokratischen Ministerpräsidentin Magdalena Andersson.
Erste Prognosen hatten zunächst Anderssons Seite knapp vorn gesehen. Wer die Parlamentsmehrheit am Ende gewinnen wird, ließ sich am späten Sonntagabend noch nicht absehen. Das Kopf-an-Kopf-Rennen war so knapp, dass sich viele Spitzenpolitiker am Abend zunächst mit Aussagen zurückhielten. Nur ein Wort fiel auf den verschiedenen Wahlpartys immer wieder: "Spannend!" Die schwedischen Medien sprachen von einem "valrysare" - einem Wahl-Thriller.
Die acht Parlamentsparteien teilen sich in Schweden derzeit in zwei Vierergruppen auf - einen linksgerichteten und einen konservativen Block. Anderssons Lager verfügte vor der Wahl über die minimale Mehrheit von 175 der 349 Parlamentssitze, Kristerssons Block über 174. Am späten Sonntagabend sah die Lage beim schwedischen Rundfunksender SVT genau andersherum aus: Dort lag Kristerssons Lager gegen 23.15 Uhr bei 175 Mandaten und Anderssons bei 174.
Mit Blick auf die einzelnen Parteien ist das Ergebnis dagegen recht klar: Anderssons Sozialdemokraten bleiben in Schweden stärkste Kraft. Nach Auszählung von 75 Prozent der Stimmen lagen sie bei 30,4 Prozent. Erstmals zweitstärkste Kraft werden demnach die Schwedendemokraten, die zu dem Zeitpunkt bei 20,7 Prozent lagen. Kristerssons Moderate folgten mit 19,0 Prozent auf Rang drei.
Unabhängig vom Wahlausgang dürfte Schweden wie schon nach der Parlamentswahl vor vier Jahren eine langwierige Regierungsbildung bevorstehen. Der konservativ-rechte Block setzt eigentlich auf Kristersson - der Vorsitzende der Schwedendemokraten, Jimmie Åkesson, könnte angesichts des starken Abschneidens seiner Partei jedoch ebenfalls Ansprüche anmelden. Die einwanderungsfeindliche Partei könnte zum ersten Mal direkten Einfluss auf die Politik nehmen.
Die aus der Neonazi-Bewegung Ende der 80er Jahre hervorgegangene Partei um Parteichef Akesson war 2010 mit 5,7 Prozent der Stimmen erstmals in den schwedischen Reichstag eingezogen, 2018 erreichten sie bereits 17,5 Prozent.
Im Wahlkampf hatten die Parteien darum gekämpft, wer am härtesten gegen die Bandenkriminalität vorgeht, nachdem ein stetiger Anstieg an Schießereien die Wähler verunsichert hatte. Weitere Themen waren die steigende Inflation und die Energiekrise nach der russischen Invasion in der Ukraine.
Der Aufstieg der nationalistischen Schwedendemokraten in den vergangenen zehn Jahren fällt mit einer deutlichen Zunahme der Einwandererzahl zusammen. Schweden mit seinen zehn Millionen Einwohnern nahm in diesem Zeitraum fast eine halbe Million Asylwerber auf. Die klare Ablehnung von Zuwanderung und gleichzeitige Verteidigung des schwedischen Wohlfahrtsstaats machten die Schwedendemokraten bei Wählern aus unteren Einkommensschichten und Pensionisten beliebt.
Die bisherige Ministerpräsidentin Andersson von den Sozialdemokraten sagte bei ihrer Stimmabgabe, der Wahlausgang werde "sehr, sehr knapp". Die 55-Jährige hatte vor einer Regierung gewarnt, "die völlig von den Schwedendemokraten abhängig ist". Das wäre "ein anderes Schweden, das wir für vier Jahre haben würden".
Die wirtschaftlichen Turbulenzen, explodierende Energiepreise, der infolge des Ukraine-Krieges erstmals angestrebte NATO-Beitritt sowie die EU-Ratspräsidentschaft 2023 stellen die künftige Regierung in Stockholm vor große Herausforderungen.
Der schwedische Reichstag in Stockholm hat 349 Sitze. Für eine Mehrheit sind somit 175 Mandate notwendig. Um genau diese äußerst knappe Zahl zu erreichen, sind Andersson und ihre rein sozialdemokratische Minderheitsregierung bisher auf die Unterstützung der liberalen Zentrumspartei, der Linken und der Grünen angewiesen gewesen. Der konservativ-rechte Block, der vom Moderaten-Chef Kristersson angeführt wird, verfügte bisher über die restlichen 174 Sitze.
Andersson, deren Partei in Schweden traditionell die stärkste Kraft ist, wurde erst im November 2021 als Nachfolgerin ihres Parteikollegen Stefan Löfven und als erste Frau überhaupt zur Ministerpräsidentin von Schweden gewählt. Unter ihr hat das Land Mitte Mai im Zuge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine Antrag auf eine NATO-Mitgliedschaft gestellt.