Kollektivverträge

Gewerkschaft vida will KV-Gespräche für 500.000 Menschen vorziehen

„Die Löhne müssen jetzt steigen, denn die Beschäftigten müssen mit ihren Einkommen gut auskommen und leben können", fordert vida-Chef Roman Hebenstreit.
© APA/TOBIAS STEINMAURER

Konkret gefordert werden Sonderkollektivvertragsverhandlungen für die Beschäftigten in allen für die vida relevanten Branchen. vida-Chef Hebenstreit macht sich besonders Sorgen um die Tourismusbranche.

Wien – Die vielen Auswirkungen vieler Krisen versprechen einen besonders heißen KV-Herbst. Die Gewerkschaft drängt im Vorfeld der Herbstlohnrunde nicht nur auf einen Mindestlohn von 2000 Euro brutto. Sie will auch KV-Verhandlungen für hunderttausende Arbeitnehmer im Verkehrs- und Dienstleistungsbereich von der Eisenbahnerin bis zum Friseur vorziehen. Eigentlich würden diese erst 2023, also Monate nach den richtungsweisenden Metaller-KV-Verhandlungen beginnen, die am Montag starten.

„Die Löhne müssen jetzt steigen, denn die Beschäftigten müssen mit ihren Einkommen gut auskommen und leben können", erklärte vida-Chef Roman Hebenstreit am Mittwoch bei einer Pressekonferenz in Wien. Konkret gefordert werden Sonderkollektivvertragsverhandlungen für die Beschäftigten in allen für die vida relevanten Branchen. Dort arbeiten laut Gewerkschaftsangaben gut 500.000 Menschen. Mit Abstand größtes Einzel-Unternehmen sind die ÖBB, größte Teilbranche ist der Tourismus mit rund 220.000 Arbeitskräften.

„Es wird an den Sozialpartnern liegen einen Rettungsschirm zu öffnen", sagte Hebenstreit. „So wie die Regierung gegensteuert, verpuffen die Entlastungsmaßnahmen gegen die Teuerung bei ganz vielen Menschen sehr schnell."

📽️​ Video | Statement von Roman Hebenstreit

Die bisherigen von der Regierung geschnürten Hilfen wie etwa die Strompreisbremse sowie das Aus der kalten Progression reichten nicht, so Hebenstreit – auch wenn man die Maßnahmen grundsätzlich begrüße. „Sie wirken aber nur punktuell und kommen zu spät. Es braucht beides, höhere Löhne und mehr treffsicherere staatliche Maßnahmen." Beim Aus der kalten Progression werde man erst nächstes Jahr konkret analysieren, wie sich das auf die unteren Einkommensklassen auswirke.

Es drehe sich auch um Wohn- und Mietkosten sowie Lebensmittelpreise. „Am Ende geht es darum, wer die Kosten für die Krise trägt: Jene, die es sich leisten können oder jene, die sich nicht wehren können."

Außerdem könne die Öffentliche Hand etwa ein viel stärkeres Bestbieterprinzip anwenden. Die Politik müsse nur beschließen, öffentliche Aufträge nur mehr an Firmen zu vergeben, die mindestens 2000 Euro brutto bezahlen. Das derzeitige Bestbieterprinzip sei „nur ein Feigenblatt und in Wahrheit ein Billigstbieterverfahren".

Sorgen um die Tourismusbranche

Hebenstreit macht sich besonders Sorgen um die Tourismusbranche. Er rechnet damit, dass einige Fachverbände in der Wirtschaftskammer bereit sein werden, die KV-Verhandlungen vorzuziehen, andere nicht. Insgesamt verhandelt die vida 150 Kollektivverträge, manche auch gemeinsam mit anderen Teil-Gewerkschaften. Ihr Gegenüber sind in der Sozialpartnerschaft immer die Arbeitgebervertreter der zuständigen Spartenvertreter der Wirtschaftskammer (WKÖ). An diese und an WKÖ-Chef Harald Mahrer hat die vida heute Briefe mit entsprechenden Aufforderungen zu raschen teuerungsbedingten Sonder-KV-Verhandlungen geschickt.

Die WKÖ verblieb vorerst unkonkret und gab keine Gesprächszusagen. Auf APA-Anfrage verwies man auf eine Reihe von Regierungsmaßnahmen „darunter Teuerungsausgleiche, die vorzeitige Auszahlung des Klimabonus oder die Abschaffung der kalten Progression – die insbesondere kleine und mittlere Einkommen entlasten und nachhaltig auf Löhne und Gehälter wirken". Es brauche „in Zeiten wie diesen in besonderem Maße Vernunft, Verantwortungsbewusstsein und Augenmaß der Verhandlungspartner, denn die wirtschaftliche Lage ist ernst".

Johann Spreitzhofer von der WKÖ-Sparte Tourismus und Freizeitwirtschaft sowie Mario Pulker von der WKÖ-Gastronomie kritisierten Hebenstreit für dessen „Pauschalverurteilung. Wir sind laufend in Abstimmung und reagieren auf sich ändernde Gegebenheiten." Anfang 2022 habe man bereits wegen der steigenden Inflation einer außerordentlichen Nachverhandlung des diesjährigen KV-Lohnes von 2,5 Prozent Lohnsteigerung auf 3,7 Prozent zugestimmt. Hebenstreit blieb dabei, er werde weiterhin auf Missstände in der Gastronomie und Hotellerie hinweisen.

Freilich sei es in manchen Branchen schwierig, einen Mindestlohn von 2000 Euro umzusetzen, gestand der vida-Chef ein, die Forderung sei aber Ernst. Je niedriger der gewerkschaftliche Organisationsgrad sei, desto schwieriger sei es. Daher rief Hebenstreit im Besonderen Menschen aus solchen Branchen dazu auf, der Gewerkschaft beizutreten – etwa Friseurinnen und Friseure oder Personen aus dem Bewachungsgewerbe und der Kosmetikbranche. Auch bei den hohen Einkommen bleibe die Grundforderung eines Inflationsausgleichs.

📽️​ Video | Statement von Gernot Knopp

Rückendeckung bekam Hebestreit bei der Pressekonferenz von Vertretern von Branchen, in denen die Probleme laut Gewerkschaft besonders groß sind. „In der Bewachung verdiene 90 Prozent der Beschäftigten bei 40 Stunden Arbeit in der Woche weniger als 2000 Euro brutto, gut die Hälfte sogar nur 1700 Euro brutto", beklagte Gernot Knopp, Vize-Betriebsratschef bei der Scuritas SDL GmbH.

📽️​ Video | Statement von Eva Eberhart

Die Betriebsratschefin des Systemgastronomen Nordsee, Eva Eberhart, erinnerte daran, dass gerade in der Gastronomie zuletzt viel Kurzarbeit herrschte durch die man bei relativ niedrigen Gehältern weitere Einbußen habe hinnehmen müssen.

Es gibt auch Branchen, in denen noch nicht einmal 1500 Euro netto im Monat als Basislohn verdient werden. Bei Friseurinnen und Friseuren sind es 1290 Euro netto, bei Reinigungskräften 1360 Euro, im Hotel- und Gastgewerbe 1325 Euro netto, in der Bewachung 1373 Euro, in der Pflege 1383 Euro. Die Armutsgrenze liegt laut Gewerkschaft unter Berufung auf die Schuldnerberatung – noch nicht an die neuesten hohen Inflationswerten angepassten – bei knapp 1400 Euro netto im Monat für Einpersonenhaushalte. (APA)

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