Isjum: EU-Präsidentschaft fordert Kriegsverbrecher-Tribunal
Nach der Entdeckung von hunderten Gräbern in zurückeroberten Gebieten in der Ukraine hat der tschechische EU-Ratsvorsitz die Einsetzung eines Kriegsverbrecher-Tribunals zur Ukraine gefordert. "Im 21. Jahrhundert sind solche Angriffe auf die Zivilbevölkerung undenkbar und abscheulich", erklärte der tschechische Außenminister Jan Lipavsky am Samstag auf Twitter. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj forderte indes weitere Waffenlieferungen, um den Krieg abkürzen.
"Wir dürfen nicht darüber hinwegsehen. Wir setzen uns für die Bestrafung aller Kriegsverbrecher ein", betonte Lipavsky. "Ich rufe zur raschen Einsetzung eines speziellen internationalen Tribunals auf, das die Verbrechen verfolgt." Nach Angaben von Ermittlern hatten einige der in den rund 450 Gräbern bei der ostukrainischen Stadt Isjum gefundenen Leichen die Hände auf dem Rücken zusammengebunden. Viele sollen auch gefoltert worden sein.
Selenskyj hatte zuvor eine Bestrafung Moskaus wegen Kriegsverbrechen gefordert. Die Welt dürfe nicht zusehen, wie der "Terrorstaat" Russland töte und foltere, sagte er am Freitagabend in einer Videobtoschaft. Russland müsse mit noch härteren Sanktionen bestraft werden. "Es ist zu früh, etwas über die Zahl der dort begrabenen Menschen zu sagen, die Ermittlungen dauern an", so Selenskyj. Doch gebe es "bereits klare Beweise für Folter, erniedrigende Behandlung von Menschen. Außerdem gibt es Beweise, dass russische Soldaten, deren Positionen nicht weit von dieser Stelle waren, auf die Beerdigten einfach aus Spaß geschossen haben." Der ukrainische Präsident begrüßte, dass die UNO Experten zur Erfassung der Taten schicken wolle.
Selenskyj rief unterdessen insbesondere Deutschland zu weiteren Waffenlieferungen auf. "Es ist zu früh, über das Ende des Krieges zu sprechen", sagte er in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters. "Dieser Krieg hängt nur von Waffenlieferungen ab. Wenn man die Hilfe für die Ukraine beschleunigt, beschleunigt man unseren Sieg", sagte er. Deutschland habe offenbar eine "psychologische Barriere", Waffen zu liefern. Die modernen deutschen Waffen würden in der Ukraine aber "für die Wahrheit kämpfen, gegen den russischen Faschismus kämpfen". Selenskyj berichtete in dem Interview auch, dass die Ukraine während der Offensive in der Region Charkiw "hunderte" russische Soldaten gefangen genommen habe. Man habe solcherart das "Arsenal" für einen Gefangenenaustausch mit Russland "gefüllt".
Während der deutsche Kanzler Olaf Scholz am Samstag mit Blick auf die von der Ukraine gewünschten Panzerlieferungen neuerlich "Alleingänge" Berlins ablehnte, genehmigte die deutsche Regierung die Ausfuhr von 18 Haubitzen des Rüstungskonzerns Krauss-Maffei Wegmann (KMW). Ein Bericht der "Welt am Sonntag" über den Deal im Umfang von 216 Millionen Euro wurde von einem Regierungssprecher am Samstag bestätigt. Allerdings können die Haubitzen frühestens in zweieinhalb Jahren ausgeliefert werden. Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, zeigte sich erfreut. "Damit wird ein großer Beitrag geleistet, um die Schlagkraft der ukrainischen Armee massiv zu stärken", sagte er der Zeitung.
Der Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, Rob Bauer, hob indes die Bedeutung der westlichen Militärhilfe für die jüngsten Kriegserfolge der Ukraine hervor. "Die Munition, Ausrüstung und Ausbildung, die die Verbündeten und andere Nationen liefern, machen auf dem Schlachtfeld einen echten Unterschied", sagte der Niederländer am Samstag in Estlands Hauptstadt Tallinn, wo sich der aus den Generalstabschefs der 30 Bündnisstaaten bestehende Ausschuss am Samstag traf.
In der südukrainischen Stadt Saporischja kam indes ein enger Mitarbeiter von Papst Franziskus unter Beschuss. Der Kurienkardinal Konrad Krajewski verteilte Hilfsgüter, als Schüsse fielen, meldete das Nachrichtenportal "Vatican News". Die Gruppe habe in Deckung gehen müssen. "Zum ersten Mal in meinem Leben wusste ich nicht, wohin ich fliehen soll", sagte Krajewski, der als Almosenmeister das Vatikan für Hilfsaktionen zuständig ist. Die Gruppe blieb unverletzt und Krajewski konnte seine Mission fortsetzen. Begleitet wird der Kardinal von einem katholischen und einem protestantischen Bischof.
Gute Nachrichten gab es aus dem nahegelegenen ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja. Wie die internationale Atomenergiebehörde IAEA am Samstag mitteilte, ist eine der Stromversorgungsleitungen des größten europäischen AKW repariert worden und wieder in Betrieb. Die übrigen drei 750-Kilovolt-Leitungen blieben außer Betrieb, hieß es. Die Stromversorgung wird für die sicherheitskritische Kühlung der Anlage benötigt, da alle sechs Reaktoren heruntergefahren wurden und das Kraftwerk deswegen selbst keinen Strom mehr produziert.