Putin mobilisiert 300.000 Reservisten, Westen sieht Akt der Verzweiflung
Russlands Präsident Wladimir will noch am Mittwoch mit einer Teilmobilisierung der Streitkräfte beginnen – und droht erneut dem Westen. Bei Protesten gegen die Mobilisierung sind Hunderte Menschen festgenommen worden. Im Westen interpretiert man die Reaktion als Zeichen der Schwäche.
Kiew, Moskau – Knapp sieben Monate nach Beginn des Ukrainekrieges hat Russland eine Teilmobilmachung der eigenen Streitkräfte angeordnet. Er habe diese Entscheidung nach einem Vorschlag des Verteidigungsministeriums getroffen und das Dekret unterschrieben, sagte Kremlchef Wladimir Putin in einer Fernsehansprache am Mittwoch. Zugleich erklärte er, die angekündigten Abstimmungen in besetzten ukrainischen Gebieten über einen Beitritt zu Russland zu unterstützen. Bei Protesten gegen die Teilmobilmachung sind in Russland mehr als 1000 Menschen festgenommen worden.
Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu, der kurz nach Putin sprach, nannte 300.000 Reservisten, die für Kämpfe mobilisiert werden sollen. Die Teilmobilmachung bedeutet nach Putins Worten, dass Reservisten eingezogen werden. Sie würden den gleichen Status und die gleiche Bezahlung bekommen wie die jetzigen Vertragssoldaten und auch vor dem Fronteinsatz noch einmal militärisch geschult, versicherte er. Eingesetzt werden sollen Reservisten mit Kampferfahrung, sagte Schoigu. Insgesamt gebe es 25 Millionen Reservisten in Russland. Mit der Teilmobilmachung sollen vor allem die Personalprobleme an der Front gelöst werden.
Bei Protesten gegen die Teilmobilmachung wurden bereits am Mittwoch mehr als 1.000 Menschen festgenommen. Das Bürgerrechtsportal OVD-Info zählte am Mittwochabend russlandweit mindestens 1054 Festnahmen. In der Hauptstadt Moskau seien 260 Demonstranten festgesetzt worden, in St. Petersburg 267. In den beiden größten Städten des Landes gab es auch die größten Kundgebungen. In Moskau forderten die Menschen in Sprechchören ein "Russland ohne Putin". Angesichts massiver staatlicher Repressionen in Russland dürften die Proteste aber wohl nicht allzu groß ausfallen. In Moskau etwa warnten die Behörden noch vor Beginn einer geplanten Demonstration nachdrücklich vor einer Teilnahme: Die Staatsanwaltschaft drohte den Menschen mit bis zu 15 Jahren Haft. Seit Beginn des Kriegs gegen die Ukraine vor knapp sieben Monaten geht die russische Staatsmacht unter anderem mit verschärften Gesetzen hart gegen Oppositionelle und Kriegsgegner vor.
📽️ Video | ORF-Bericht zu Teilmobilmachung:
Nach Meinung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zeigt die angekündigte Teilmobilisierung, dass Moskau Probleme mit seinem Militärpersonal hat. "Wir wissen bereits, dass sie Kadetten mobilisiert haben, Jungs, die nicht kämpfen konnten. Diese Kadetten sind gefallen. Sie konnten nicht einmal ihre Ausbildung beenden", sagte Selesnkyj im Interview der "Bild" (Online-Ausgabe, Mittwoch). Sie seien in die Ukraine gekommen, um zu sterben. Der russische Präsident Wladimir Putin brauche "eine millionenschwere Armee", sehe aber, "dass seine Einheiten einfach weglaufen", sagte Selenskyj weiter. Putin wolle "die Ukraine in Blut ertränken, aber auch im Blut seiner eigenen Soldaten."
Russland werde alle Mittel einsetzen, um seine territoriale Unversehrtheit zu schützen, sagte Putin, der zugleich vor einer "Erpressung" seines Landes mit Atomwaffen warnte. "Diejenigen, die versuchen, uns mit Atomwaffen zu erpressen, sollten wissen, dass die Kompassrose sich in ihre Richtung drehen kann." Putin hat das strategische Nukleararsenal bereits in erhöhte Bereitschaft versetzen lassen zur Abschreckung für die NATO, sich in der Ukraine einzumischen.
Er sage dem Westen: "Wir haben viele Waffen, um zu antworten. Das ist kein Bluff", so Putin. "Wir werden alle Ressourcen nutzen, um unsere Leute zu verteidigen." Und weiter: "Der Westen will unser Land zerstören. Der Westen wollte keinen Frieden zwischen der Ukraine und Russland." Es sei "unsere historische Tradition, diejenigen zu stoppen, die nach der Weltherrschaft streben, die unserem Mutterland, unserer Heimat mit Zerstückelung und Unterdrückung drohen."
Stoltenberg: NATO will keine Konfrontation mit Russland
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat Putin angesichts neuer Drohungen Leichtsinn vorgeworfen. Putin wisse selbst, dass ein Atomkrieg niemals gekämpft werden sollte und nicht gewonnen werden könne, sagte Stoltenberg am Mittwoch dem „heute journal" des deutschen Senders ZDF von New York aus. Ein Nuklearkonflikt sei gefährlich für Russland und für den Rest der Welt. Es sei nicht das erste Mal, dass Putin „nukleare Rhetorik" verwende.
Das ändere aber nichts an der Pflicht des Westens, ruhig zu bleiben. Der Chef des Verteidigungsbündnisses betonte: „Die NATO will keine Konfrontation mit Russland." Die Allianz sei nicht Teil des Konfliktes. Die NATO-Verbündeten unterstützten die „brutal" angegriffene Ukraine lediglich, damit sie ihr Recht auf Selbstverteidigung ausüben könne – wie es auch das Regelwerk der Vereinten Nationen, die UNO-Charta, vorsehe. „Es gibt keine Zweifel, dass das ein Aggressionskrieg ist", sagte Stoltenberg.
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Scheinreferenden und Teilmobilisierung: Das ist Putins Rede im Wortlaut
Mit Spott regierte Kiew auf die angeordnete Teilmobilmachung. Der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak fragte auf Twitter: "Läuft immer noch alles nach Plan oder doch nicht?" Der für "drei Tage" geplante Krieg dauere bereits 210 Tage. Die Russen, die eine Vernichtung der Ukraine forderten, hätten nun unter anderem die Mobilmachung, geschlossene Grenzen, blockierte Konten und Gefängnisstrafen für Deserteure erhalten. "Das Leben hat einen wunderbaren Sinn für Humor", schloss Podoljak. Der Schritt sei jedenfalls zu erwarten gewesen.
Zu Putins indirekter Androhung eines Einsatzes von Atomwaffen sagte Selenskyj: "Ich glaube nicht daran, dass er diese Waffen einsetzen wird. Ich glaube nicht, dass die Welt es zulassen wird, dass er diese Waffen einsetzt." Er räumte aber ein: "Wir können diesem Menschen nicht in den Kopf schauen, es gibt Risiken." Selenskyj betonte, dass man Putins Drohungen in keinem Fall nachgeben dürfe: "Morgen kann Putin sagen: Wir wollen außer der Ukraine auch einen Teil von Polen haben, sonst werden wir Atomwaffen einsetzen. Wir können diese Kompromisse nicht eingehen."
Schallenberg sieht "Zeichen der Schwäche"
Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) sieht in der von Russlands Präsident Wladimir Putin angekündigten Teilmobilmachung "ein Zeichen der Schwäche und ein Eingeständnis, dass die russische Strategie auf dem Schlachtfeld ganz offensichtlich nicht aufgeht". Gleichzeitig sei es "eine weitere Eskalation, die eine diplomatische Lösung noch weiter in die Ferne rücken lässt", ließ Schallenberg am Mittwoch am Rande der UNO-Generalversammlung in New York mitteilen.
"Die Rede des russischen Präsidenten heute Morgen strotzt vor absurden Unwahrheiten und inakzeptablen Drohungen", heißt es in einer Stellungnahme des Außenministers weiter. "Der Kreml will damit einen Befreiungsschlag durchführen und versucht verzweifelt, Handlungsfähigkeit an den Tag zu legen." Die Teilmobilmachung sei "ein Eingeständnis, dass Putins bisherige Strategie kläglich gescheitert ist und er ohne weitere Kräfte die Front nicht halten kann".
Mit der Unterstützung der angekündigten "Referenden" in den besetzten Territorien drehe Putin weiter an der Eskalationsspirale. Die nuklearen Drohungen, die Putin am Mittwoch "in einer nie da gewesenen Deutlichkeit ausgesprochen hat, sind ein inakzeptables Spiel mit dem Feuer", so Schallenberg weiter. "Putins Nerven liegen blank. Das zeigen auch seine dreisten Versuche, die Tatsachen völlig umzukehren."
Spontanes Sondertreffen der EU-Außenminister in New York
Nach der erneuten Eskalation von Kremlchef Wladimir Putin im Ukraine-Krieg wollen die EU-Außenminister noch am Mittwoch (Ortszeit) in New York zu einer Sondersitzung zusammenkommen. Das bestätigten diplomatische Quellen am Rande der Generaldebatte der UNO-Vollversammlung am Mittwoch. Die Runde sei vom EU-Außenbeauftragten Josep Borrell für 2.15 Uhr MESZ einberufen worden.
Bei der Sitzung könnten auch weitere Sanktionen gegen Russland ein Thema sein. Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) verwies, darauf angesprochen, in der „ZiB2" auf die bisherigen sechs EU-Sanktionspakete: „Woran man jetzt denken könnte, sind Lückenschließungen und Präzisierungen." Zu weiteren Schritten, „etwa im Energiebereich, vor allem im Gas, da wird es ein klares 'Nein' von Österreich geben", bekräftigte Schallenberg die bisherige Linie Österreichs.
📽️ Video | Schallenberg in der „ZiB2":
Nehammer verurteilt Teilmobilmachung
Auch Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat am Rand der UNO-Vollversammlung am Mittwoch die Teilmobilmachung der Russischen Föderation "auf das Heftigste" verurteilt. Diese Maßnahme sei "ein weiterer Schritt in die Eskalation", kritisierte Nehammer gegenüber österreichischen Medien. Die Lage werde sich nun weiter verschärfen. "Das ist eine ernste Situation, in der es jetzt umso wichtiger ist, besonnen zu agieren."
📽️ Video | Nehammer verurteilt russische Teilmobilmachung:
Nehammer warnte davor, "in die Kriegslogik Putins einzusteigen". Denn die russische Strategie beruhe auch darauf, kontinuierlich Angst und Schrecken zu verbreiten, andere Länder zu destabilisieren und die Europäische Union zu spalten. "Um Frieden und Sicherheit zu erreichen, muss die internationale Staatengemeinschaft alles tun, damit Gespräche wieder stattfinden. Unser aller Ziel muss sein, dass der Krieg so bald wie möglich am Verhandlungstisch beendet wird." "Aufgrund dieser Maßnahmen" bedürfe es einer "klaren Linie als Europäische Union", forderte der Regierungschef. Er unterstrich auch "unser klares Bekenntnis dazu, dass dieser Krieg enden muss."
Van der Bellen beschwört europäische Geschlossenheit
"Ich habe den Angriff Putins auf die Ukraine von Anfang an auf das Schärfste verurteilt und verurteile auch die neuerliche Eskalation auf das Schärfste." Bundespräsident Alexander Van der Bellen reagierte auf die Ankündigung der russischen Teilmobilmachung am Mittwoch mit einem Aufruf zur "europäischen Geschlossenheit und Entschlossenheit".
"Wir stehen zusammen gegen diesen illegalen und brutalen russischen Angriffskrieg und gegen die Grausamkeiten, die begangen wurden und begangen werden", erklärte Van der Bellen. Moskau setze mit der neuerlichen Drohung mit Nuklearwaffen und den geplanten Schein-Referenden weitere bewusste Eskalationsschritte. "Ein Ende des Krieges rückt damit in weitere Ferne."
"Die Voraussetzung für einen dauerhaften Frieden ist das Respektieren und Einhalten der internationalen Regeln, die wir uns als Weltgemeinschaft gemeinsam gegeben haben", erklärte der Bundespräsident. "Eine gute weltweite Entwicklung unseres Wohlstands wird es nur geben, wenn wir diese gemeinsamen Regeln als unsere gemeinsame Basis sehen und sie gemeinsam verteidigen."
Österreich und die EU würden ihre Unterstützung insbesondere im humanitären Bereich für die Ukraine weiter fortsetzen, bekräftigte Van der Bellen. "Wir sind ein sicherer Ort für Menschen aus der Ukraine, und wir sollten es auch sein für Russinnen und Russen, die gezwungen sind, jetzt ihre Heimat zu verlassen."
London sieht Invasion gescheitert
Der Westen sieht in der vom russischen Präsidenten Wladimir Putin angekündigten Teilmobilmachung vor allem ein Zeichen der Schwäche. Der deutsche Kanzler Olaf Scholz ortet als Grund für die Teilmobilmachung Misserfolge im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die Invasion sei gescheitert, sagte auch der britische Verteidigungsminister Ben Wallace am Mittwoch in London. Die US-Botschafterin in Kiew, Bridget Brink, sprach von russischem Versagen.
Scholz habe Putins Äußerungen zur Kenntnis genommen, sagte ein Regierungssprecher in Berlin und zitierte den Kanzler mit den Worten: "Das alles kann man sich nur erklären vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der russische Angriff auf die Ukraine nicht erfolgreich verlaufen ist." Putin habe seine Truppen umgruppieren müssen, sich von Kiew zurückziehen müssen und auch im Osten der Ukraine nicht den gewünschten Erfolg erzielt, sagte der Sprecher. "Das ist ein sichtbares Zeichen dafür, dass die Ukraine sehr wirksam ist bei der Verteidigung der eigenen Integrität und Souveränität, nicht zuletzt auch wegen der massiven und großen Unterstützung aus vielen Ländern der Welt, ganz besonders auch aus Deutschland."
Krieg in Ukraine
Berlin will der Ukraine keine Angriffswaffen liefern
Zusammen mit seinem Verteidigungsminister Sergej Schoigu habe Putin Zehntausende Bürger in den Tod geschickt, sagte der britische Verteidigungsminister Wallace. "Noch so viele Drohungen und noch so viel Propaganda können die Tatsache nicht verhehlen, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt." Die internationale Gemeinschaft sei geeint, Russland werde weltweit zu einem Geächteten.
Brink schrieb auf Twitter: "Scheinreferenden und Mobilmachungen sind Zeichen der Schwäche, des russischen Versagens." Und weiter: "Die Vereinigten Staaten werden den Anspruch Russlands auf angeblich annektiertes ukrainisches Gebiet niemals anerkennen, und wir werden der Ukraine so lange wie nötig zur Seite stehen."
Auch die Europäische Union kritisierte die russische Teilmobilmachung scharf. Die Ankündigung sei "ein weiterer Beweis, dass Putin nicht an Frieden interessiert ist, sondern an einer Eskalation seines Angriffskriegs", sagte der Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell, Peter Stano, am Mittwoch in Brüssel. "Das ist auch ein weiteres Zeichen seiner Verzweiflung", betonte Stano.
📽️ Video | Oberst Bernhard Gruber zur Teilmobilisierung
Borrells Sprecher verurteilte zudem Putins Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen. Der russische Präsident nutze Nuklearwaffen "als Teil seines Terror-Arsenals", sagte Stano. Die internationale Gemeinschaft müsse Druck auf Putin machen. Ansonsten drohten weitreichende Auswirkungen für den europäischen wie asiatischen Kontinent.
Diskussionen über Verschärfung der EU-Sanktionen
Angesichts der massiv verschärften Lage berät die EU dem Sprecher zufolge über eine weitere Verschärfung ihrer Sanktionen gegen Russland sowie eine Aufstockung der Militärhilfe an die Ukraine. Der Außenbeauftragte Borrell hat eine weitere Tranche von 500 Millionen Euro für gemeinsame Waffenkäufe für die Ukraine ins Gespräch gebracht. Damit würde die gemeinsame Militärhilfe auf drei Milliarden Euro steigen.
Putin hatte zuvor in einer Fernsehansprache die Teilmobilmachung der Russen im wehrfähigen Alter angekündigt. Rund 300.000 Reservisten sollen eingezogen werden. Zudem sollen in mehreren ukrainischen Gebieten "Referenden" über einen Anschluss an Russland stattfinden. Der Westen sieht darin eine völkerrechtswidrige Annexion.
Der Ministerpräsident der Niederlande, Mark Rutte, sieht in der "Mobilisierung und dem Aufruf zu Referenden in Donezk" ein Zeichen von Panik. Putins Rhetorik über Atomwaffen haben" wir schon oft gehört, und sie lässt uns kalt", sagte Rutte dem niederländischen Sender NOS. "Ich würde dazu raten, ruhig zu bleiben."
Auch Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki forderte die westlichen Staaten dazu auf, die Ukraine stärker zu unterstützen. Tschechiens Regierungschef Petr Fiala sprach von einem "Beweis dafür, dass Russland der alleinige Aggressor" sei. "Die von Wladimir Putin verkündete Teilmobilmachung ist ein Versuch, den Krieg, den Russland gegen die Ukraine begonnen hat, weiter zu eskalieren." Der lettische Außenminister Edgars Rinkevics kündigte laut Reuters an, "keine Russen" aufzunehmen, "die vor der Mobilisierung der Moskauer Truppen fliehen".
Biden: Russland für Kriegsverbrechen zur Rechenschaft ziehen
Nach Ansicht von US-Präsident Joe Biden muss Russland für Kriegsverbrechen in der Ukraine zur Rechenschaft gezogen werden. Es habe "noch mehr entsetzliche Beweise" für russische Grausamkeiten und Kriegsverbrechen gegeben, sagte Biden in seiner Rede bei der Generaldebatte der UN-Vollversammlung am Mittwoch in New York.
Biden warf Russland angesichts des Krieges gegen die Ukraine einen "schamlosen" Verstoß gegen die UNO-Charta vor. "Ein ständiges Mitglied des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen ist in sein Nachbarland eingedrungen und hat versucht, den souveränen Staat von der Landkarte zu tilgen", sagte der US-Präsident. Damit habe er gegen die Grundpfeiler der UNO-Charta verstoßen. Die UN-Charta ist das Regelwerk der Vereinten Nationen.
Russlands Präsident Wladimir Putin habe gerade erst wieder "unverhohlene nukleare Drohungen gegen Europa ausgesprochen" und der Kreml organisiere Scheinreferenden, so Biden. Es handle sich um "ungeheuerliche Handlungen". Putin rechtfertige seinen Krieg mit der Behauptung, sein Land sei bedroht gewesen, sagte Biden. "Aber niemand hat Russland bedroht, und niemand außer Russland hat den Konflikt gesucht."
Der US-Präsident warf Russland vor, das Existenzrecht der Ukraine vernichten zu wollen. "In diesem Krieg geht es schlicht und einfach darum, das Existenzrecht der Ukraine als Staat auszulöschen. Und das Recht der Ukraine, als Volk zu existieren", sagte Biden. "Wer auch immer Sie sind, wo auch immer Sie leben, was auch immer Sie glauben, das sollte Ihnen das Blut in den Adern gefrieren lassen."
Nawalny warnt vor "riesiger Tragödie"
Die von Russlands Präsident Wladimir Putin angekündigte Teilmobilmachung wird nach den Worten des inhaftierten Kreml-Kritikers Alexej Nawalny zu einer "riesigen Tragödie" führen. Während einer seiner zahlreichen Gerichtsverfahren am Mittwoch sagte er gemäß einem von russischen Medien verbreiteten Video: "Dies wird zu einer riesigen Tragödie führen, zu einer riesigen Anzahl von Toten."
"Es ist klar, dass sich der kriminelle Krieg, der derzeit stattfindet, verschlimmert und verstärkt, und Putin versucht, so viele Menschen wie möglich darin zu verwickeln", führte Nawalny fort. Damit benutzte er ein vom Kreml verbotenes Wort - Moskau nennt seine Aktionen in der Ukraine "militärische Spezialoperation".
Zitate aus Putin-Rede zur Teilmobilmachung
💬 KAMPF GEGEN DEN WESTEN
"Heute operieren unsere Streitkräfte an einer mehr als 1.000 Kilometer langen Frontlinie und stellen sich nicht nur Neo-Nazi-Formationen entgegen, sondern der gesamten Militärmaschinerie des kollektiven Westens."
💬 TEILMOBILMACHUNG
"In einer solchen Situation halte ich es für notwendig, die folgende Entscheidung zu treffen, die den Bedrohungen, denen wir ausgesetzt sind, voll und ganz gerecht wird. Um nämlich unser Mutterland, seine Souveränität und territoriale Integrität zu schützen und die Sicherheit unseres Volkes und der Menschen in den befreiten Gebieten zu gewährleisten, halte ich es für notwendig, den Vorschlag des Verteidigungsministeriums und des Generalstabs zu unterstützen, eine Teilmobilmachung in der Russischen Föderation durchzuführen."
"Wir sprechen von einer Teilmobilmachung. Das heißt, nur die Bürger, die derzeit in der Reserve sind und vor allem diejenigen, die in den Streitkräften gedient haben, über militärische Fähigkeiten und einschlägige Erfahrungen verfügen. Nur sie werden der Wehrpflicht unterliegen."
💬 ATOMWAFFEN
"Auch nukleare Erpressung wurde eingesetzt. Wir sprechen nicht nur über den vom Westen unterstützten Beschuss des Atomkraftwerks Saporischschja, der eine nukleare Katastrophe auszulösen droht, sondern auch über Äußerungen hochrangiger Vertreter der NATO-Länder über die Möglichkeit und Zulässigkeit des Einsatzes von Massenvernichtungswaffen gegen Russland: Atomwaffen."
"Ich möchte diejenigen, die solche Äußerungen über Russland machen, daran erinnern, dass auch unser Land über verschiedene Zerstörungsmittel verfügt, und in einigen Fällen sind sie moderner als die der NATO-Länder. Wenn die territoriale Integrität unseres Landes bedroht ist, werden wir natürlich alle uns zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, um Russland und unser Volk zu schützen."
"Das ist kein Bluff. Und diejenigen, die versuchen, uns mit Atomwaffen zu erpressen, sollten wissen, dass die Kompassrose sich in ihre Richtung drehen kann."
💬 REFERENDEN
"Die Parlamente in den Volksrepubliken des Donbass sowie die zivil-militärischen Verwaltungen in den Regionen Cherson und Saporischschja haben beschlossen, Volksabstimmungen über die Zukunft der Gebiete abzuhalten. Und haben an Russland appelliert, einen solchen Schritt zu unterstützen. Wir werden alles tun, um sichere Bedingungen für die Durchführung der Referenden zu gewährleisten, damit die Menschen ihren Willen zum Ausdruck bringen können.
"Wir werden die Entscheidung über ihre Zukunft unterstützen, die von der Mehrheit der Bewohner der Volksrepubliken Donezk und Luhansk, Saporischschja und Cherson getroffen wird."
💬 DER WESTEN VERSUCHT, RUSSLAND ZU "ZERSTÖREN"
"Das Ziel des Westens ist es, unser Land zu schwächen, zu spalten und schließlich zu zerstören. Sie sagen bereits, dass sie 1991 in der Lage waren, die Sowjetunion aufzulösen, und dass nun die Zeit für Russland selbst gekommen ist, dass es sich auflösen soll. Und das planen sie schon seit langem."
In seiner Rede kündigte Putin zudem die mögliche Annexion ukrainischer Gebiete mithilfe der Referenden in den besetzten Gebieten an. "Die Entscheidung, die die Mehrheit der Bürger in den Volksrepubliken Luhansk und Donezk, in den Gebieten Cherson und Saporischschja treffen, unterstützen wir", sagte Putin.
Neben den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk in der Ostukraine wollen auch die von Russland besetzten Gebiete Cherson und Saporischschja im Süden über einen Beitritt zu Russland abstimmen lassen. Zudem kündigte Russland an, das Referendum in Cherson auf Teile des Gebiets um Mykolajiw auszu dehnen. Die Scheinreferenden sollen vom 23. bis 27. September abgehalten werden. Sie gelten als Reaktion auf die aktuelle ukrainische Gegenoffensive im Osten des Landes.
Vor dem Hintergrund der bevorstehenden Scheinreferenden hat die Führung in Kiew ihre Landsleute vor einer Abstimmung gewarnt. "Jedwede Beteiligung an den "Referenden" wird als Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine gewertet", schrieb der Podoljak noch am Dienstagabend auf Twitter. Zuvor hatte das ukrainische Außenministerium in einer Erklärung die Organisation der Scheinreferenden schon für strafbar erklärt.
Auch Vizepremier Iryna Wereschtschuk rief dazu auf, die Abstimmung zu ignorieren - "und damit der Armee und sich selbst zu helfen". Wer einen russischen Pass beantrage, müsse mit bis zu 15 Jahren Haft rechnen, sagte sie im ukrainischen Fernsehen.
Große Auswirkungen auf russische Wirtschaft
Die ausgerufene Teilmobilmachung dürfte auch Auswirkungen auf die Wirtschaft Russlands haben. "Die teilweise Mobilisierung Russlands birgt das Risiko einer weiteren Verschärfung und/oder Verlängerung des Krieges in der Ukraine, was mit gewissen Kosten für die heimische Wirtschaft verbunden ist", teilte die Ratingagentur Scope mit. Mit der Eskalation riskiere Russland eine weitere Verschärfung der internationalen Sanktionen, die die Handelsmöglichkeiten russischer staatlicher und privater Unternehmen weiter einschränken dürften - ebenso die Fähigkeit des Bankensektors, diesen Handel zu bedienen.
"Eine zweite wahrscheinliche Auswirkung ist die anhaltende Abwanderung von qualifizierten Arbeitskräften aus Russland aufgrund des Krieges", sagte der Analyst. "Diese Abwanderung hat den demografischen Niedergang des Landes bereits verschlimmert, was das Wachstum der russischen Wirtschaftsleistung und Produktivität längerfristig einschränkt."
Run auf Flugtickets nach Teilmobilmachung
Nach der Ankündigung einer Teilmobilmachung in Russland wächst dort Internet-Daten zufolge rasant die Nachfrage nach One-Way-Flügen. Statistiken von Google Trends zeigen einen sprunghaften Anstieg der Suchanfragen nach Aviasales, der beliebtesten russischen Website für den Kauf von Flügen. Direktflüge von Moskau nach Istanbul und Eriwan in Armenien - beides Ziele, die Russen eine visumfreie Einreise ermöglichen - sind laut Aviasales am Mittwoch ausverkauft.
Einige Strecken mit Zwischenstopps, darunter die von Moskau nach Tiflis, waren ebenfalls nicht verfügbar. Die billigsten Flüge von der Hauptstadt nach Dubai kosteten mehr als 300.000 Rubel (umgerechnet knapp 5000 Euro) - etwa das Fünffache des durchschnittlichen russischen Monatslohns.
📽️ Video | Langpaul (ORF) zu Russlands Referenden
Nach dem Befehl zur Teilmobilmachung müssen sich Russen im wehrpflichtigen Alter laut Gesetz an ihrem Wohnort aufhalten. "Bürgern, die (als Reservisten) im Militärregister erfasst sind, ist ab dem Moment der Mobilisierung das Verlassen des Wohnorts ohne Genehmigung der Militärkommissariate und der für Reserven zuständigen Exekutivorgane verboten", heißt es in dem seit Mittwoch wieder aktuellen Gesetz "Über die Mobilmachung in Russland".
Laut dem Leiter des Verteidigungsausschusses in der Duma, Andrej Kartapolow, betrifft die Einschränkung der Reisefreiheit vor allem Auslandsurlaube. "Sie können weiter ruhig auf Dienstreise nach Krasnodar oder Omsk fahren, aber ich würde Ihnen nicht raten, in türkische Kurorte zu fahren - erholen Sie sich lieber in den Badeorten der Krim und des Gebiets Krasnodar", sagte der Abgeordnete am Mittwoch. Flugbuchungen etwa in die Türkei waren am Mittwoch auf einschlägigen Portalen im Internet nicht mehr möglich.
Russen im wehrpflichtigen Alter drohen jedenfalls bis zu zehn Jahre Haft, wenn sie die Teilnahme an Kampfhandlungen verweigern. Eine entsprechende Gesetzesänderung verabschiedete am Mittwoch der Föderationsrat in Moskau. Zudem wurden die Haftstrafen für das freiwillige Eintreten in Kriegsgefangenschaft und für Plünderungen erhöht. Am Dienstag hatte bereits die erste Kammer des Parlaments, die Duma, im Eilverfahren der Novelle zugestimmt. Nun muss sie noch von Putin unterschrieben werden.
Schoigu beziffert Russlands Verluste auf knapp 6000
Zuletzt musste der Kreml eine empfindliche Niederlage hinnehmen, die russischen Truppen zogen sich nach ukrainischen Angriffen fast völlig aus dem Gebiet Charkiw zurück. Die Staatspropaganda warnte danach vor einer möglichen verheerenden Niederlage in dem Krieg. Dagegen betont die russische Militärführung immer wieder, dass alles nach Plan laufe und alle Ziele erreicht würden.
Verteidigungsminister Schoigu hat die Verluste der eigenen Armee während des Kriegs in der Ukraine auf knapp 6000 Militärangehörige beziffert. "Die Verluste Russlands belaufen sich auf 5937", sagte Schoigu am Mittwoch im russischen Fernsehen. Es ist das erste Mal seit Monaten, dass Russland offiziell Zahlen veröffentlicht. Unabhängige Beobachter gehen allerdings von deutlichen höheren Verlusten Russlands aus.
Die angekündigte Teilmobilmachung zeigt nach Worten des ukrainischen Präsidentenberaters Mychailo Podoljak, dass der Krieg für Russland nicht nach Plan laufe. Der Schritt sei zu erwarten gewesen. Die anderen Äußerungen des russischen Präsidenten seien rhetorisch, sagte Podoljak. Ziel sei es, den Westen für den Krieg und die sich verschlechternde Wirtschaftslage in Russland verantwortlich zu machen.
AKW Saporischschja erneut beschossen
Der ukrainische Betreiber des Atomkraftwerks Saporischschja hat Russland beschuldigt, erneut das Gelände des Kernkraftwerks in der Südukraine angegriffen zu haben. "Russische Terroristen haben in der Nacht erneut das Atomkraftwerk Saporischschja bombardiert", teilte Enerhoatom am Mittwoch auf Telegram mit. Das AKW Saporischschja im Süden der Ukraine ist das größte in Europa und seit März von russischen Truppen besetzt.
Das Kraftwerksgelände wurde in den vergangenen Wochen immer wieder beschossen, was die Angst vor einer Atomkatastrophe schürte. Russland und die Ukraine hatten sich gegenseitig für die Angriffe verantwortlich gemacht. Kämpfe in der Umgebung sorgten immer wieder für Stromausfälle.
Anfang September war ein Expertenteam der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) unter Leitung ihres Generaldirektors Rafael Grossi zu dem AKW gereist und hatte dort Untersuchungen vorgenommen. Mitglieder des Teams blieben seitdem dauerhaft auf dem Kraftwerksgelände, um die Situation zu überwachen.
Vor dem Hintergrund der bevorstehenden Scheinreferenden hat die Führung in Kiew ihre Landsleute vor einer Abstimmung gewarnt. "Jedwede Beteiligung an den 'Referenden' wird als Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine gewertet", schrieb der Berater des Präsidentenbüros, Mychajlo Podoljak noch am Dienstagabend auf Twitter. Zuvor hatte das ukrainische Außenministerium in einer Erklärung die Organisation der Scheinreferenden schon für strafbar erklärt.
Auch Vizepremier Iryna Wereschtschuk rief dazu auf, die Abstimmung zu ignorieren – "und damit der Armee und sich selbst zu helfen". Wer einen russischen Pass beantrage, müsse mit bis zu 15 Jahren Haft rechnen, sagte sie im ukrainischen Fernsehen. (APA/dpa/Reuters/TT.com)
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