EU-Minister einigen sich auf Verschärfung der Russland-Sanktionen
Die neuen Sanktionen zielten auf bedeutende Sektoren der russischen Wirtschaft und Personen, die für den Angriffskrieg gegen die Ukraine verantwortlich seien. Zudem wird die EU die Ukraine weiterhin mit Waffen unterstützen.
New York – Die EU will als Reaktion auf die Teilmobilmachung ihre Sanktionen gegen Russland verschärfen. Darauf haben sich die Außenminister der 27 EU-Mitgliedsstaaten am Rande der UN-Vollversammlung in New York geeinigt. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sagte, die Staaten hätten die politische Entscheidung getroffen, neue sektorspezifische und individuelle Maßnahmen zu ergreifen. Außerdem werde die EU die Ukraine weiterhin mit mehr Waffen unterstützen.
Allerdings gab es sofort Widerspruch aus dem EU-Land Ungarn. Ministerpräsident Viktor Orban forderte die Aufhebung der EU-Sanktionen spätestens bis Ende des Jahres, wie ein Regierungssprecher bestätigte. Die ungarische Zeitung Magyar Nemzet zitierte Orban mit den Worten, die EU-Sanktionen hätten die Gaspreise und die Inflation in die Höhe getrieben. Würden diese Maßnahmen aufgehoben, würden die Gaspreise sofort um 50 Prozent sinken und die Inflation würde ebenfalls zurückgehen. Zunächst muss nun die EU-Kommission Vorschläge für ein achtes Sanktionspaket vorlegen, bevor die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft darüber einstimmig entscheiden müssen.
Exportkontrollen für zivile Technologie denkbar
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen teilte CNN im Anschluss an ein Interview mit dem US-Sender schriftlich mit: „Wir sind bereit, Russland sowie Einzelpersonen und Einrichtungen innerhalb und außerhalb Russlands, die es politisch oder wirtschaftlich unterstützen, weitere wirtschaftliche Kosten aufzuerlegen. Außerdem werden wir zusätzliche Exportkontrollen für zivile Technologie vorschlagen, da Russland zu einer vollständigen Kriegswirtschaft übergeht."
Die neuen EU-Sanktionen gegen Russland könnten auch einen Preisdeckel für russisches Öl umfassen. Daneben ist auch ein Diamanten-Embargo im Gespräch, wie Brüsseler Diplomaten der Nachrichtenagentur AFP übereinstimmend bestätigten.
Von einer Preisobergrenze für russisches Öl müssten in der EU vor allem Griechenland und Zypern überzeugt werden, deren Reedereien russisches Öl auch in Drittländer liefern. Alle Sanktionen erfordern einen einstimmigen Beschluss der Mitgliedsländer. Die G7-Staaten hatten sich unter deutschem Vorsitz bereits Anfang September für einen weltweiten Ölpreisdeckel ausgesprochen.
Außerdem könnte es einen Einfuhrstopp für russische Diamanten in die EU geben. Hier wäre vor allem Belgien mit seinem Handelsplatz Antwerpen betroffen. Im Juli hatten die EU-Staaten bereits ein Gold-Embargo gegen Russland verhängt.
Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) verwies in der „ZiB2" auf die bisherigen EU-Sanktionspakete: „Woran man jetzt denken könnte, sind Lückenschließungen und Präzisierungen." Zu weiteren Schritten, „etwa im Energiebereich, vor allem im Gas, da wird es ein klares 'Nein' von Österreich geben", bekräftigte Schallenberg die bisherige Linie Österreichs.
📽️ Video | Außenminister Schallenberg in der „ZiB2":
Das Treffen der EU-Außenminister fand wenige Stunden nach Wladimir Putins Ankündigung der ersten russischen Kriegsmobilisierung seit dem Zweiten Weltkrieg statt. Borrell sagte dazu, die Ankündigung des russischen Präsidenten zeige Panik und Verweiflung. „Es ist klar, dass Putin versucht, die Ukraine zu zerstören", erklärte Borrell gegenüber Reportern.
Achtes Sanktionspaket der EU
Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba hatte die EU-Außenminister auf ihrem Treffen über die Situation in der Ukraine informiert. Die Minister einigten sich darauf, ein achtes Sanktionspaket vorzubereiten. Die neuen Sanktionen zielten auf bedeutende Sektoren der russischen Wirtschaft und Personen, die für den Angriffskrieg gegen die Ukraine verantwortlich seien, erklärte Borrell. Das nächste formelle Treffen der EU-Außenminister soll Mitte Oktober stattfinden. Dann könnte das achte Sanktionspaket formalisiert werden.
Die Außenminister der sieben führenden Industrienationen kündigten an, ihre Unterstützung für die Ukraine verstärken zu wollen. „Wir bekräftigen die Zusammenarbeit der G7-Länder bei der Unterstützung der Ukraine und bei der Gewährleistung der Lebensmittel- und Energiesicherheit", sagte der japanische Außenminister Yoshimasa Hayashi auf einer Pressekonferenz in New York. Als Teil zusätzlicher Sanktionen gegen Russland werde Japan unter anderem die Ausfuhr von Produkten, die für chemische Waffen genutzt werden könnten, nach Russland verbieten.
Kuleba forderte indes weitere Waffen für den Kampf gegen Russland und verlangte eine Bestrafung Moskaus für die Verbrechen im Krieg. „Keine Worte der Verurteilung können die russische Armee aufhalten", sagte Kuleba am Donnerstag vor einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates in New York. „Der beste Weg, Putin zu stoppen, ist die Lieferung von Waffen an die Ukraine", mahnte er mit Blick auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Diese Forderung sei Thema jedes Gespräches, das er bei den UN-Beratungen in New York führe.
„Gerechtigkeit ist auch eine Waffe", sagte Kuleba weiter, „und es ist wichtig, dass wir sie in vollem Umfang nutzen." Russland müsse für seine Taten zur Rechenschaft gezogen werden. Wenn dies aus rechtlichen Gründen nicht vor dem Internationalen Strafgerichtshof möglich sei, müsse ein Sondertribunal eingerichtet werden, forderte er.
📽️ Video | Russland-Experte Gerhard Mangott zur Teilmobilmachung
Selenskyj verlangt Bestrafung Russlands
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat vor den Vereinten Nationen eine Bestrafung Russlands für den Angriffskrieg gegen sein Land verlangt. „Es wurde ein Verbrechen gegen die Ukraine begangen, und wir fordern eine Bestrafung", sagte Selenskyj am Mittwoch in einer Videobotschaft vor der UNO-Vollversammlung in New York. Russland müsse bestraft werden für das Morden, die Folter, die Erniedrigungen und die desaströsen Turbulenzen, in die es die Ukraine gestürzt habe.
An Friedensgesprächen ist Russland nach Einschätzung des ukrainischen Präsidenten nicht ernsthaft interessiert. „Sie reden über die Gespräche, aber sie kündigen eine militärische Mobilisierung an. Sie reden über die Gespräche, aber sie kündigen Scheinreferenden an", sagte Selenskyj mit Blick auf die jüngsten Ankündigungen der russischen Führung um Präsident Wladimir Putin. Sein Fazit: „Russland will Krieg."
Selenskyj war der einzige von insgesamt mehr als 140 Staats- und Regierungschefs, der sich dort per Videobotschaft äußerte. Er hatte wegen des russischen Angriffskriegs eine Ausnahmegenehmigung von dem Gremium dafür erhalten. Für seine Rede bekam er enthusiastischen Applaus – dies kommt in der Vollversammlung selten vor. Die Vertreter Russlands blieben anders als die meisten Vertreter der 193 Mitgliedstaaten sitzen.
„Echte Verhandlungen" über Schutzzone für AKW Saporischschja
Die IAEA hat nach Angaben von Direktor Rafael Grossi „echte Verhandlungen" mit Russland und der Ukraine über die Einrichtung einer Schutzzone für das umkämpfte Atomkraftwerk Saporischschja aufgenommen. Er habe sich am Rande der Generaldebatte der UNO-Vollversammlung neben anderen Treffen sowohl mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow, als auch mit dem ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba getroffen, sagte Grossi. „Die Räder sind in Bewegung."
Ein konkretes Ergebnis gebe es noch nicht, so Grossi weiter, aber er habe den Eindruck, dass es auf allen Seiten die Überzeugung gebe, dass die Einrichtung einer solchen Schutzzone unverzichtbar sei. Weil die Situation rund um das ukrainische AKW sich noch weiter verschlechtert habe und ihm „riesige Sorge" bereite, sei Eile geboten, sagte der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde. "Wir müssen das so schnell wie möglich entscheiden." Er hoffe, dass er bald in die Ukraine und dann auch nach Russland reisen könne, um die Verhandlungen fortzusetzen.
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Kiew und Moskau tauschen Gefangene aus
Nach fast sieben Monaten Krieg haben die Ukraine und Russland einen großen Gefangenentausch verkündet. 205 Ukrainer kehrten aus russischer Gefangenschaft zurück, wie der Leiter des ukrainischen Präsidialamtes, Andrij Jermak, in der Nacht auf Donnerstag mitteilte. Die von Moskau gesteuerten Separatisten in der Ostukraine gaben zehn Ausländer frei, die nach Vermittlung Saudi-Arabiens nach Riad ausgeflogen wurden.
Die Ukraine ließ Jermak zufolge ihrerseits 55 russische Soldaten frei, die in der Offensive im Gebiet Charkiw Anfang September gefangen genommen worden waren. Demnach durfte auch der festgenommene prorussische Politiker Viktor Medwedtschuk, ein Vertrauter von Präsident Wladimir Putin, ausreisen.
Zu den ukrainischen Heimkehrern zählten laut Jermak die Kommandeure der Verteidigung von Mariupol, die verschanzt im Stahlwerk Asowstal bis Mitte Mai Widerstand gegen die russischen Eroberer geleistet hatten. „Unsere Helden sind frei", schrieb er auf Telegram.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan erklärte, der Austausch sei unter Vermittlung der Türkei zustande gekommen, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu am Mittwochabend meldete. Erdogan nannte die Einigung demnach einen „wichtigen Schritt" hin zu einer Beendigung des Kriegs in der Ukraine. (APA/Reuters/dpa/TT.com)