Ibsens "Volksfeind": Eine "Fjord Therme" in der Josefstadt
Die "Fjord Therme" befindet sich "under construction". Die Neueröffnung des Provinzbades als Wellness-Tempel soll in 25 Tagen stattfinden. Alles ist auf Schiene. Im Theater in der Josefstadt, wo man Ibsens "Ein Volksfeind" über den Umweg einer Arthur-Miller-Bearbeitung erzählt, wird mit pfiffigen Werbe-Einblendungen von Beginn an klar gemacht: Das Stück hat in den 140 Jahren seit seiner Entstehung nichts an Aktualität verloren. Wahrheit und Politik vertragen sich nicht.
Anhand der beiden Brüder Thomas und Peter Stockmann hat Ibsen das Dilemma vom Anspruch nach Ehrlichkeit und Transparenz auf der einen Seite und politischem Kalkül auf der anderen exemplarisch durchexerziert. Badearzt Thomas (den Roman Schmelzer als aufrechten, etwas naiven Wissenschafter zeichnet) hält ein Gutachten in Händen, das dem Badewasser Gesundheitsschädlichkeit attestiert. Man müsste, wie er immer gefordert hat, die Quellen weiter oben fassen, um der Verseuchung durch Industrieabwässer zu entgehen. Sein Bruder Peter (Günter Franzmeier als machtbewusster Taktiker), populistischer Bürgermeister und kurz vor einem Meilenstein seiner Karriere, verlangt strenge Geheimhaltung und verspricht langfristige Verbesserungsmaßnahmen.
Während Jette Steckels Burgtheater-Inszenierung des Stückes vor fünf Jahren mit der Bühne als Eislaufplatz und einer ganzen Armada von riesigen, bedrohlichen Gartenzwergen vor allem auf Äußerlichkeiten setzte, verzichtet Regisseur David Bösch beim Auftakt seiner politischen Ibsen-Trilogie in der Josefstadt weitgehend auf Effekte. Die Ausnahme sind gelungene Werbe-Einschaltungen, die zeigen, dass die Politik mit allen Wassern gewaschen ist, während die freie Presse ihr Watergate wittert und sich als doch gar nicht so frei herausstellt. Die wirtschaftlichen Abhängigkeiten des "Volksboten", anhand der Auseinandersetzungen des kämpferischen Chefredakteurs Hovstad (Oliver Rosskopf), des karrierebewussten Redakteurs Billing (Jakob Elsenwenger) und des stets zur Mäßigung aufrufenden Eigentümers Aslaksen (André Pohl), bringen auch den Badearzt in die Bredouille. Die am Schirm mitlaufenden Ticker-Nachrichten geben Auskunft, woher der Wind gerade weht...
Schlau hat Patrick Bannwart sein Bühnenbild zunächst als Baustelle konzipiert. Gebaut wird nämlich nicht nur die Fjord Therme, sondern auch das Eigenheim von Dr. Stockmann, dessen Gattin Kathrin (Martina Ebm) eingangs selbst die Mischmaschine anwirft und überlegt, was hier eigentlich gespielt wird: Nora? Hedda? Nein, gespielt wird die Auseinandersetzung zwischen dem, was die Menschen hören wollen, und dem, was sie hören müssten. Bösch vermeidet die Versuchung aller "Volksfeind"-Regisseure, das Publikum mit einzubeziehen, und konzentriert sich darauf, die Fouls im Spielverlauf deutlich zu machen. Weswegen die Höhepunkte der mit kaum zwei Stunden Spieldauer sehr straffen Aufführung die Momente der Stille sind, die sich Franzmeier bei der Lektüre jener Schriftstücke nimmt, die den Lauf der Dinge verändern könnten. Beim Gutachten seines Bruders und dem geplanten umstürzlerischen Leitartikel gilt: studieren geht über reagieren.
Sanft wird an Wissenschaftsskepsis und Corona-Leugnertum von heute erinnert, doch im Mittelpunkt steht der Arzt, der sich immer mehr vom Aufklärer zum Fanatiker wandelt und damit selbst seine eigene Familie in die Flucht schlägt. Denn als sein Schwiegervater (Johannes Seilern als von Rachedurst Getriebener) die Anteilscheine der Badeanstalt billig aufkauft, scheint die Lösung zum Greifen nahe: Der mittlerweile von der Stadtverwaltung gefeuerte Arzt könnte Führungsqualität beweisen und die notwendigen Verbesserungen selbst umsetzen. Doch Dr. Stockmann hat sich in ein Eck manövriert, aus dem er von alleine nicht mehr herausfinden wird. Es ist das bittere, treffende Ende eines mit viel Applaus bedachten Abends, der zwar keine Regie-Sternstunde ist, aber die Josefstadt erneut als Ort für Gegenwartsthemen positioniert.