Großer Schritt oder Protest? Kubaner stimmen über Ehe für alle ab
Von Carlos Batista/AFP
Havanna – Die Kubaner sind am Sonntag aufgerufen, über ein neues Familiengesetz abzustimmen, das die Homo-Ehe und Leihmutterschaft erlaubt. Es ist das erste Referendum über eine Gesetzesänderung in dem kommunistische Inselstaat. Angesichts der großen Unzufriedenheit im Land wegen der Wirtschaftsprobleme könnte der Urnengang ein Protestvotum gegen die Regierung werden.
Die Neuregelung soll das seit 1975 geltende Familiengesetz ablösen. Die Ehe soll künftig als Verbindung "zwischen zwei Personen" unabhängig von ihrem Geschlecht definiert werden, homosexuellen Paaren wird die Adoption erlaubt, und Leihmutterschaft - ohne finanzielle Gegenleistung - legalisiert.
Für die immer noch von Machismo geprägte kubanische Gesellschaft wäre das neue Familiengesetzbuch ein großer Schritt, Kuba wäre auch erst das neunte Land im überwiegend katholischen Lateinamerika, das gleichgeschlechtliche Ehen zulässt. "Das Familiengesetz steht für die Hoffnung Tausender Menschen, die die schmerzhafte Erfahrung der Ausgrenzung und des Schweigens machen mussten", schrieb Präsident Miguel Díaz-Canel auf Twitter.
Homosexualität war auf der Karibikinsel nach der Revolution von 1959 lange Zeit tabu. Sexuelle Minderheiten wurden stigmatisiert, Homosexuelle angefeindet, in "Umerziehungslager" gesteckt und vom öffentlichen Dienst ausgeschlossen. Der 2016 verstorbene Revolutionsführer Fidel Castro entschuldigte sich später dafür.
Eigentlich hatte die kubanische Führung die Homo-Ehe schon mit der 2019 verabschiedeten neuen Verfassung einführen wollen, das Vorhaben wegen des Widerstands von Kirchen und konservativen Gruppen aber wieder aufgegeben. Die einflussreiche römisch-katholische Kirche ist weiterhin einer der schärfsten Kritiker des neuen Familiengesetzes. Es sei das Recht eines jeden Kindes, einen Vater und eine Mutter zu haben, argumentiert sie.
Die Regierung warb für ihr neues Familiengesetz mit einer groß angelegten Kampagne. An den landesweiten öffentlichen Konsultationen dazu nahmen nach offiziellen Angaben mehr als die Hälfte der 11,2 Millionen Einwohner teil.
Kuba erlebt gerade die schlimmste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten, der Einbruch des Tourismus infolge der Corona-Pandemie und schärfere US-Sanktionen haben die Lage weiter verschlechtert. Vielen Kubanern fehlt es selbst an Essen und Medikamenten.
Die Menschen könnten nun die seltene Gelegenheit einer Abstimmung nutzen, um der Führung in Havanna einen Denkzettel zu verpassen. Viele könnten mit "Nein" stimmen oder sich enthalten, um "die Regierung für die Krise bezahlen zu lassen", sagt Arturo López-Levy, kubanischer Politologe an der Holy Names Universität in Kalifornien. Aktivisten und Oppositionelle riefen im Internet dazu auf. Eine mehrheitliche Ablehnung der Gesetzesnovelle hält López-Levy dennoch für unwahrscheinlich. Aber schon 25 bis 30 Prozent Nein-Stimmen wären eine deutliche Kritik an der Führung, sagt er.
Bereits im Juli vergangenen Jahres hatte es massenhafte Proteste gegen die Regierung gegeben, bei denen die Menschen Lebensmittel und mehr Freiheiten forderten. Hunderte wurden festgenommen und eingesperrt, doch die Demonstrationen gingen weiter.
Im Mai billigte das Parlament einstimmig eine Strafrechtsreform, die die Nutzung sozialer Medien beschränkt. Oppositionelle werten dies als Versuch, Protest zu unterdrücken.
Für das neue Familiengesetz ist eine Zustimmung von mehr als 50 Prozent notwendig. Die Oppositionelle Martha Beatriz Roque glaubt nicht an eine faire Abstimmung. "Es ist bereits entschieden", sagt sie. Was die Menschen wirklich wollten, zähle nicht.