Innsbruck

Zuhause ist ein offenes (Wald)Hüttl: Herberge feiert ersten Runden

Die Waldhüttl-Herberge ist ein Projekt der Vinzenzgemeinschaft.
© Thomas Boehm / TT

Weinen und Lachen liegen nah beieinander. Im Innsbrucker Waldhüttl gehören auch Tanzen und Feiern dazu. Grund dazu gibt es wieder: Die Herberge feiert 10. Geburtstag.

Von Michael S. Paulmichl

Innsbruck – „Wo viel geweint wird, muss umso mehr getanzt werden!“ Der Hinweis auf der Einladung zur Jubiläumsfeier ist Feststellung, Rat und Aufforderung zugleich. Auf jeden Fall aber eine Beschreibung, was die bunte Gemeinschaft, die hier unter einem Dach wohnt, ausmacht. Denn wer im Waldhüttl lebt, der hat es nicht leicht gehabt in seinem bisherigen Leben. Dort findet er Essenzielles, das es etwas leichter macht: einen warmen Platz zum Wohnen und auch menschliche Wärme.

Joseph hütet die Schafe.
© Thomas Boehm / TT

„Wenn man traurig ist, bringt einen immer jemand zum Lachen, das ist sehr schön“, meint Amira aus Rumänien, die mit Mann und Baby im obersten Stock wohnt. Weil es dort am wärmsten ist, hat sich am Abend eine kleine Gruppe eingefunden: Unter ihnen ist auch Stanislav, vielen als Pantomime in der Altstadt bekannt. Die dicke weiße Schminke ist jetzt weg, das für die Passanten aufgesetzte Lachen auch. „Mein Mund lacht, mein Herz nicht“, sagt er. Den ganzen Tag wirft Gojo den vielen Vorbeieilenden Kusshände zu, streckt seine Hand aus, nur wenige reichen ihm die ihre. Rund 30 Euro hat er heute verdient. „Es war kein guter Tag“, sagt er und denkt dabei an seine Familie zu Hause, an seine Kinder, die anrufen und sagen: „Papa, wie geht’s, schick uns bitte Geld für Holz und Kohle.“

Amira holt Brennholz.
© Thomas Boehm / TT

Im Waldhüttl geht es ihm gut: „Gott sei Dank bin ich hier.“ Als er ausgerechnet bei einer Weihnachtsfeier, bei der alle Bewohner 100 Euro für Geschenke für ihre Familien bekommen, vom Unfalltod seines Sohnes erfuhr, zögerten die anderen nicht. „Sie haben ihm all ihr Geld in die Hand gedrückt, damit er heimfahren und das Begräbnis bezahlen konnte“, sagt Jussuf Windischer, Gründer und Obmann des Waldhüttl.

Dort gibt es für Bewohner und Besucher nur zwei Regeln: Respekt und Interesse – die Formel für einen guten Umgang miteinander. In früheren Zeiten war das Haus Treffpunkt für den antifaschistischen Widerstand – wie passend, wie Besucher meinen. Seit zehn Jahren ist es ein zweites Zuhause für Roma und andere Menschen ohne Heimat, die eines immer gemein haben: Sie sind Vorurteilen ausgesetzt.

Ladislav Kárász (Pantomime, Künstler).
© Thomas Boehm / TT

Kostenlos zur Verfügung gestellt hat die Anlage der Eigentümer, das Stift Wilten. „Am Anfang gab’s viel zu tun, das Dach war kaputt und es hat neue Fenster gebraucht“, erzählt Windischer. Eine Gruppe Roma, Verkäufer der Straßenzeitung 20er, packte mit an und machte das Haus bewohnbar. Sie leben von Anfang an dort, 15 Männer teilen sich einen Raum im Erdgeschoß. Das meistens hart verdiente Geld schicken sie nach Hause, die Sorge um ihre Familien ist groß – mindestens so groß wie ihr Heimweh.

Jussuf und Vroni Windischer.
© Thomas Boehm / TT

Die Nachbarn waren am Anfang nicht erfreut, erzählt Windischer. „Da war viel Skepsis.“ Doch dann waren sie die Ersten, die halfen, als ein Bett gebraucht wurde oder einmal der Strom ausfiel. Wird etwas benötigt, helfen auch mehr als 900 Freundinnen und Freunde des Waldhüttl unbürokratisch und schnell: In der Regel dauert es keinen halben Tag, bis die Hilfe steht, „manchmal auch nur eine Stunde“, erzählt Windischers Frau Vroni.

„Wir wollten nie ein Ghetto sein“, meint sie. Die Herberge wird als offenes „Hüttl“ geführt. Zu den regelmäßigen Besuchern gehören 40 Helfer, die im großen Garten mit anpacken. Aber auch eine fünfköpfige einheimische Familie – Maria ist Malerin, Wolfgang Literat – hat sich mit ihren drei Kindern ihren Traum vom Leben am Bauernhof mitten unter Schafen, Eseln, Hühnern, Enten und Hasen verwirklicht. Die Zehnjahresfeier ist für alle ein Grund zur Freude, und nicht zum Weinen, getanzt wird aber natürlich trotzdem – unter anderem mit dem Meschugge Quintett und der Waldhüttl Roma Band.

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