Ukraine-Krieg

Explosion auf Krim-Brücke: Russische Taucher untersuchen Schäden

Nach Explosionen auf der Halbinsel Krim brach ein großer Brand auf der Bahnbrücke aus.
© AFP

Die 19 Kilometer lange Brücke vom russischen Festland auf die von Moskau annektierte ukrainische Halbinsel Krim ist für Russland ein wichtiges Nadelöhr. Nach der schweren Explosion sollen Taucher die Hintergründe für die Explosion erforschen.

Kertsch – Einen Tag nach der schweren Explosion auf der für Russland strategisch äußerst wichtigen Verbindungsbrücke vom Festland zur annektierten Halbinsel Krim sollen Taucher am Sonntag die Schäden an dem Bauwerk untersuchen. "Die Situation kann bewältigt werden. Sie ist unerfreulich, aber nicht fatal", sagte der russische Gouverneur der Krim, Sergej Axjonow, zu Journalisten. "Natürlich wurden Emotionen ausgelöst und es besteht ein gesunder Wunsch, Rache zu nehmen."

Ein LKW war Samstagmorgen auf der Straßen- und Eisenbahnbrücke explodiert, sieben Treibstoff-Transportanhänger eines Güterzugs fingen Feuer, Teile der Fahrbahn stürzten ein. Drei Menschen starben nach russischen Angaben. Die Ursache und ob es sich um einen Unfall oder einen Angriff handelte, stand weiterhin nicht fest. In der Ukraine wurde der Vorfall gefeiert, Verantwortung wurde aber nicht übernommen.

Die 19 Kilometer lange Brücke führt über die Straße von Kertsch, eine Meerenge zwischen dem Schwarzen und dem Asowschen Meer. Das Prestigeprojekt des russischen Präsidenten Wladimir Putin war 2018 vier Jahre nach Russlands völkerrechtswidriger Annexion der Krim eröffnet worden. Für Moskaus Kriegseinsatz in der Ukraine spielt die Brücke eine entscheidende Rolle, denn über sie wird vom russischen Festland ein erheblicher Teil des Nachschubs für die Soldaten auf der Krim und in der größtenteils besetzten südukrainischen Region Cherson geliefert. Die Krim war in den vergangenen Monaten wiederholt Ziel ukrainischer Gegenangriffe. Unter anderem war dabei ein wichtiger Flugplatz getroffen worden.

Der Autoverkehr auf der Kertsch-Brücke war etwa zehn Stunden nach der Explosion eingeschränkt wieder angelaufen und auch dem Bahnverkehr wurde eine Freigabe erteilt. Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums reichen die Treibstoffvorräte auf der Krim für einen Monat. Lebensmittel seien für mehr als zwei Monate ausreichend vorhanden. Die russischen Truppen in der Südukraine könnten zudem vollständig über bestehende Land- und Seewegsrouten versorgt werden. Putin ordnete verstärkte Sicherheitsvorkehrungen an. Politik-Experten wie James Nixey von der britischen Denkfabrik Chatham House zeigten sich jedoch skeptisch. Die Russen könnten die Brücke zwar reparieren. "Aber sie können sie nicht verteidigen, während sie einen Krieg verlieren", sagte er.

Selenskyj: Zukunft ohne Besatzer, auch auf der Krim

Am Samstagabend ließ der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj eine Beteiligung Kiews an der Explosion offen. In der Ukraine sei es großteils sonnig und warm gewesen, "auf der Krim leider bewölkt, obwohl auch dort warm", meinte er in seiner täglichen Videoansprache in Anspielung auf die morgendliche Detonation. Näher ging er auf den Vorfall nicht ein. Allerdings forderte er anschließend einmal mehr die Russen zur Aufgabe und Flucht auf. Das sei ihre beste Option, um am Leben zu bleiben, so Selenskyj. Es werde eine Zukunft ohne Besatzer geben in der Ukraine. "Auf unserem ganzen Territorium, insbesondere auf der Krim", sagte er.

Passanten sehen sich auf einer Leinwand das Ausmaß der Schäden an.
© SERGEI SUPINSKY

Selenskyjs Angaben zufolge geht der Vormarsch seiner Truppen im Osten und Süden weiter. Allerdings machte er keine Angaben zu neuen Eroberungen. Stattdessen hob der Staatschef mit dem Gebiet Donezk einen Frontabschnitt gesondert hervor, an dem die Russen zuletzt Erfolge vermeldet hatten. Im Raum Bachmut werde sehr hart gekämpft, räumte der 44-Jährige ein. Er lobte die "Widerstandsfähigkeit" der Brigade, die dort ihre Stellungen halte. Die Kleinstadt gilt als wichtiger Pfeiler im Verteidigungsbollwerk um den von Kiew kontrollierten Großraum Slowjansk-Kramatorsk im Gebiet Donezk.

📽️​ Video | Explosion auf Krim-Brücke

Putin will Brücke schärfer überwachen lassen

Der russische Präsident Wladimir Putin wies indes per Dekret den Geheimdienst FSB an, die Kontrolle über die durch eine Explosion beschädigte Krim-Brücke zu verschärfen. "Dem FSB werden die Vollmachten übertragen zur Organisation und Koordination von Schutzmaßnahmen für den Transportweg über die Meerenge von Kertsch, für die Strombrücke der Russischen Föderation auf die Halbinsel Krim und die Gaspipeline vom Gebiet Krasnodar zur Krim", steht in dem Dekret von Samstagabend.

Es ist die erste Maßnahme des Kremls infolge der Explosion Samstagfrüh. Bisher war die Verantwortung für die Sicherheit der Brücke laut dem Duma-Abgeordneten Alexander Chinstein dreigeteilt. Für die Überwachung des Luftraums war das Verteidigungsministerium verantwortlich, für die Seeüberwachung die Nationalgarde "Rosgwardija". Die Auto- und Eisenbahnstrecke selbst wurde jedoch vom Verkehrsministerium kontrolliert.

Vor dem Erscheinen des Kreml-Dekrets hatte der mit harter Hand regierende und wegen schwerster Verbrechen gegen die Menschlichkeit kritisierte Chef der russischen Teilrepublik Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, angeboten, mit seinen Einheiten künftig die Krim-Brücke zu bewachen. Offiziell sind diese Einheiten der Nationalgarde "Rosgwardija" unterstellt.

Jubel in Ukraine

In der Ukraine wurden die Bilder mit Jubel aufgenommen. "Krim. Die Brücke. Der Anfang", schrieb der Berater des ukrainischen Präsidentenbüros, Mychajlo Podoljak, am Samstag auf Twitter. Die Spur führt nach Ansicht der ukrainischen Präsidentschaft nach Russland. "Es ist erwähnenswert, dass der explodierte Lastwagen allen Anzeichen nach von der russischen Seite auf die Brücke fuhr", erklärte Podoljak am Samstag. "Die Antworten sollten also in Russland gesucht werden", fügte Podoljak hinzu. "Das alles weist eindeutig auf eine Spur nach Russland hin."

Nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine Ende Februar kam es mehrfach zu Explosionen auf der Krim mit schweren Schäden, darunter auf Militärstützpunkten. Die Ukraine hat immer wieder angekündigt, sich die Krim zurückzuholen. Die Militärführung in Kiew hatte auch einen Beschuss der Brückenanlagen angekündigt, sobald es die vom Westen gelieferten Waffen dafür gebe. Zuletzt kam es in der Region Kertsch, die auf der Krim direkt an die Brücke grenzt, immer wieder zu Zwischenfällen mit Drohnen, die explodierten.

📽️​ Video | Wehrschütz (ORF): Bedeutung der Krim-Brücke

Russland hat immer wieder betont, dass ein Angriff auf die Brücke ein klares Überschreiten der roten Linie sei. Der Machtapparat in Moskau drohte für den Fall mit Angriffen auf die Kommandozentralen in Kiew. Kremlchef Wladimir Putin wird allerdings nach offiziellen Angaben in den nächsten Tagen nicht zu den Russen sprechen. Ein solcher Auftritt sei nicht geplant, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Samstag der staatlichen Nachrichtenagentur Ria Nowosti zufolge.

Ukraine feiert massive Zerstörung der Krimbrücke

Die Internetzeitung Ukrajinska Prawda berichtete unter Berufung auf Sicherheitskreise in Kiew, dass der Geheimdienst SBU hinter der Spezialoperation stecke. Der SBU bestätigte das nicht, veröffentlichte aber wie viele offizielle Stellen in der Ukraine in den sozialen Netzwerken Aufnahmen von der brennenden Brücke – und stellte ein Gedicht dazu.

Die Behörden auf der Krim kündigten an, den Verkehr über Fähren und über den zuletzt in der Ukraine besetzten Landkorridor sicherzustellen. Es drohten keine Versorgungsengpässe, hieß es in der Krim-Hauptstadt Simferopol. Der Chef des Krim-Parlaments, Wladimir Konstantinow, meinte, „ukrainische Vandalen" hätten die Brücke beschädigt. Das russische Energieministerium teilte mit, dass auch die Treibstoffversorgung ungeachtet des verbrannten Diesels gesichert sei.

Mit 19 Kilometern Länge gilt die Krim-Brückenanlage, die eine Autobahn und daneben eine Bahnstrecke hat, als längstes Bauwerk Europas. Kremlchef Putin hatte sie selbst 2018 eröffnet und war auch in einem Zug gefahren. Passagierzüge rollen seit Ende 2019, Güterzüge seit Sommer 2020.

Der ukrainische Postchef Ihor Smyljanskyj kündigte im Nachrichtenkanal Telegram den Druck einer Sondermarke von der Brücke an. „Der Morgen war noch nie so ein schöner. Zu diesem Feiertag bringen wir eine neue Marke heraus mit der Krimbrücke – oder vielmehr mit dem, was von ihr übrig ist." Zuvor hatte die ukrainische Post schon eine Briefmarke des zerstörten Kreuzers „Moskwa" der russischen Schwarzmeerflotte herausgebracht.

Die Sprecherin des inhaftierten Kremlgegners Alexej Nawalny teilte ein Video in den sozialen Netzwerken von dem Feuer und den Schäden – und kommentierte, dass es sich wohl um ein Geschenk zum 70. Geburtstag Putins handele. Der Kremlchef hatte das Jubiläum am Freitag in seiner Heimatstadt St. Petersburg begangen.

50.000 Touristen auf der Krim

Russischen Angaben zufolge könnten mehr als 50.000 Touristen auf der Krim festsitzen. Genauere Zahlen zu den Menschen, die nun nicht mehr ohne weiteres aus ihren Urlaubsorten abreisen könnten, würden noch ermittelt, teilte die Vereinigung russischer Reiseanbieter am Samstag mit. Der Bahn- und Autoverkehr zum russischen Festland wurde zunächst komplett gestoppt.

Von einem russischen Bahnbetreiber hieß es später, ab dem Abend sollten wieder erste Züge über die teils zerstörte 19 Kilometer lange Brücke fahren, die die Krim und Russland verbindet. Am Samstagnachmittag lief der Autoverkehr wieder an. Die Brücke sei ab sofort "offen für Autos und Busse", teilte der Verwaltungschef der von Russland annektierten Halbinsel Krim, Sergej Aksjonow, im Online-Dienst Telegram mit. Zudem sollen Evakuierungen über Fähren organisiert werden. Es sei eine Notfall-Hotline eingerichtet worden, hieß es. (APA/Reuters/dpa)

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