Wirtschaftsnobelpreis für US-Ökonomen Bernanke, Diamond und Dybvig
Zum Abschluss der Nobelpreis-Bekanntgaben werden drei Bankenforscher aus den USA mit dem Preis für Wirtschaftswissenschaften geehrt. Einer davon ist auch über die Fachwelt hinaus bekannt.
Stockholm – Der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften geht in diesem Jahr an den früheren US-Notenbankchef Ben Bernanke und die beiden ebenfalls amerikanischen Ökonomen Douglas Diamond und Philip Dybvig. Sie werden für ihre Erforschung von Banken und Finanzkrisen ausgezeichnet, wie die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften am Montag in Stockholm bekanntgab.
Mit ihren Erkenntnissen hätten Bernanke, Diamond und Dybvig das Verständnis der Rolle von Banken in der Wirtschaft – vor allem in Finanzkrisen – bedeutend verbessert, würdigte die Akademie. Sie hätten in den frühen 1980er Jahren die Grundlagen zur modernen Bankenforschung gelegt mit Beiträgen zu den Fragen, warum es Banken überhaupt gebe, wie man sie in Krisen weniger anfällig mache und wie wichtig es sei, ihren Zusammenbruch zu verhindern. "Ihre Analysen sind von großer praktischer Bedeutung bei der Regulierung der Finanzmärkte und dem Umgang mit Finanzkrisen gewesen", betonte die Akademie.
Als Präsident der US-Notenbank Fed war der heute 68 Jahre alte Bernanke von 2006 bis Anfang 2014 einer der mächtigsten Männer der Finanzwelt gewesen. In dieser Zeit steuerte er die USA durch die globale Finanzkrise, die ihren Anfang 2007 auf dem amerikanischen Immobilienmarkt genommen hatte und 2008 in der Pleite der US-Bank Lehman Brothers gipfelte.
Es handelte sich um die schwerwiegendste Wirtschaftskrise seit der Großen Depression der 1930er Jahre – ebenjener Krise, mit deren Untersuchung sich Bernanke zuvor einen Namen in der Forschungswelt gemacht hatte. Er habe gezeigt, wie der Ansturm von Kunden auf Banken zum Abheben ihrer Ersparnisse aus einer relativ gewöhnlichen Rezession in den 30ern eine schwerwiegende Krise mit dramatischen Folgen weltweit gemacht habe, erklärte der schwedische Ökonom John Hassler vom zuständigen Nobelkomitee bei der Bekanntgabe. "Er hat gezeigt, dass Banken da sein müssen", sagte Hassler. Ohne sie funktioniere die Wirtschaft weitaus schlechter.
Heute arbeitet Bernanke bei der Denkfabrik Brookings Institution in der US-Hauptstadt Washington. Seine Mitpreisträger Diamond und Dybvig haben Professuren an der Universität von Chicago beziehungsweise der Washington-Universität in St. Louis im US-Staat Missouri inne. Er habe tief geschlafen, als plötzlich sein Handy geklingelt habe, sagte Diamond telefonisch zugeschaltet bei der Bekanntgabe mit Blick auf die mehrstündige Zeitverschiebung zwischen Europa und den USA. Der Anruf aus Stockholm sei eine Überraschung gewesen.
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Preisträger in Fachkreisen hoch geschätzt
"Es ist vielen gar nicht bewusst, wie groß die Gefahr für das gesamte Finanzsystem eigentlich war", sagte der Vorstand des Departments Volkswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien, Rupert Sausgruber, am Montag. "2008/09, als die Finanzkrise passiert ist, haben die Beiträge der drei Ökonomen wesentliche Einsichten zur Bewältigung dieser Krise gegeben", betonte der WU-Professor. "Das Geldsystem ist nicht gecrasht." Es sei stabil geblieben. "Also wirklich ein wahnsinnig großer Erfolg, wenn man mit den Dreißigerjahren vergleicht."
Die Fehler aus der Zeit der "Great Depression" in den 1930er-Jahren seien nicht wiederholt worden. "Man hat richtig reagiert und das ist ganz fundamental auf die Beiträge dieser drei Herrn zurückzuführen", so Sausgruber. "In den Dreißigerjahren hat man den Banken nicht geholfen, ihre Liquiditätsprobleme zu lösen, man hat ihnen keine kurzfristige Liquidität zur Verfügung gestellt - sie kamen kurzfristig in Zahlungsschwierigkeiten."
"In der Fachgemeinschaft sind die drei Preisträger sehr hoch angesehen und sehr geschätzt – sie haben die Finanzwirtschaft und die Interaktion mit der Realwirtschaft, also eine richtige Umsetzung der Geldpolitik, geprägt", strich auch Volkswirt Christian Glocker vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) hervor. Das sei der große Erfolg der US-Wirtschaft in der Finanzkrise gewesen. "Die wussten genau, was in der Krise gemacht werden musste, um zu verhindern, in eine ähnlich lange Rezession zu rutschen wie in den Dreißigerjahren", sagte er.
Alle Nobelpreise 2022 verkündet
Damit sind alle Nobelpreisträgerinnen und -träger für dieses Jahr verkündet worden. Bereits in der vergangenen Woche waren nach und nach die Namen der Ausgezeichneten in den Kategorien Medizin, Physik, Chemie, Literatur und Frieden verkündet worden. Feierlich überreicht werden die Nobelpreise traditionell am 10. Dezember, dem Todestag von Preisstifter und Dynamit-Erfinder Alfred Nobel (1833-1896). Dotiert sind alle Nobelpreise erneut mit zehn Millionen schwedischen Kronen pro Kategorie. Umgerechnet sind das derzeit knapp 915 000 Euro, die sich Bernanke, Diamond und Dybvig somit teilen werden.
Der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ist der einzige der Nobelpreise, der nicht auf das Testament von Dynamit-Erfinder und Preisstifter Alfred Nobel (1833-1896) zurückgeht. Er wird seit Ende der 1960er-Jahre von der schwedischen Reichsbank gestiftet und zählt somit streng genommen nicht zu den klassischen Nobelpreisen. Vergangenes Jahr waren die in den USA forschenden Ökonomen David Card, Joshua Angrist und Guido Imbens mit der prestigeträchtigen Auszeichnung geehrt worden.
Erst ein Österreicher unter Preisträgern
Mit ihm ausgezeichnet wurden bisher besonders häufig Wissenschafter aus den USA – nach Einschätzung deutscher Ökonomen dürfte es dabei auch in diesem Jahr bleiben. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, betrachtet zum Beispiel die beiden US-Ökonomen Maurice Obstfeld und Kenneth Rogoff als zwei mögliche Kandidaten. Achim Wambach, Präsident des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), nennt die US-Professoren Timothy Bresnahan und Michael Porter sowie den israelisch-amerikanischen Ökonomen Ariel Pakes. Clemens Fuest, Präsident des Münchner Ifo-Instituts, favorisiert dagegen den österreichisch-schweizerischen Ökonomen Ernst Fehr.
Seit der ersten Vergabe des Wirtschaftsnobelpreises war bisher erst ein Österreicher unter den Preisträgern: Der österreichische liberale Ökonom Friedrich August von Hayek erhielt 1974 den Preis gemeinsam mit dem Schweden Gunnar Myrdal für Arbeiten auf dem Gebiet der Geld- und Konjunkturtheorie. Auch in Deutschland gab es bisher nur einen Preisträger: Der Bonner Wissenschaftler Reinhard Selten erhielt ihn 1994 gemeinsam mit John Nash und John Harsanyi für ihre wegweisenden Beiträge zur nicht-kooperativen Spieltheorie. (dpa, APA, TT.com)
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