Gregor Sailer im Wiener Kunst Haus: Schlaglichter aufs Darunterliegende
Gregor-Sailer-Personale in Wien: Die Fotos des Tiroler Fotografen überraschen jedes Mal aufs Neue.
Von Barbara Unterthurner
Schwaz, Wien – Es wird vermutet, dass 300 bis 400 ZwangsarbeiterInnen in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs für die Nazis hier geschuftet haben. Noch sind nicht alle Umstände der NS-Zwangsarbeit in Tirol vollständig aufgearbeitet – das gilt auch für den Alltag in der so genannten Messerschmitt-Halle. Bis heute liegt sie unzugänglich verborgen in absoluter Dunkelheit. Für seine Serie „The Box“ hat Gregor Sailer 2014 ein minimalistisches Beleuchtungskonzept installiert, das die Produktionshalle temporär erhellte. Auf den Aufnahmen treten bestimmte Details nun in all ihrer Brutalität und in harten Schwarz-Weiß-Kontrasten hervor. Neugierig suchen die Augen die Umgebung nach Spuren der Vergangenheit ab.
Im Toni-Knapp-Haus in Schwaz ist „The Box“ aktuell – und noch bis 4. November – zu sehen. Noch einige Monate länger sind sechs der Messerschmitt-Aufnahmen in Wien zu betrachten, widmet das Kunst Haus Wien dem Tiroler Fotografen doch mit „Unseen Places“ jetzt eine große Personale. Oder wenn es nach Kuratorin Verena Kaspar-Eisert geht, eine „Mid-Career-Show“. Auch um damit zu sagen, dass das Werk des 42-Jährigen aus Vomp in all seiner Breite gezeigt wird. Rund 200 Motive aus 20 Schaffensjahren hat sie auf zwei Ebenen aufgeteilt.
Zentral stehen dabei die jüngsten Serien „The Potemkin Village“ (2015–2017) und „The Polar Silk Road“, Sailers Fotografien aus der Arktis, zuletzt vor rund einem Jahr im LUMEN Museum auf dem Brunecker Kronplatz zu sehen. Stets aufs Neue überrascht aber „Closed Cities“ (2009–2012), eine Serie komplett unterschiedlicher Orte. Was sie eint: Sie liegen abseits öffentlicher Aufmerksamkeit – oder sind für die Öffentlichkeit sogar unzugänglich.
Darunter etwa Chuquicamata in der chilenischen Atacama-Wüste: Bis 2019 wurde dort Kupfer abgebaut, die 35.000 EinwohnerInnen der Stadt mussten wegen untragbarer Lebensbedingungen umgesiedelt werden. Hochgiftige Abwässer haben die Umwelt verseucht.
Wie auch bei Flüchtlingslagern oder riesigen Diamantenminen, den moralischen Zeigerfinger findet man bei Sailer nicht. Er betrachtet nüchtern. Und zeigt in eindrucksvollen Perspektiven (spektakulär etwa im Frühwerk „Subraum“) auf, was sonst ungesehen bliebe. Transparent macht Sailer in seiner Schau in Wien die Vorbereitungen auf seine Projekte. In Vitrinen sind das Warten auf Genehmigungen oder die widrigen Umstände beim Fotografieren festgehalten.
Ihn selbst davon erzählen zu hören, ist ein Erlebnis: Am 22. November berichtet Sailer im Kunst Haus Wien von seinen fotografischen Expeditionen. Schon am 26. Oktober spricht er im Schwazer Knapp-Haus über die Messerschmitt-Serie.
Kunst Haus Wien. Museum Hundertwasser
Untere Weißgerberstraße 13, Wien; bis 19. Februar 2023, tägl. 10–18