Literatur

Kaiserin ohne Zuckerguss: Karen Duve über ihren Roman „Sisi“

Die vielfach ausgezeichnete Autorin Karin Duve („Regenroman“, „Taxi“, „Fräulein Nettes kurzer Sommer“) teilt mit ihrer Romanfigur „Sisi“ die Liebe zu Pferden.
© Kerstin Ahlrichs

Annäherung an einen Mythos: Karen Duve hat einen brillanten Roman über Elisabeth von Österreich geschrieben. Die TT hat mit der deutschen Autorin darüber gesprochen.

Wien – Der Person hinter der glanzvollen Schönheits-Ikone und all dem Nostalgie-Kitsch, mit dem Kaiser Franz Josephs Gattin, Mutter des glücklosen Rudolf und Opfer des Attentäters Luigi Lucheni nach wie vor verbunden wird, widmet sich Karen Duve mit ihrem kenntnisreichen Roman „Sisi“. Im Zentrum steht die Elisabeth der 1870er-Jahre, eine imponierende wie polarisierende Frau, die zwischen Reisen und den geliebten halsbrecherischen Parforce-Jagden, zwischen verhassten Hof-Ritualen und Körperdisziplin einen gegenüber ihrer Umgebung vielfach auch unerbittlichen Weg behauptet.

Ihr Sisi-Roman reiht sich – unfreiwillig, wie man annehmen kann – ein in einen wahren Sisi-Hype, unter anderem mit zwei Fernseh-Mehrteilern oder Marie Kreutzers Film „Corsage“. Verstehen Sie dieses Phänomen?

Karen Duve: Ich verstehe die Häufung auch nicht. Sisi ist Jahr für Jahr ein Thema, weil immer wieder neue Quellen erschlossen werden und dann neue Sachbücher erscheinen, aber diesmal ist es wirklich doll. Ich kann nur spekulieren. Vielleicht ist jetzt die Zeit dafür gekommen, die österreichische Kaiserin ein wenig von ihrem Zuckerguss zu befreien. Selbst die glühendsten Sisi-Verehrer finden es verzeihlich, ein etwas vollständigeres Bild der österreichischen Kaiserin mit ihren menschlichen Schwächen, kleinen Peinlichkeiten und vielleicht sogar Boshaftigkeiten vorgesetzt zu bekommen. Elisabeth von Österreich hat ja viel mehr zu bieten als Schönheit und die Ehe mit einem Kaiser.

Was waren Ihre Beweggründe, sich dieser ikonischen österreichischen Monarchin zu widmen?

Duve: Ich selbst bin zufällig an Sisi geraten, als ich nach einer historischen Persönlichkeit suchte, die überdurchschnittliche Reitfähigkeiten besitzen sollte. Zwischen lauter alten Reitmeistern tauchte da immer wieder der Name Elisabeth von Österreich auf. Dass ich mich dann für sie entschieden habe, liegt an ihrer faszinierenden Persönlichkeit, der Unmenge von Material, die man zu jedem Thema bei ihr finden kann, und natürlich auch daran, dass ich früher die Romy-Schneider-Filme gesehen habe und mir Sisi darum wie eine bereits vertraute Person erschien.

Für Franz Joseph ist Elisabeth „die einzige Unvernunft, der einzige Rausch“, für die Hofdame Gräfin Festetics ist sie gleichsam Lebensinhalt, für die Untertanen ist sie nahezu unsichtbar. Wie ging es Ihnen mit der Person Elisabeth/Sisi, der wagemutigen Reiterin, Kaiserin, der ziemlich sonderbaren Mutter, Poetin und nicht zuletzt Ahnfrau der Körperoptimierung?

Duve: Ich stand ihr zuerst ganz gelassen gegenüber, dann bewunderte ich ihren Mut und ihre Reitkünste, war schwer beeindruckt von ihrer Disziplin, bedauerte sie gleichzeitig ein wenig dafür. Dann fing ich an, mich mit der einen oder anderen Seite von ihr zu identifizieren, dann dachte ich plötzlich: Na ...? Das kann doch wohl nicht ihr Ernst gewesen sein. Ich war abwechselnd bestürzt und erschrocken, fast ein wenig verliebt und dann tat sie mir wieder unendlich leid. Aber so geht es ja allen, die sich mit ihr beschäftigen. Über vier Jahre, davon zwei mit Corona, war sie die wichtigste Person in meinem Leben. Ich liebe alle Figuren, die ich in meinen Büchern vorkommen lasse, aber Sisi hat es mir dabei nicht immer leicht gemacht.

„Sisi“ ist durchzogen von leisem Humor. Immer wieder beschließt ein kurzer, ironischer Satz eine Szene, der wie ein Kommentar Ihrerseits zu den Zuständen, persönlichen Eigenheiten oder Gesetzen des Hofes gelesen werden kann. Ist Ironie wichtig, um beim Schreiben die notwendige Distanz zu bewahren?

Duve: Ironie bringt Leichtigkeit in schwere oder bedrückende Themen. Das 19. Jahrhundert war eine Zeit voller Kriege und Grausamkeit. Gegen Soldaten, Menschen überhaupt, gegen Kinder und Tiere. Gleichzeitig schwelgte Österreich in Walzerseligkeit und man gab beim Häuserbau ein Drittel allein für die Verzierungen an der Fassade aus. Ich wollte das Grauen nicht ignorieren, aber die Schönheit dieser Zeit auch nicht bei jeder Gelegenheit miesmachen. Ironie ist die Möglichkeit, an die dunkle Seite einer Sache zu erinnern, ohne dabei sofort die Stimmung auf den Nullpunkt zu bringen.

Nach Ihrer eingehenden Beschäftigung mit Sisi: Haben Sie eine Vision, wie diese Frau wäre, würde sie im Heute leben?

Duve: Für jemanden wie Elisabeth, die einerseits so scheu war, dass sie es kaum ertrug, angestarrt zu werden, und andererseits so viel Aufwand trieb, um ihre jugendliche Schönheit zu bewahren, ist das Internet eigentlich wie gemacht. Sie könnte ein Idealbild von sich in die Welt hinaussenden, ohne sich den Blicken selbst aussetzen oder womöglich gar echten Kontakt zu Menschen haben zu müssen. Obwohl es mich bei dem Gedanken schüttelt, sie mir als Influencerin vorzustellen! Als Leistungssportlerin könnte ich sie mir ebenfalls denken. Und Pferde und Hunde würden vermutlich immer noch eine große Rolle in ihrem Leben spielen.

Das Interview führte Bernadette Lietzow

Roman Karen Duve: Sisi. Galiani Berlin, 416 Seiten, 27,50 Euro.

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