Ehrung für Vranitzky: „Die Sozialdemokratie darf nicht stillhalten“
Politisches Hochamt für den ehemaligen Kanzler Franz Vranitzky. Auch Ex-EU-Kommissionspräsident Romano Prodi würdigte die Verdienste.
Von Karin Leitner
Wien – Am 4. Oktober ist er 85 Jahre alt geworden. Nun hat es ein politisches Hochamt für Franz Vranitzky gegeben. In der Wiener Nationalbibliothek unter dem Motto „Zeitenwende in Europa?“ wurde der Sozialdemokrat geehrt.
Viele Parteifreunde, von Vorsitzender Pamela Rendi-Wagner geladen, waren dabei, darunter die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures, Bürgermeister Michael Ludwig, die vormalige Staatssekretärin Brigitte Ederer und der einstige Finanzminister Ferdinand Lacina.
Prodi: „Freund und großer Europäer“
Auch der ehemalige EU-Kommissionspräsident und italienische Premier Romano Prodi huldigte Vranitzky, dem „Freund und großen Europäer“. Rendi-Wagner qualifizierte ihn als „Staatsmann mit Haltung und Anstand“, dem „das große Ganze immer wichtiger gewesen ist als der persönliche Erfolg“.
An Vranitzkys Verdienste erinnerten alle Redner, dokumentiert in einem Film. So relativierte Vranitzky 1991 nicht nur die offizielle These, dass Österreich erstes Opfer Adolf Hitlers gewesen sei, er bekannte auch die hiesige Mitschuld am Zweiten Weltkrieg und dessen Folgen. Und Vranitzky ebnete mit den Weg des Landes in die EU. Bei der Volksabstimmung am 12. Juni 1994 stimmten 66,64 Prozent der Bürger für den Beitritt, am 1. Jänner darauf war es so weit.
Was die weitere Rolle Europas anlangt, befand Prodi: Diese müsse „fest implementiert werden – mit einer gemeinsamen Außen- und Verteidigungspolitik“. Ob Wladimir Putins Angriffskrieg in der Ukraine und der Ambitionen Chinas, neben den USA zum großen „Global Player“ zu werden, müsse ein Vereintes Europa auch danach trachten, eine führende Rolle einzunehmen, konstatierten Prodi und Vranitzky. Einer gemeinsamen Strategie bedürfe es. Vranitzky merkte auch an, dass Europa als vergleichsweise kleiner Kontinent „nicht zum Hinterhof Russlands, Chinas oder der USA“ werden dürfe: „Selbstständig wollen wir sein, in der Einheit unserer Vielfalt.“
"Konservative Kollegen haben keine probaten Antworten.“
An die Genossinnen und Genossen appellierte er angesichts der Lage – Teuerung, Energieversorgungsschwierigkeiten: „Die Sozialdemokratie darf nicht stillhalten.“ Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse „gehen auseinander, wie es schon lange nicht mehr der Fall war“. Die Einmalzahlungen und Boni der Regierung „verpuffen“ aus Vranitzkys Sicht. „Unsere konservativen Kollegen haben keine probaten Antworten.“ Staatliche Zuwendungen würden „mit der Gießkanne verteilt“; auch Bestverdiener lukrierten sie.
Rendi-Wagner und Co. riet Vranitzky, der dem Arbeitermilieu entstammt: „Die soziale Stabilität, der soziale Ausgleich und die soziale Gerechtigkeit müssen an der Spitze der Programme stehen.“ Jetzt könnten die Sozialdemokraten bei den Menschen punkten.
Der Ex-Kanzler verwies aber auch auf einen alten Slogan der Partei: „Mit uns geht die neue Zeit.“ Mahnend fügte er an: „Wir müssen nur aufpassen, dass sie nicht geht – und wir bleiben da.“