Van der Bellen zu Schmid und Co: „Das darf doch alles nicht wahr sein“
Das Vertrauen in die Demokratie sei in Österreich einmal mehr massiv erschüttert, so der Bundespräsident. Die letzten Tage seien „von fundamentaler politischer Unruhe“ geprägt gewesen, „und ich kann und will das nicht mehr hinnehmen“, so das Staatsoberhaupt weiter.
Wien – Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat sich angesichts der ÖVP-Affäre am Donnerstag an die Öffentlichkeit gewandt und von den politisch Verantwortlichen eine "Generalsanierung des Vertrauens" verlangt. In einem Statement in der Präsidentschaftskanzlei bezeichnete er Korruption als "lähmendes Gift". Es müssten Maßnahmen gesetzt werden, um die volle Handlungsfähigkeit der politisch Verantwortlichen sicher zu stellen und um das Vertrauen in die Politik wieder herzustellen.
Das Vertrauen in die Demokratie sei in Österreich einmal mehr massiv erschüttert. Die letzten Tage seien "von fundamentaler politischer Unruhe" geprägt gewesen, "und ich kann und will das nicht mehr hinnehmen", sagte er angesichts der bekannt gewordenen Zeugenaussagen des früheren Vertrauten von Ex-Kanzler Sebastian Kurz, Thomas Schmid. Er könne verstehen, dass sich viele mit Schaudern von der Politik abwendeten. "Auch ich sehe, was passiert und denke mir: Das darf doch alles nicht wahr sein", sagte Van der Bellen.
📽️ Video | Van der Bellen: "Das darf doch alles nicht wahr sein"
Laut Van der Bellen Generalsanierung erforderlich
Die an die Öffentlichkeit getropften Chats "haben sich zu einem sichtbaren Wasserschaden entwickelt". Mittlerweile habe dieser Wasserschaden die Substanz des Gebäudes erreicht, der mit ein paar Farbtupfern nicht mehr zu beheben sei: "Das, was in den letzten Stunden und Tagen zum Korruptionsthema wieder öffentlich wurde, ist kein kleiner Wasserfleck. Es ist ein massiver Schaden, der an die Substanz unserer Demokratie geht." Es brauche nun "eine Generalsanierung, eine Sanierung der Substanz", und es sei seine Pflicht sicherzustellen, dass das auch passiere, so der Bundespräsident, der damit wohl nicht zufällig an die Worte vom Trockenlegen saurer Wiesen des früheren Bundespräsidenten Rudolf Kirchschläger anspielte.
Van der Bellen warnte vor dem Eindruck, dass man es sich im Land richten könne, etwa in Steuerangelegenheiten oder zum Vorteil der eigenen Seilschaft. Es müsse im größten Interesse von Bundeskanzler und Regierung sein, diesen Eindruck zu entkräften. Als gute Nachricht "bei den mutmaßlichen Korruptionsverdachtsfällen rund um einige ÖVP-Politiker" wertete er, dass der Rechtsstaat funktioniere: "Wir sehen dem Rechtsstaat bei der Arbeit und beim Funktionieren zu." Die Justiz, so Van der Bellen, genieße seine volle Rückendeckung.
Bei all dem forderte er, "dass in den nächsten Wochen und Monaten Maßnahmen gesetzt werden, um die volle Handlungsfähigkeit aller politisch Verantwortlichen in diesem Land sicher zu stellen und um das Vertrauen in die Politik wieder herzustellen". Auch die Rolle der eigenen Partei gelte es dabei zu hinterfragen. "Österreichs Bevölkerung braucht Garantien. Glaubwürdige Garantien, dass das, was sich in diesem Sittenbild angedeutet hat, nicht der Normalität entspricht. Diese Garantien, in welcher Form auch immer, glaubwürdig zu geben, ist die Bringschuld der Verantwortlichen."
"Werden Korruption niemals akzeptieren"
Van der Bellens Fazit: "In der Republik Österreich werden wir Korruption niemals akzeptieren und als Normalität hinnehmen. Ich verspreche Ihnen, dass ich keine Ruhe geben werde, bis wir uns von dieser Last befreit haben und das Vertrauen wieder hergestellt ist. Wenn Sie so wollen, bis dieser substanzielle Schaden am Gebäude Demokratie behoben ist."
Nach der Ansprache gab es Journalistenfragen, die Van der Bellen eher ausweichend beantwortete. Ob etwa ÖVP-Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka noch tragbar sei, das sei Angelegenheit des Parlaments, "dazu äußere ich mich nicht". Wenig Verständnis zeigte er für Neuwahlforderungen: "Ehrlich, ich verstehe nicht ganz, wieso Neuwahlen jetzt eine Maßnahme in Zusammenhang mit der Situation sind, in der wir uns befinden." Hingegen sollte überlegt werden, mit welchen Maßnahmen "so etwas" von Haus aus verhindert werden könne. Der Bundespräsident erinnerte hier an die Interne Revision großer Unternehmen, aber auch an einige Vorhaben auf legistischer Ebene, die bereits ihrer Beschlussfassung harrten. (TT.com, APA)
Das Statement im Wortlaut
📽️ Video | Statement von Alexander Van der Bellen
Liebe Österreicherinnen und Österreicher und alle, die in Österreich leben.
Eigentlich habe ich gehofft, dass mein erstes Statement nach der Wahl andere Inhalte haben wird, aber hier geht es nicht um meine Wiederwahl.
Es geht hier um die Demokratie in unserer Heimat und das Vertrauen in die Demokratie, das einmal mehr massiv erschüttert wird.
Die letzten Tage waren – einmal mehr – geprägt von fundamentaler politischer Unruhe und ich kann und will das so nicht hinnehmen.
Viele Menschen wenden sich -und das nicht erst seit den letzten Ereignissen- mit Schaudern von der Politik ab. Und, ganz ehrlich: Ich kann das verstehen.
Auch ich sehe, was passiert und denke: Das darf doch alles nicht wahr sein.
Die Chats, die letztes Jahr begannen, in die Öffentlichkeit zu tropfen, haben sich zu einem sichtbaren Wasserschaden entwickelt.
Begonnen hat es mit einem nassen Fleck, aber mittlerweile hat dieser Wasserschaden die Substanz des Gebäudes erreicht. Und es wird immer klarer, dass dieser Schaden mit ein paar Farbtupfern hier und da nicht zu beheben sein wird.
Das, was in den letzten Tagen zum Korruptionsthema wieder öffentlich wurde, ist kein kleiner Wasserfleck.
Es ist ein massiver Schaden, der an die Substanz unserer Demokratie geht.
Wir brauchen eine Generalsanierung, eine Sanierung der Substanz. Und selbstverständlich ist es meine Pflicht, sicherzustellen, dass das auch passiert.
Meine Damen und Herren, ich bin gegen jede Art von Korruption!
Sie wissen, dass ich jede Form von Freunderlwirtschaft und Korruption zutiefst ablehne. Weil Korruption ein lähmendes Gift ist – für unser Zusammenleben, die Politik, die Wirtschaft. Weil Korruption blockiert und uns Zukunftschancen raubt. Weil Korruption verhindert, dass wir Österreich gemeinsam besser machen. Weil sie verhindert, dass Menschen ihr Bestes geben können. Weil Korruption Abhängigkeit bedeutet. Und Abhängigkeit heißt, dass nicht die besten Ideen umgesetzt werden oder die am besten qualifizierten Menschen einen Job bekommen, sondern die, die es sich richten können, die, die scheinbar die richtigen Kontakte haben.
Und wenn Menschen in unserem Land auch nur den Eindruck bekommen, dass man es sich richten kann, dass man sich zum Beispiel seine Steuerangelegenheiten einfach richten kann, wenn man nur reich genug ist oder die richtigen „Freunde“ hat.
Wenn auch nur der Eindruck entsteht, Politiker handelten zum Vorteil der eigenen Seilschaft, der eigenen sogenannten Verbündeten oder Vertrauten und auf Kosten der Gemeinschaft.
Dann muss es im größten Interesse des Bundeskanzlers und der verantwortlichen Regierungsmitglieder sein, diesen Eindruck zu entkräften.
Meine Damen und Herren, es geht bei den mutmaßlichen Korruptionsverdachtsfällen rund um einige ÖVP-Politiker nicht nur um das Rechtliche alleine.
Denn wenn es in all den Verwerfungen eine gute Nachricht gibt, dann ist es diese: Unser Rechtsstaat funktioniert! Wir sehen ihm gerade alle gemeinsam bei der Arbeit zu. Wir sehen dem Rechtsstaat bei der Arbeit und beim Funktionieren zu!
Und er wird diese Arbeit, so lange es auch dauern möge, mit aller Umsicht zu Ende führen. Das ist beruhigend.
Und ich kann es nur wiederholen: die unabhängige Justiz genießt meine volle Rückendeckung.
Aber! Meine Damen und Herren, aber, es geht eben nicht alleine um die rechtliche Dimension dieser Vorwürfe.
Nein! Es geht um mehr! Es geht um das Vertrauen. Und deswegen ist es zu wenig, sich auf die Unschuldsvermutung oder den Ausgang von Verfahren zurückzuziehen.
Demokratie kann nur funktionieren, wenn Menschen darauf vertrauen, dass die regierenden Personen integer handeln. Dass die politisch Verantwortlichen mit dem ihnen geliehenen Vertrauen sorgsam umgehen. Dass mit der Stimme, die wir bei bei der Wahl abgegeben haben, verantwortungsvoll umgegangen wird.
Es braucht eine transparente, nachvollziehbare und vor allem für alle wahrnehmbare Generalsanierung des Vertrauens.
Meine Damen und Herren, diese gesamte unschöne Thematik erfordert, dass in den nächsten Wochen und Monaten Maßnahmen gesetzt werden, um die volle Handlungsfähigkeit aller politisch Verantwortlichen in diesem Land sicher zu stellen und um das Vertrauen in die Politik wieder herzustellen.
Es geht dabei eindeutig auch darum, die eigene Rolle, die Rolle der eigenen Partei, die bisherigen Aktivitäten kritisch zu hinterfragen und die notwendigen Konsequenzen und Maßnahmen zu ziehen.
Österreichs Bevölkerung braucht Garantien. Glaubwürdige Garantien, dass das, was sich in diesem Sittenbild angedeutet hat, nicht der Normalität entspricht.
Diese Garantien, in welcher Form auch immer, glaubwürdig zu geben, ist die Bringschuld der Verantwortlichen.
Ich werde nun zügig weitere Gespräche mit den politisch Verantwortlichen in unserem Land führen.
Denn die großen Herausforderungen unserer Zeit – Sie wissen es - mit dem fürchterlichen Krieg in der Ukraine, der notwendigen raschen Umstellung unserer Energieversorgung und der Abfederung der Teuerung, das alles, braucht die volle Aufmerksamkeit der Regierenden. Die großen Herausforderungen brauchen die Zusammenarbeit aller Ebenen und – das ist sicher die größte Herausforderung – und eben das Vertrauen der Bevölkerung.
In der Republik Österreich werden wir Korruption niemals akzeptieren und als Normalität hinnehmen. Ich verspreche Ihnen, dass ich keine Ruhe geben werde, bis wir uns von dieser Last befreit haben und das Vertrauen wieder hergestellt ist.
Wenn Sie so wollen, bis dieser substanzielle Schaden am Gebäude Demokratie behoben ist.
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