China

Parteitag der chinesischen Kommunisten: Die Angst vor dem Steppenbrand

Xi Jinping am 20. Parteitag von Chinas Kommunisten. Im Aufstieg zum mächtigsten Mann in Peking seit Mao hat er sich viele Feinde gemacht.
© AFP/Celis

Chinas Parteichef Xi Jinping ist intern umstritten. Er bleibt, weil die Kommunisten um ihre Macht fürchten.

Von Floo Weißmann

Peking – An diesem Wochenende soll deutlich werden, wie viel Macht Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping für die nächsten fünf Jahre hat. Es geht um die Personalentscheidungen des 20. Parteitags der chinesischen Kommunisten, der heute zu Ende geht. Die wirtschafts- und sicherheitspolitischen Folgen bekommt die ganze Welt zu spüren.

Die Wiener Sinologin Susanne Weigelin-Schwiedrzik geht davon aus, dass Xi parteiintern umstrittener ist, als es aussieht. Der Machtkampf findet allerdings hinter verschlossenen Türen statt. Wie genau die Partei ihr Spitzenpersonal auswählt, wer mit welchen Methoden um Einfluss ringt und wie die Fraktionen ihre Stärke austarieren, bleibt für Außenstehende ein Rätsel. Bekannt sind lediglich die Eckpunkte des Ablaufs.

Zwischenfall um Chinas Ex-Parteichef Hu Jintao auf Parteitag

Zum Abschluss des Kongresses der Kommunistischen Partei Chinas ist es am Samstag zu einem Zwischenfall um den früheren Parteichef Hu Jintao gekommen. Der 79-Jährige wurde von zwei Saalordnern offensichtlich gegen seine Willen von seinem Platz neben Staats- und Parteichef Xi Jinping vom Podium geführt, wie auf Videos zu sehen war. Während der Abschlusssitzung waren kurz vorher internationale Journalisten auf die Tribüne in der Großen Halle des Volkes gelassen worden.

Der ungewöhnliche Vorgang erfolgte kurz vor den Abstimmungen über die Änderung der Verfassung, mit denen die Leitideen und Führungsrolle von Xi Jinping noch weiter verankert wurden. Der gebrechlich wirkende Hu Jintao gilt nicht unbedingt als Unterstützer des heutigen Parteichefs. Er zählt zum Lager der kommunistischen Jugendliga in der Partei, das von Xi Jinping geschwächt worden war.

Der frühere Präsident hatte das Amt des Generalsekretärs nach zwei Amtszeiten 2012 an Xi Jinping übergeben. Hu Jintao steht für das alte "kollektive" Führungsmodell mit Vertretern verschiedener Fraktionen und mit Alters- und Amtszeitbegrenzungen, über das sich der 69-jährige Xi Jinping mit seiner dritten Amtszeit hinwegsetzen will.

Demnach bestimmt der Parteitag das 20. Zentralkomitee, dem mehrere hundert Mitglieder angehören. Dieses hält morgen seine erste Sitzung ab. Anschließend wird bekannt gegeben, wer im 25-köpfigen Politbüro sitzt und wer im Ständigen Ausschuss des Politbüros. Diese Gruppe aus sieben bis neun Personen bildet das eigentliche Machtzentrum in Peking. Sie wird geleitet vom Generalsekretär der Partei (der in der Parallelhierarchie des Staates als Präsident fungiert).

Seit zehn Jahren amtiert Xi Jinping in dieser Doppelrolle. Obwohl er die informelle Altersgrenze von 68 Jahren überschritten hat und bisher nur zwei Perioden an der Spitze von Staat und Partei vorgesehen waren, will er weiter an der Macht bleiben. Seine Vision ist es, China unter dem Banner des Sozialismus zur Weltmacht zu führen. Das bedeutet verstärkte Kontrolle nach innen und ein aggressiveres Auftreten nach außen.

Zugleich bleibt ihm aus persönlichen Gründen kaum etwas anderes übrig, als sich an die Macht zu klammern. Unter ihm wurden nach Schätzungen vier Millionen Parteikader „in irgendeiner Form bestraft und entmachtet“, berichtet Weigelin-Schwiedrzik. Sollte Xi eines Tages abtreten, „dann werden diese Leute ihm an die Gurgel gehen“.

Die Expertin erwartet wie die meisten Beobachter, dass Xi eine dritte Amtszeit erhält. Den Hauptgrund dafür verortet sie aber weniger in seiner Stärke oder Beliebtheit, sondern in der Furcht der Partei vor der wachsenden Unruhe im Land. „Die Angst vor einer eventuellen Eruption von Gefühlen, die gegen die Partei gerichtet sind, ist sehr groß.“

Am Parteitag wurden die Probleme weitgehend ausgeklammert. Doch unter der Oberfläche gärt es. Immobilienkrise, Arbeitslosigkeit und Null-Covid-Politik erzeugen zivilen Widerstand – trotz verschärfter Sozialkontrolle. Weigelin-Schwiedrzik berichtet etwa von Protesten vor Banken, vielen Covid-Testverweigerungen und verbreitetem Dienst nach Vorschrift.

In dieser Situation fürchten die führenden Kommunisten, dass eine Veränderung an der Parteispitze mit einem Autoritätsverlust einhergeht. Und dass es in der Folge „zu einer gesellschaftlichen Eigendynamik kommt, die von der Partei nicht mehr beherrschbar ist. Deshalb haben sie sich darauf geeinigt, dass Xi Jinping noch einmal antreten darf.“

Welchen politischen Spielraum er hat, hängt jedoch davon ab, wie die Spitzengremien zusammengesetzt sind. Xi selbst führt eine stark ideologisierte, nationalistische Fraktion. Er hat mit seinem Kurs in den vergangenen Jahren die inneren und äußeren Konflikte verschärft und zugleich Chinas Wachstum gebremst.

In Opposition dazu steht eine eher pragmatische Fraktion, die wünscht, dass die Wirtschaft brummt, und dafür im In- und Ausland die Reibung reduzieren will. Diese Fraktion will nun laut Weigelin-Schwiedrzik „Leute in Xis Umgebung einschleusen, die verhindern, dass er weitere wirtschaftsfeindliche Entscheidungen treffen kann“. An diesem Wochenende dürfte bekannt werden, ob das gelungen ist. Möglich ist aber auch, dass Xi es schafft, die Gremien mehrheitlich mit loyalen Männern zu besetzen – Frauen spielen in Chinas Spitzenpolitik keine Rolle – und seine Macht auszubauen.

Die Expertin sieht Hinweise auf die Zerrissenheit der Partei. Erstens wurde heuer nicht schon im Vorfeld des Parteitags geleakt, wer ins Politbüro und in dessen Ständigen Ausschuss kommt. „Dieses Jahr wussten wir vorab nichts. Das ist recht ungewöhnlich.“

Zweitens hat Xi von seinem Bericht an den Parteitag nur 29 der 79 Seiten verlesen. Der Rest blieb zumindest für die Außenwelt unter Verschluss. Und was er verlesen hat, sei im Vergleich zu seinem Bericht an den Parteitag vor fünf Jahren „langweilig, inhaltslos und so vage wie nur irgendwie möglich“ gewesen. Eine der möglichen Erklärungen dafür sei, „dass sie sich offenbar nicht (über den politischen Kurs, Anm.) geeinigt haben“.

Umstritten waren zuletzt u. a. die Haltung gegenüber Russland, die Wirtschafts- und die Null-Covid-Politik. „Die Partei wird immer zerstrittener, je aktiver die Bevölkerung wird“, sagt Weigelin-Schwiedrzik. Mao Zedong sagte einmal, dass schon ein einzelner Funke einen Steppenbrand auslösen kann. „Vor der Gültigkeit dieser Theorie graust es der Kommunistischen Partei.“

Xi hat mit seiner Politik die Krise verschärft, zugleich bietet er seine Vision als Lösung an. Anders als bisher üblich hat er noch keinen Nachfolger designiert. Auch Weigelin-Schwiedrzik versteht das so, dass er bis zum Lebensende an der Macht bleiben will.

Mehr zum Thema

undefined

China

Jeder fünfte junge Chinese hat keinen Job: Krise am Parteitag ignoriert

undefined

China

Xis Verständnis für Putin bröckelt: Deutschland mit neuer China-Politik?

undefined

Plus

Wie Xi Jinping an einer Welt unter Chinas Sozialismus bastelt

Verwandte Themen