Russische Regierung: Kiew könnte radioaktive Bombe einsetzen
Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu behauptet, dass Kiew eine radioaktive Bombe zünden will, um Russland zu diskreditieren. Die Ukraine unterstellt ihrerseits Russland, den Abwurf einer solchen Bombe zu planen.
Moskau, Paris, Kiew – Russland hat der Ukraine vorgeworfen, zur Diskreditierung Moskaus die Zündung einer radioaktiven Bombe zu planen. Verteidigungsminister Sergej Schoigu habe seinem französischen Amtskollegen Sebastien Lecornu "seine Besorgnis über mögliche Provokationen der Ukraine mit Hilfe einer "schmutzigen Bombe" übermittelt", teilte das russische Verteidigungsministerium am Sonntag mit. Unterdessen brachten die Invasoren mehr als 20.000 Zivilisten aus der südukrainischen Stadt Cherson.
Lecornu bestätigte das Gespräch und betonte, dass Frankreich nicht in eine Eskalation des Konflikts einbezogen werden wolle, insbesondere was nukleare Optionen betreffe. Frankreich wolle eine friedliche Lösung des Konflikts, so Lecornu, der auch ein Gespräch mit seinem ukrainischen Amtskollegen ankündigte.
Schoigu telefonierte auch mit seinen Amtskollegen aus Großbritannien, Ben Wallace, und der Türkei, Hulusi Akar. Auch diesen beiden gegenüber äußerte er die Befürchtung über eine "unkontrollierte Eskalation" des Konflikts. Später berichtete das Verteidigungsministerium in Moskau auch von einem Telefonat Schoigus mit seinem US-Kollegen Lloyd Austin. Über den Inhalt des Gesprächs wurden keine Angaben gemacht. Die beiden hatten schon am Freitag telefoniert.
Als "schmutzige Bombe" werden konventionelle Sprengsätze bezeichnet, die auch radioaktives Material verstreuen. Die Ukraine, die nach dem Zerfall der Sowjetunion ihre Atomwaffen abgegeben hat, unterstellt ihrerseits Russland, den Abwurf einer solchen Bombe zu planen.
Moskau: Zivilisten sollen Stadt Cherson verlassen
Unterdessen verstärkte Russland auch seine Aufrufe und Bemühungen, Zivilisten aus der besetzten Stadt Cherson in der Südukraine zu bringen. Angesichts einer erwarteten ukrainischen Gegenoffensive sollen bis zu 60.000 Menschen in Sicherheit gebracht werden, die am Westufer des Flusses Dnipro leben, hieß es am Sonntag. "Die Situation ist schwierig. Es ist lebenswichtig, Ihr Leben zu retten. Es wird nicht mehr lange dauern. Sie werden auf jeden Fall zurückkehren", sagte der russische Bildungsminister Sergej Krawzow.
Zuvor war von 20.000 Zivilisten die Rede gewesen, die evakuiert werden sollten. "Wir haben allen Leuten, die uns heute gehört haben, vorgeschlagen, die Möglichkeit zu nutzen und in den linksufrigen Teil des Gebiets Cherson zu gehen", sagte der Vizechef der russischen Besatzungsverwaltung, Kirill Stremoussow. Zugleich bezeichnete er die Lage als stabil.
Die Stadt Cherson liegt am rechten Ufer des Dnipro und war von Russland gleich zu Beginn des Angriffskriegs erobert worden. Ende September annektierte Kremlchef Wladimir Putin Cherson als eines von vier ukrainischen Gebieten auch offiziell für Russland. Die Lage der russischen Truppen westlich des Flusses hat sich aber gleichzeitig deutlich verschlechtert. Die ukrainischen Truppen haben systematisch die Nachschubwege der Russen über den Dnipro zerstört und rückten Anfang Oktober bei ihrer Gegenoffensive weiter auf die Stadt vor.
Der neue Kommandant der russischen Truppen in der Ukraine, Sergej Surowikin, sagte in dem Zusammenhang, die Moskauer Truppenführung schließe "schwierige Entscheidungen" nicht aus. Beobachter deuten dies als Hinweis auf einen möglichen Truppenabzug aus der Stadt.
Angriffe auf Energie-Infrastruktur halten an
Nach wiederholten russischen Angriffen auf die Energieinfrastruktur schaltete das staatliche Energieunternehmen Ukrenergo am Sonntag in der Hauptstadt Kiew zeitweise den Strom ab. Wie der Stromversorger DTEK mitteilte, begann Ukrenergo mit geplanten "Stabilisierungs-Abschaltungen" ab 11.13 Uhr (Ortszeit, 10.13 Uhr MESZ). Die Abschaltungen sollten nicht länger als vier Stunden dauern, hieß es.
Russland setzte nach eigenen Angaben seine Angriffe auf Infrastruktur der Energieversorgung und des Militärs in der Ukraine in den zurückliegenden 24 Stunden fort. Zudem hätten russische Truppen an mehreren Frontabschnitten ukrainische Gegenoffensiven zurückgeschlagen, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit.
Zerstört wurde demnach ein ukrainisches Treibstofflager in der Zentralukraine. Ein Depot, "das mehr als 100.000 Tonnen Flugzeugbenzin für die ukrainischen Luftstreitkräfte beherbergte, wurde nahe des Ortes Smila in der Region Tscherkassy zerstört", so das Verteidigungsministerium. Überdies wurden mehrere Munitionslager sowie ein Benzin-Reservoir für ukrainische Militärfahrzeuge beschädigt.
Söldner sollen besetzte Gebiete verteidigen
Nach Einschätzung britischer Geheimdienste bereitet Russland mit großem Aufwand die Verteidigung seiner besetzten Gebiete in der Ukraine vor. Dies solle mutmaßlich rapide ukrainische Gegenoffensiven abwehren, hieß es am Sonntag im täglichen Kurzbericht des britischen Verteidigungsministeriums auf Twitter.
Der Chef der Söldnereinheit "Wagner", Jewgeni Prigoschin, habe Mitte Oktober online angekündigt, mit seinen Teams eine abgesicherte "Wagner-Linie" aufzubauen, um die besetzte Region Luhansk zu verteidigen. Den Angaben Prigoschins zufolge sei es wahrscheinlich, dass auch der Fluss Siwerskyj Donez in diese Verteidigungszone integriert werden solle, hieß es von den Briten. Auf veröffentlichten Bildern sei ein Abschnitt mit neu errichteten Panzerabwehrsystemen und Gräben südöstlich der Stadt Kreminna in der Region Luhansk zu sehen. (APA/dpa)
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